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Saul Bellow – Die drei großen Romane

Saul Bellow wurde 1915 geboren – als Kind einer russischen Familie, die nach Kanada emigriert war und später in Chicago lebte: Vor allem mit seinen drei großen Romanen "Die Abenteuer des Augie March", "Herzog" und "Humboldts Vermächtnis" schrieb sich Bellow in die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts ein. Diese drei Hauptwerke des 2005 gestorbenen Literaturnobelpreisträgers sind nun in Neuübersetzungen wiederzuentdecken. Ulrich Rüdenauer stellt Ihnen, im Gespräch mit der Lektorin Bärbel Flad, die Romane vor.

Eine Besprechung von Ulrich Rüdenauer | 01.06.2009
    "Sämtliche Einflüsse warteten schon auf mich. Ich kam auf die Welt, und sie waren zur Stelle, um mich zu prägen ( ... )"

    Was für Augie March, jenen durch sein abenteuerliches Leben schlingernden Helden gilt, gilt gleichsam für dessen Schöpfer Saul Bellow. Solomon Bellow war das Letzte von vier Kindern einer aus dem zaristischen Russland nach Kanada emigrierten Familie; und das Erste, das 1915 in der Neuen Welt geboren wurde. Als Solomon neun Jahre alt war, zogen die Bellows von einem Vorort Montréals nach Chicago in den Mittleren Westen der USA – mit einem Bein aber war man noch immer in der Alten Welt: St. Petersburg bestimmte das geistige Klima dieser in großer Armut lebenden Familie; aber das urbane Chicago wurde zur Lebensschule des jungen Saul Bellow – ein Ort, der in fast all seinen Büchern eine Rolle, in seinem ersten großen Roman "Die Abenteuer des Augie March" aus dem Jahr 1953 aber eine Hauptrolle spielt: Zwischen Schlachthöfen und modernster Industrie, Jazz und Gangstertum, jüdischem Leben in der Southside und intellektuellen Reizen der Großstadt konnte sich bei Bellow ein Kosmos entwickeln, der seine literarischen Großtaten umspann, ihnen Atmosphäre und Dichte gab. Diese Möglichkeit zu prallen Feldforschungen im eigenen Milieu war das Eine; ein Studium der Soziologie das Andere: Es verhalf ihm zu einem scharfen, analytischen Blick auf gesellschaftliche Prozesse. Und der zeitweise schon totgesagte Roman bot Saul Bellow die Form, schonungslos das in die Tragik seines Denkens, Liebens und Lebens verstrickte Individuum durch eine schwer durchschaubare Welt taumeln zu lassen: Oftmals sind es kluge, verzweifelte, von Trieben beherrschte und von ihrem Intellekt getriebene Männer, die unterzugehen drohen und sich doch immer wieder fangen – darin dem Autor, der immerhin fünf Mal verheiratet war und aus seiner Intelligenz keinen Hehl machte, nicht ganz unähnlich. Wer den Roman als Kunstform extensiv nutze, sagte Bellow einmal, könne den unerbittlichsten Blick auf unsere modernen Lebensumstände werfen. Genau das hat Bellow getan, ironisch und raffiniert, in einer sich aus verschiedensten Stilen speisenden, originär amerikanischen Sprache und auch mit einer existenziellen Unbarmherzigkeit seinen Figuren gegenüber, die freilich nicht Hoffnung und Humor dieses Autors überdecken. Wie kann der geistig rege, den Akzelerationsmechanismen der Zivilisation aber schutzlos ausgelieferte Mensch heil die modernen Zeiten überstehen? Das ist die zentrale Frage im Werk Bellows.
    Bellow verband die romanhafte Welthaltigkeit des alten Osteuropa mit der ruhelosen Modernisierungsmaschinerie USA zu einem eigenen erzählerischen Gegenwartsraum. Er ist nicht nur einer der eindrucksvollsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, sondern unter diesen zugleich ein hellsichtiger Denker – eine Qualität, die nicht jedem Dichter zuzusprechen ist. Für Ideologien war er, obwohl durchaus geprägt von früher Lenin- und Trotzki-Lektüre, nicht sonderlich anfällig.

