Archiv


Saure Muscheln

Umwelt. - Steigt der Kohlendioxid-Gehalt in der Luft, wird das Meerwasser saurer, was wiederum viele Lebewesen, die beispielsweise Kalk für den Aufbau ihrer Schalen brauchen, nicht gut vertragen werden. Inzwischen mehren sich die Hinweise der ersten Auswirkungen auf die maritimen Ökosysteme.

Von Dagmar Röhrlich |
    Es ist nichts anderes als flüssiges Kohlendioxid, was da aus der Champagner-Quelle am Eifuku-Vulkan strömt. Langsam wie Gelee löst es sich in 1600 Metern Tiefe aus dem Meeresboden - und lässt ein äußerst ungewöhnliches Ökosystem entstehen. Der Eifuku ist ein natürliches Labor für die Ozeane der Zukunft, denn die Kohlensäure verwandelt dort das normalerweise mehr oder weniger basische Meerwasser in Säure. Eigentlich sollten Lebewesen mit Kalkschalen in einer solchen Umgebung nicht überleben: Ihre Schalen müssten sich einfach auflösen. Und trotzdem gibt es dort Muscheln:

    "Diese Muscheln Bathymodiolus brevior leben an Stellen, wo dicke Strahlen von flüssigem Kohlendioxid aus der Erde strömen. Sie sitzen sogar dicht an dicht in riesigen Kolonien. Allerdings gibt es dort nur sehr wenige junge Muschel, was uns zeigt, wie schwierig unter diesen Bedingungen die Fortpflanzung sein muss. Vielleicht gelingt das nur, wenn der Kohlendioxidfluss aus der Quelle einmal nachlässt. Das ist verrückt."

    Was die Kameras der unbemannten Tauchroboter an Bildern an die Oberfläche lieferten, hatten die Biologen nicht erwartet, erklärt Kimberley Davies von der Dalhousie University im kanadischen Halifax. Was fehlte, waren leere Muschelschalen von toten Tieren:

    "Die wenigen toten Muscheln deuten darauf hin, dass sich die Muscheln schnell nach ihrem Tod auflösen. Von den Tieren, die erst vor kurzem gestorben waren, blieb nur das Muskelfleisch übrig, die Schale hatte sich bereits aufgelöst."

    Denn die Muschel produziert solange sie lebt einen schützenden Überzug, der sie vor der Auflösung bewahrt. Sobald sie stirbt, löst sich dieser Überzug auf - und mit ihm die Schale.

    "Als wir im Labor diese Bathymodiolus-Schalen mit normalen von anderen Quellen verglichen, sahen wir deutliche Unterschiede. Muscheln, die an einer normalen Quelle lebten, haben zwar auch diese Hülle um ihre Schalen, die sie vor dem Kontakt mit dem Meerwasser schützt. Aber diese Hülle hat durchaus Lücken, und das macht nichts aus. Anders an der Champagnerquelle. Dort kann sich keine Muschel ein Loch in ihrem Schutz erlauben, sonst löst sich das Tier von außen auf."

    Außerdem wächst Bathymodiolus nur halb so schnell wie anderswo, ihre Schalen sind papierdünn, manchmal sogar durchsichtig. Die Muschel schwächelt also am Eifuku-Vulkan. Dass sie trotzdem in Massen vorkommt, hat anscheinend zwei Gründe: Einmal lieben die symbiontischen Bakterien, mit denen sie zusammenlebt, diese Wasserchemie sehr und liefern der Muschel reichlich Zucker als Nahrung. Zum zweiten fehlen die räuberischen Krabben, die Bathymodiolus sonst das Leben schwer machen. Warum es sie hier nicht gibt, ist unklar. Denn andere, nicht jagende Krabben konnten sich an diese extreme Umwelt anpassen. Weil die Überlebenstricks der Muschel so ausgefeilt sind und sie Glück mit ihrer Nachbarschaft hat, fällt die Lehre vom Eifuku nicht gerade beruhigend aus:

    "Durch die Aufnahme des anthropogenen Kohlendioxids ins Oberflächenwasser wird sich der Säuregrad der Zukunftsozeane verschieben. Das ist klar. Klar ist auch, dass er niemals so extrem werden wird wie am Eifuku. Die Muscheln dort beweisen uns, wie anpassungsfähig Organismen sind, wenn man ihnen nur genügend Zeit lässt. Das könnte optimistisch stimmen. Aber andererseits sehen wir heute schon in den Küstengewässern Anzeichen dafür, dass Organismen wie Korallen oder das Zooplankton mit Kalkschalen durch die Veränderungen im pH-Wert beeinträchtigt sind - und in einem normalen Ökosystem gibt es immer Räuber. Lebewesen mit schwachen Schalen haben keine Chance."

    Für die Zukunftsozeane ab 2050 bedeuten die Muschelpflaster also keine Entwarnung.