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Saul in Französisch-Guayana
Insel in einem Meer aus Pflanzen

Das kleine Dorf Saul in Französisch-Guayana zieht schon seit Jahren vor allem Pflanzenliebhaber in seinen Bann. Seine Lage mitten in einem der artenreichsten Wälder des Amazonasgebiets ist einzigartig. Doch die intakte Natur wird von illegalen Goldsuchern bedroht.

Von Bettina Kaps | 07.04.2019
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Französisch-Guyana ist fast vollständig mit tropischem Regenwald bedeckt. Die Waldregionen sind nur spärlich bevölkert und dadurch weitgehend intakt. (Bettina Kaps)
Saul liegt mitten im Regenwald. Es ist an kein Straßennetz angebunden und nur mit einem kleinen Flugzeug erreichbar. Dank seiner Abgeschiedenheit ist Saul heute ein Geheimtipp unter Wissenschaftlern und Naturliebhabern. Für die Einwohner sind die Gäste eine willkommene Einnahmequelle. Zugleich liefert das Dorf ein Beispiel dafür, wie das verarmte Übersee-Departement einen ökologisch und sozial nachhaltigen Entwicklungspfad einschlagen kann.

Baumkronen, soweit das Auge reicht. Hier und dort trägt ein Urwaldriese leuchtend violette Blüten, sonst ist alles grün. Die Propellermaschine ist in Cayenne gestartet. Die Hauptstadt des französischen Überseedepartements Guyana liegt am Atlantik. Schon kurz hinter dem Küstenstreifen wächst dichter Wald. Nach einer knappen Stunde Flug zeichnet sich eine rotbraune Schneise ab. Dort liegt das Dorf Saul. Der Pilot landet auf der Erdpiste, verabschiedet ein paar Passagiere.
Propellerflugzeug als einzige Verbindung zum Rest der Welt
Saul ist mit keinem Straßennetz verbunden, hier fließt auch kein Fluss. Der Flieger mit seinen 20 Plätzen ist die Lebensader zur Außenwelt. Kaum hat er abgehoben, geben wieder Grillen, Schrecken und Frösche den Ton an. Ein Minibus bringt die Reisenden ins Dorf. Neue, alte und verfallene Holzhäuser stehen kreuz und quer auf kurz geschorenen grünen Wiesen. Dazwischen wachsen üppig blühende Tropenpflanzen und Palmen.

"Manche, die hier mit dem Flugzeug landen, vergleichen Saul mit einer Insel in einem Meer aus Pflanzen,"
sagt Stéphane Plaine. Der kräftige Mann mit blonden Haaren, kurzem Vollbart und hellen blauen Augen steht vor einem Haus mit der Aufschrift "Parc amazonien de Guyane", Amazonas-Nationalpark. Er zeigt um sich.
"Vom Dorf aus gelangt man sofort in den Urwald. Das liegt am Relief: Saul liegt auf einer Ebene, die Flugzeugpiste auf einer zweiten Ebene, aber rundherum erheben sich Hügel, sie sind 400 bis 700 Meter hoch."
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Das Urwalddorf Saül ist nur per Flugzeug erreichbar. Zu Fuß und per Kanu durch den Amazonas bräuchte man eine Woche bis zum nächsten Ort. (Bettina Kaps)
Auf ehemaligen Goldsucherpfaden durch den Urwald
Der 52-jährige Bretonen hat sich vor drei Jahrzehnten in das Dorf verliebt. Von dort aus organisiert er Urwald-Expeditionen. Der nächste Ort ist 170 Kilometer entfernt und – abgesehen vom Flugzeug - nur zu Fuß und im Kanu erreichbar. Saul war nicht immer so isoliert, sagt Stéphane.
"In den 1930er Jahren lebten in dieser Region etwa 3.000 Menschen. Der Goldrausch hat sie angezogen. Damit ist es vorbei. Seit den 60er-Jahren ist die Gegend - abgesehen von Saul- völlig verlassen."
Durch die Goldsucher ist ein Netz an Wegen entstanden, die jetzt als Wanderwege dienen. Das Relief verhindert, dass sich das Dorf ausdehnt. Die Bevölkerung in Saul hat sich bei etwa 100 Menschen eingependelt. Sie roden nur wenig Wald, um Felder anzulegen oder Holz zu gewinnen. In Dörfern, die mit Piroggen oder Autos erreichbar sind, sehe es anders aus. sagt Stéphane.
"Ich bin durch den Amazonas in Peru und Ecuador gereist. Überall musste ich von den Dörfern aus noch stundenlang mit dem Auto fahren, um intakten Urwald zu finden. Saul ist einzigartig. Unser Dorf sollte von Studenten im Fach Tourismus untersucht werden. Wir haben oft mehr Touristen als Einwohner hier, ohne dass dadurch auch nur das geringste Problem auftaucht."