    "Ich glaube, ich habe mit radikalem jüdischen Skeptizismus auf alle großen Entwürfe reagiert."

    Er war von Anfang an geistig absolut unabhängig. Es gibt Berichte, wie er sich Ende der 80er-Jahre mit Grass auf einem PEN-Kongress fürchterlich gestritten hat, um rechts und links, und er galt immer als Einer, der nicht die linken Ideale hochgehalten hat.

    Bärbel Flad hat sich fast ihr ganzes Berufsleben lang mit Saul Bellow beschäftigt: Anfang der 60er-Jahre kam sie zum Verlag Kiepenheuer & Witsch und dort auch bald mit Bellows Romanen in Berührung. "Herzog" las sie Mitte der 60er-Jahre, und dieses Buch wurde für die später bei Kiepenheuer für ausländische Literatur zuständige Lektorin zu einem Lebensbuch. Sie betreute ab Mitte der 70er-Jahre die Übersetzungen von Bellows Büchern. Und nun, vier Jahre nach seinem Tod, ist sie wesentlich an der Überarbeitung und Neuübersetzung der Hauptwerke von Saul Bellow beteiligt: "Die Abenteuer des Augie March", "Herzog" und "Humboldts Vermächtnis" heißen diese Bücher, in denen sich auch die USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts studieren lassen; "Humboldts Vermächtnis" führte im Jahr 1975 unmittelbar zur Verleihung des Pulitzerpreises und ein Jahr später zum Nobelpreis.
    "The Adventures of Augie March" erschien ursprünglich 1953, die erste Übersetzung kam 1956 bei Kiepenheuer & Witsch. Originale altern nicht, Übersetzungen hingegen schon: Alle 25 Jahre, sagt man, sei die Neuübersetzung eines großen Werks angeraten; nun hat es über 50 Jahre gedauert, allerdings ist das Ergebnis erstaunlich: Henning Ahrens, der auch als Lyriker und Romancier bekannt ist, hat dem pikaresken "Augie March" nichts von seiner historischen Dimension genommen und doch ein ganz heutiges Buch daraus gemacht – ein rasantes Lesevergnügen, das die besonderen Qualitäten des ursprünglichen Textes ins Deutsche zu bringen versucht:

    "Es ist gesprochen. Man hat das Gefühl, da sitzt Einer und fängt an zu erzählen und überholt sich teilweise selbst beim Erzählen. Also das ist so schnell, das kann er gar nicht alles an Ideen und Gedanken auffangen. Und dadurch verhuddeln dann auch die Sätze so stark. ( ... )"

    "Ich wußte, dass es für mich bedeutend war. Ich vermochte nicht einzuschätzen, wie andere es empfinden würden. Für mich war es vor allem eine Erleichterung, das Mandarin-Englisch abzulegen und der Sprache meine eigenen Akzente zu geben."

    Sagte Saul Bellow einmal in einem Interview, erschienen in dem Band "Wie es ist, wie es war".

    "Meine vorangegangenen Bücher waren direkt und ehrbar gewesen, als hätte ich den Anforderungen von H.W. Fowler genügen müssen. Für 'Augie March' aber wollte ich einen völlig neuen amerikanischen Satz erfinden. Mir schwebte eine Verschmelzung von umgangssprachlicher und eleganter Ausdrucksweise vor. Eben das, was man in der besten englischen Prosa des 20. Jahrhunderts findet – bei Joyce oder E.E. Cummings. Die Sprache der Straße mit einem hohen Stil kombiniert. Heute sind mir rhetorische Tricks nicht mehr so wichtig, aber damals hatte mich die Leidenschaft gepackt, etwas zu erfinden."

    "Im Deutschen kann man das in der Form nicht nachbilden. Der Henning Ahrens, das finde ich, hat er sehr gut gemacht, hat sozusagen die Sätze zerschlagen und hat sie neu zusammengesetzt, hat es etwas verdichtet, dadurch ist es schneller im Deutschen. Und dadurch kriegt es wieder diesen gesprochenen Ton und dieses Erzählen und man denkt, na Junge, stimmt's auch alles, was Du da so erzählst. Das ist mit drin. Wie in einer oralen Tradition. Und sprachlich, und deshalb, könnte ich jetzt nicht untersuchen, ist es sicher eine Mischung des Straßenjargons von Southside Chicago plus jüdischen Einsprengseln, die dabei im 'Herzog' viel stärker sind als da, interessanterweise, aber die Art, wie die einzelnen Figuren sprechen, spiegelt das ja auch."

    "Herzog", Saul Bellows Roman aus dem Jahr 1961, ist ein Meisterwerk: Professor Moses Herzog steht vor einem Scherbenhaufen – seine Arbeit stockt, die von der Fachwelt erwartete Fortsetzung seiner Studie über die Romantik bleibt ungeschrieben, seine zweite Ehefrau betrügt ihn mit dem besten Freund – Parallelen zu Bellows damaliger Situation sind unverkennbar. "Literatur ist Autobiographie für Fortgeschrittene", hat es Bellow einmal prägnant auf den Punkt gebracht.
    Moses Herzog beginnt in dieser Sackgasse seines Lebens nach Auswegen zu suchen, verstrickt sich dabei immer tiefer in selbstquälerische Gedanken und absurde Konstellationen und kommt zu einer sehr eigentümlichen Form des Hilfeschreis: Er verfasst Briefe an Freunde und Denker, an lebende, vor allem aber tote.

    "Ihm wurde bewusst, dass er an die Toten schrieb. So werden die Schatten großer Philosophen auf den neuesten Stand gebracht."

    Er gerät in einen Disput mit all dem, was sein Denken geprägt hat – und hinterfragt die Voraussetzungen seiner Existenz. Dieses Totengespräch gestaltet Bellow mit solcher Verve und zugleich solch spielerischer Freude, dass sich aus den Neurosen eines vergeistigten Professors ein Charakterbild des modernen Menschen herausschält: Einer, der haltlos und ungeschützt den Widrigkeiten des Lebens ausgesetzt und mit seinem Latein am Ende ist – und der schließlich nach einer Form der Kommunikation sucht, die seinen tief im Innern unausrottbar sitzenden Hoffnungskern sichtbar macht.
    Walter Hasenclever hatte "Herzog" 1965 ins Deutsche übersetzt, und schon auf der Wortebene ist die Stockfleckigkeit der alten Übertragung oftmals zu bemerken. Auch der Sprachrhythmus hinkt bei den alten Übersetzungen ein wenig.
    Vor 50 Jahren, erzählt Bärbel Flad, die nun die Hasenclever'sche Ausgabe grundlegend überarbeitet hat, gab es zudem kaum zuverlässige Wörterbücher. Die Übersetzer heute, meist professioneller ausgebildet, haben da ungeheure Vorteile: Nicht nur können sie auf eine Vielzahl lexikalischer Literatur zurückgreifen; auch das Internet bietet enorme Hilfestellungen in zweifelhaften Fragen.
    Ein großes Problem bei der alten Übersetzung etwa von "Herzog" ist eine gewisse Muffigkeit und Prüderie. Gerade im Bereich des Sexuellen, der bei Bellow ähnlich wie bei seinem Bewunderer Philip Roth, wenn auch weniger explizit, von großer Bedeutung ist, hat sich Walter Hasenclever eher bedeckt gehalten – das war vermutlich nicht alleine der bundesrepublikanischen Biederkeit Anfang der 60er geschuldet.

    "Es gibt eine Beschreibung, wo er, Herzog, auf dem Badewannenrand sitzt und seiner zukünftigen oder schon damaligen Frau Madeleine beim morgendlichen Make-up zuschaut, und wie sie aus einem hübschen jungen Mädchen sich zu einer bigotten Katholikin verwandelt."

    "Sie sah nicht zu ihm hin, während sie ihre Vorbereitungen traf. Über Büstenhalter und Unterrock zog sie einen hochgeschlossenen Pullover, und um die Schultern des Pullovers zu schützen, trug sie ein Kunststoffcape. Es sollte verhindern, dass das Make-up auf die Wolle krümelte. Jetzt fing sie an, die Kosmetik aufzutragen. (...) Was sie auch tat, geschah mit entschlossener Eile und Richtigkeit, Hals über Kopf, aber mit der Zuversicht des Experten. (...) Auf dem Rand der vornehmen Badewanne sitzend und sie betrachtend, zog er seine Hose an, stopfte sein Hemd hinein. Sie nahm von ihm keine Notiz; sie versuchte irgendwie seiner ledig zu sein, sobald ihr Tagesleben begann."