Die Gemeinde unterhält fünf Rundwege, auf denen auch Ortsfremde gefahrlos durch den Urwald spazieren können. Wer mehr Abenteuer wünscht, kann mit einem Guide tiefer in den Dschungel eindringen.
Früher kamen vor allem Botaniker
Der Weg zu einem Aussichtsturm führt an einer Wiese mit kleinen Holzhütten vorbei. Das ist die Pension "Chez Lulu". Gastwirt Lucien Timane stammt aus einer der ältesten Familien in Saul: Sein Großvater hat sich vor 100 Jahren im Goldgräberdorf angesiedelt, erzählt der 57-Jährige.
"Früher kamen vor allem Botaniker nach Saul, Amerikaner und Deutsche. Sie konnten allenfalls bei Einheimischen übernachten. Ich habe die ersten Hütten gebaut. Solange ich der Einzige war, lief es noch besser als heute. (lacht) Jetzt teilen wir uns die Birne – ist ja normal."
Inzwischen gibt es sogar ein einfaches Hotel. Von etwa 100 Übernachtungsplätzen in Saul sind allerdings die meisten schlicht Haken für Hängematten. Bis zu 4.000 Touristen pro Jahr besuchen das Dorf. An manchen Wochenenden sind sogar mehr Besucher als Einwohner im Ort. Ein Heimatmuseum ist Saul aber trotzdem nicht.
15 Schüler und Schülerinnen in der Dorfschule
Das zeigt sich in der Dorfschule. Dort unterrichtet Mireille Nugent. In ihrem Klassenraum sitzen 15 Schülerinnen und Schüler, sie sind drei bis zwölf Jahre alt. Schuldirektorin Mirabelle Nugent:
"Saul ist so abgelegen, dass es hier keine Sekundarstufe gibt. Wenn die älteren Kinder nicht ins Internat wollen, müssen sie per Fernstudium lernen. Ich betreue sie hier in der Schule, damit sie bei ihren Familien bleiben können. Das ist sehr wichtig."

Die Klasse ist ethnisch gemischt – genau wie die Bevölkerung von Guyana: Kreolen sitzen neben weißen Kindern und neben Hmong, so heißen die Nachkommen eines Volks aus Laos. Ihre Familien sind nach dem Vietnamkrieg nach Guyana geflohen. Die Lehrerin erzählt begeistert, welche Möglichkeiten sie hat.
"Unsere Schule ist zweisprachig: Französisch und Kreolisch. Außerdem mache ich die Kinder mit der Kultur der Hmong vertraut. Deren Eltern haben uns Lieder in Lautschrift notiert, damit wir sie lernen und singen können. Wir leben hier im Innersten von Guyana, sind aber für alle Kulturen offen."
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"Wir sind für alle Kulturen offen" - Mireille Nugent unterrichtet in der Dorfschule in zwei Sprachen: Französisch und Kreolisch. (Bettina Kaps)
Bürgermeisterin plant Anbindung ans Straßennetz
Es ist Freitagnachmittag, die Bürgermeisterin fliegt ein. Marie-Hélène Charles wurde in Saul geboren, ist aber in Cayenne aufgewachsen. Obwohl die 44-Jährige in der Hauptstadt lebt und arbeitet, ist es ihr gelungen, Bürgermeisterin von Saul zu werden. Für die Städterin steht fest: Saul muss ans Straßennetz angebunden werden.
"Das Leben in Saul ist sehr teuer. Wenn wir eine Schule bauen oder ein Gebäude restaurieren wollen, müssen wir alle Materialien per Flugzeug einfliegen lassen. Auch die Bewohner kaufen in Cayenne ein. Sie wünschen, dass sich Saul entwickelt. Im französischen Kernland haben alle Dörfer Straßen, warum wir nicht?"
Eine Straße zur Küste? Lucien Timane ist strikt dagegen. Der Gastwirt zeigt auf sein Haus: Die Fenster haben keine Scheiben und die Türen kein Schloss. Bei den Nachbarn sieht es ähnlich aus.
"Selbst wenn ich verreist bin, kann ich alles liegen lassen: Telefone, Computer... In Cayenne wären die Sachen sofort weg. Ich zahle lieber etwas mehr, dafür habe ich eine Lebensqualität, die es nirgends wo sonst gibt. Aber einige Nachbarn sehen das anders. Manche haben sogar illegale Goldsucher unterstützt, die ganz in der Nähe gearbeitet haben. Eine Straße würde Saul genauso zerstören wie die Goldsuche."
Illegale Goldsucher verseuchen Böden mit Quecksilber
Die Umgebung von Saul ist mit Gold gespickt, der Abbau ist strikt verboten. Aber Goldsucher aus den Nachbarstaaten Brasilien und Surinam schert das nicht. Vor zehn Jahren sind sie sogar im Dorf ein und ausgegangen. Die so genannten "Garimpeiros" arbeiten mit hochgiftigem Quecksilber. Sie verseuchen Boden und Flüsse, außerdem verwüsten sie den Wald. Trotzdem tauschten Leute aus dem Dorf damals Lebensmittel gegen Goldkörner ein und kauften ihnen erlegte Wildtiere ab, empört sich auch Stéphane Plaine. Hätten die Goldsucher keinen Nachschub bekommen, wären sie nicht so nah beim Dorf geblieben, sagt er.

Als Angestellter des Nationalparks agiert Plaine auch als Umweltpolizist. Die Jagd nach Goldsuchern gehört dazu. An diesem Morgen rüsten er und zwei Kollegen sich mit Pistolen, Munition und Handschellen aus. Einen Tagesmarsch von Saul entfernt wurde wieder einmal eine illegale Mine entdeckt. Zwei Gendarmen sind mit von der Partie.
"In einer Zone, wo es vor vier Jahren ganz viele Baustellen gab, wird Gold geschürft. Wir haben vom Flugzeug aus gesehen, dass dort zwei oder drei Minen in Betrieb sind. Dem wollen wir ein Ende machen."
Bevor er zur Patrouille aufbricht, deutet Stéphane auf Bilder an der Wand seines Büros: Da sind Jaguare, Brüllaffen, Tapire, Kaimane, Boas, Papageien und blaue Schillerfalter abgebildet. Die Artenvielfalt rund ums Dorf ist groß.
"Im Wald von Saul leben alle charakteristischen Tiere des Amazonasgebiets. Es ist allerdings nicht einfach, sie zu sehen. Dafür braucht man Erfahrung und viel Geduld. Nur die Affen leben in Herden nahe beim Dorf, fast alle anderen Tiere sind Einzelgänger."
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Die Parkwächter sind auch Umweltpolizisten: Stéphane Plaine bricht mit Kollegen und Gendarmen in den Urwald auf, um illegale Goldsucher festzunehmen. (Bettina Kaps)
Einer der schönsten Wälder des Amazonas
Garantiert sei hingegen, dass Besucher in Saul durch einen der schönsten und vielfältigsten Wälder des Amazonas wandern könnten.
"Es heißt: Auf einem Hektar Wald in Guyana wachsen mehr Baumarten als in ganz Europa. Wir haben Orte, wo 400 verschiedene Baumarten auf einem Hektar registriert wurden, hinzukommen Büsche und Schattengewächse. Die jüngsten Erhebungen verzeichnen 1.500 verschiedene Baumarten."
Für den Parkwächter steht fest: Saul hat nur dann eine Zukunft, wenn es auf Öko-Tourismus setzt. Und eine Insel bleibt im Pflanzenmeer.