    "Die Körperlichkeit, die der Autor hat, die geht in der Übersetzung verloren. Vielleicht – ich will jetzt Herrn Hasenclever nicht zu nahe treten – es ist auch ein alter Mann gewesen, vielleicht nie das gekannt. Und da ist dann was verloren. ( ... ) Und da sind einfach schlichte Fehler, muss man nicht nachgucken, wie heißt Make-up-Stift, wie heißt dieses, wie heißt jenes."

    In der Neubearbeitung klingt die eben gehörte Passage so:

    "Sie sah nicht zu ihm hin, während sie sich fertig machte. Über Büstenhalter und Unterrock zog sie einen hochgeschlossenen Pullover, und um die Schultern des Pullovers zu schützen, trug sie ein Kunststoffcape. Damit sollte verhindert werden, dass Make-up-Krümel auf die Wolle kamen. Nun schminkte sie sich. (...) Was sie auch tat, geschah mit entschlossener Eile und Richtigkeit, stürmisch, aber mit dem Selbstvertrauen der Expertin. Er sah ihr zu, auf dem Rand der vornehmen Badewanne sitzend, zog nun seine Hose an und stopfte das Hemd hinein. Sie nahm keine Notiz von ihm; sie versuchte ihn irgendwie los zu sein, sobald ihr Tagesleben begann."

    Es sind nur kleine Details, die sich ändern; und doch sind es gerade diese, die dem Text einen schöneren Fluss, einen anderen Rhythmus, eine größere Prägnanz geben. Gerade da, wo Saul Bellow mit durchaus männlichem, wenn auch zärtlichem Blick Frauen beschreibt, muss die Übersetzung auf Zwischentöne, Ironie, auf ein Bedeutungsflackern bedacht sein.

    "Und jetzt sage ich etwas, was sicherlich nicht 'pc-emanzipierte' Frau ist: Die Art, wie er Frauen beschreibt, ist unglaublich toll. Aber sie ist auch gemein."

    "Sie war eine kluge Frau, und was noch besser war, eine liebe Frau. Sie hatte ein gutes Herz. Und sie hatte ein schwarzes Spitzenunterhöschen an. Das wusste er."

    Die Überarbeitung der Übersetzung sowie das Lektorat der neuen Übertragungen ist Kernerarbeit. Es geht darum, dem Text in der anderen Sprache eine eigene Stimmigkeit zu geben. Gerade bei einem so genau, scharfzüngig und intelligent formulierenden Autor wie Bellow ist die erfahrene Lektorin gefragt.

    "Was auch, finde ich, typisch ist, ist die Syntax, dass zu stark am Original entlangübersetzt wird und dadurch eine Substantivierung eintritt, die einen erschlägt, wo man eben doch besser einen Nebensatz macht. Also so ein Satz:
    'Zufrieden mit der eigenen Strenge, die Härte und sachliche Unerbittlichkeit seiner Beurteilung ausgesprochen genießend, lag er auf dem Sofa, die Arme über dem Kopf erhoben, die Beine ohne Ziel von sich gestreckt.'
    Also, das neigt dazu, einen etwas zu ersticken.
    Und das kann man dann natürlich auflösen, wenn man sagt:
    'Zufrieden über die eigene Strenge" – fängt schon mal bei den Präpositionen an, und jetzt macht man: "genoss er ausgesprochen die Härte und sachliche Unerbittlichkeit seines Urteils, während er auf dem Sofa lag' so – 'die Arme überm Kopf ausgestreckt' ist alles okay. Nicht, da hat man's. ( ... )"

    Fehlt noch das dritte Hauptwerk Bellows, das die wunderbare Bücherbox komplettiert: Eike Schönfeldt hat "Humboldts Vermächtnis" auf grandiose Weise ins Deutsche gebracht – und wurde dafür kürzlich auf der Leipziger Buchmesse zu Recht mit dem Buchpreis in der Kategorie Übersetzung ausgezeichnet.
    "Humboldts Vermächtnis" ist eine Geschichte der Desillusionierung: Als Charlie Citrine den bewunderten Dichter Von Humboldt Fleisher kennenlernt, ist der bereits auf dem Rückflug vom Olymp auf den Boden der Sterblichen. Das ändert allerdings nichts an seiner Genialität, die sich nicht selten in wilden Tiraden, Hohn- und Spottreden Luft macht. Charlie Citrine hingegen entert zwischenzeitlich den Literaturbetrieb und überholt dabei seinen Förderer Humboldt. Das alles erfahren wir in Rückblenden. Charlie, nun selber alt, in einer Schreibkrise und einem Scheidungskrieg gefangen, erinnert sich an diese vergangenen Zeiten, als er vom Tod Von Humboldt Fleishers hört. Er rechnet ab mit seinem eigenen und dem literarischen Leben, denkt über die Rolle des Schriftstellers in einer korrupten Welt nach, findet Trost bei Rudolf Steiner und kommt zuletzt sogar durch Humboldts Vermächtnis zu ein bisschen Geld – zwischendurch aber gerät er in wahnwitzige Situationen mit kleinen Mafiosi oder seiner Geliebten Renata. Bellow ist hier auf dem Höhepunkt seiner Kunst, mit Fabulierlust in den niederen Gossen Chicagos herumzuspazieren und im nächsten Satz in intellektuelle Höhen zu entschweben.
    "Das Kind in mir ist entzückt, der Erwachsene in mir skeptisch" – sagte Bellow, als er im Jahr 1976 nach dem Erscheinen von "Humboldts Vermächtnis" in Stockholm den Literaturnobelpreis entgegennahm. Es folgten einige schwächere Romane, und ein langsames Verblassen seines Ruhms, wenngleich nicht wenige Autoren Saul Bellow zu ihrem Gewährsmann erwählt haben.
    Es ist bei all dem allerdings ein wenig rätselhaft, dass Bellow in Deutschland nie recht angekommen ist – selbst auf dem Höhepunkt seines Ruhms Mitte der 70er-Jahre.

    "Warum Philip Roth und er nicht? Warum? Es ist vielleicht anspruchsvoller. Aber muss ich's alles verstehen? Also wenn man 'Humboldts Vermächtnis' und 'Herzog' nimmt, setzt es natürlich eine ungeheure Lesedisziplin voraus, damit man merkt, in welcher Phase und auf welcher Ebene seines Lebens und der Erzählung man sich gerade befindet. Aber selbst, wenn ich das nicht merke, finde ich, ist es so prall von Leben, und es gibt so wahnsinnig tolle Szenen. Wer kann sowas so erzählen? Die Geschichte wie die in 'Humboldt's Vermächtnis' da oben auf dem Hochhaus stehen und man denkt, mein Gott, fällt er jetzt runter oder fällt er nicht runter? Das ist doch egal, ob ich vorher den Ausflug in die Anthroposophie ganz verstanden habe."

    Tatsächlich ist das Mixen von philosophischen Diskursen und kraftvoller Erzählung äußerst affizierend: Beides gehört auf unaufdringliche Weise zusammen, das Eine durchdringt und beleuchtet das Andere, und die Lektüre wird zu einer intellektuellen und sinnlichen Freude. Reflexion und Erzählen greifen hier wunderbar ineinander:

    "Herzog repariert das Klo in seinem Haus in den Berkshires und sagt im Kopf zu Heidegger: Was haben Sie gemeint mit dem Sturz in die Alltäglichkeit. Ich meine, noch besser kann man's doch gar nicht machen."

    Saul Bellow – Die drei großen Romane
    - Die Abenteuer des Augie March. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Henning Ahrens. Kiepenheuer & Witsch 2009. 859 Seiten. 29,95 Euro.
    - Herzog. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Walter Hasenclever. Überarbeitet von Bärbel Flad. Kiepenheuer & Witsch. 491 Seiten. 24,95 Euro.
    - Humboldts Vermächtnis. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Eike Schönfeldt. Kiepenheuer & Witsch 2009. 652 Seiten. 29,95 Euro
    Drei Bände im Schmuckschuber kosten 68 Euro