Donnerstag, 28. März 2024

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Scan für das Seelenheil

Der Boom der Hirnforschung hat auch vor der Psychiatrie nicht Halt gemacht. Seit mehr als zwei Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler über den Blick ins Gehirn psychiatrische Erkrankungen  besser zu verstehen. Ein alter Traum soll sich erfüllen: Statt Störungen wie Schizophrenie und Borderline nur oberflächlich über Symptome zu definieren, will man die dahinter liegenden  Mechanismen finden, zum Nutzen der Patienten. Allerdings sind die Ergebnisse bisher nicht gerade ermutigend.

Von Martin Hubert | 22.04.2012
    "Meine Name ist Ursula Talke. Ich stelle mich, wenn ich irgendwo mich vorstelle, als psychiatrieerfahrene, psychosebegabte Rehabilitationspädagogin vor."

    Während sie diese Sätze sagt, sitzt Ursula Talke in weißer Bluse in ihrer Küche. Im Zimmer nebenan steht zwar ein Sofa, aber darauf setzt sie sich nie. Auf dem Herd brodeln Töpfe, Tagsüber hat die 50jährige geschlafen, jetzt will sie essen. Ursula Talke lebt nach einer eigenen, schützenden Ordnung. Seit ihrer Jugendzeit erlebt sie immer wieder psychotische Schübe. Ihr Arzt spricht von einer schizo-affektiven Psychose, einem Mix aus stürmischen Gefühlsaufwallungen und schizophrenen Symptomen. Aber im Lauf ihres Lebens wurde sie auch schon mit anderen Diagnosen belegt. Das hat sie skeptisch gemacht.

    "Ich habe keine Erwartungen an irgendwelche Wissenschaftler, ich bin mein eigener Wissenschaftler und bin dann, wenn es mich erwischt, auf Experimentieren angewiesen und habe auch ein sehr gutes Gespür dafür, was mir gut tut und was nicht."

    "Wenn man beim Feld der Medizin bleibt, ist es ungefähr so auf dem Niveau, wie wenn man um die Jahrhundertwende festgestellt hat: Menschen sind gelb und sie sind unterschiedlich gelb, mal hellgelb, mal dunkelgelb, und hatte dann verschiedene Einteilungen gemacht, bis irgendwann mal jemand auf die Idee gekommen ist, da gibt’s Störungen, die mit der Leber zusammenhängen und man die erst aufklären kann, wenn man die Binnenstruktur der Leber versteht in ihrer Funktion. Das war die Grundvoraussetzung dafür, dass man in die Therapie reinkam. Im Gehirn ist es ähnlich. Da sind wir einfach 100 Jahre hinter der somatischen Medizin her: dem müssen wir uns stellen."

    Martin Bohus ist Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Auch er ist unzufrieden mit der Art und Weise, wie psychiatrische Leiden behandelt und diagnostiziert werden. Die Ärzte benutzen einen Katalog reiner Symptombeschreibungen. Jemand gilt zum Beispiel als schizophren, wenn er über längere Zeit eine bestimmte Anzahl von Symptomen aufweist: zum Beispiel Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Ich- oder Wahrnehmungsstörungen. Ist jemand seit mehr als zwei Wochen traurig, unruhig, antriebs- oder schlaflos, heißt die Diagnose: Depression. Sehr scharf sind diese Klassifikationen nicht. Denn auch Schizophrene sind oft depressiv. Und Depressive können sich wie Schizophrene in irrealen Gedanken verlieren. Schon seit langem träumen Psychiater daher von größerer Klarheit in ihrem Fach.

    Martin Bohus: "Durch die Tatsache, dass wir jetzt dem Gehirn beim Arbeiten zublicken können, katapultiert uns das in einen Erkenntnisrausch, den wir erst mal sortieren müssen."

    Die bildgebenden Techniken der Hirnforschung scheinen für dieses Ziel geeignet. Die Kernspintomographie kann zum Beispiel messen, wo im Gehirn der Sauerstoffverbrauch gestört oder wo Nervengewebe ausgefallen ist. Mit Hilfe der Positronenemissionstomographie lässt sich zusätzlich feststellen, ob Empfangsstrukturen für Hirnbotenstoffe gestört sind. Wenn aber bestimmte Hirnstrukturen nicht mehr richtig funktionieren, sollten sich daraus auch psychische Störungen ableiten lassen. Seit zwei Jahrzehnten wird inzwischen in diesem Sinne intensiv geforscht. Messdaten existieren im Überfluss.

    Ursula Talke: "Ich war dreimal verreist gewesen in dem Jahr, ich hatte den Verlust meiner Jugendliebe nicht verwunden, das war im Sommer davor gewesen, es stand jemand anders an."

    Das Mikrophon darf ihr nicht zu nahe kommen. Das war die Bedingung für ein Gespräch. Ursula Talke gießt manchmal mitten im Sprechen Tee ein. Oder sie springt spontan auf, um am Herd etwas zu richten. Es dauert eine Weile, bis sie über ihren ersten psychotischen Schub spricht, der mitten in der Pubertät einsetzte:

    "Na gut, da kam dann so alles zusammen: kein Mittagsschlaf, Berlin das erste Mal erlebt, Kirchentagseuphorie, dann hat sich im Dorf jemand umgebracht, den ich sehr mochte, fand ich furchtbar, ich war also aufgemischt, aufgewühlt, ausgehebelt, zu Hause gab es Pubertätskonflikte, Radau.Und das waren so diese Konflikte, die so unterschwellig abliefen. Und dann brach das binnen zwei Wochen so hervor, dass sich dann jemand mit meiner Mutter und mir ins Auto setzte, und dann ins Landeskrankenhaus und dann haben sie mich dagelassen."

    Für Schizophrene ist die Selbstverständlichkeit des Lebens verloren gegangen. Die Welt erscheint rätselhaft und bedrohlich, das Ich verliert seinen inneren Zusammenhang. Sie können nicht mehr unterscheiden, was Vorstellung, Einbildung oder Halluzination ist und was äußere Realität. Ihr Denken wirkt zerfahren, Erinnerungen zerfallen.

    "Psychosen haben eine Vorlaufzeit von 'Sich-Nicht-Gut-Fühlen' von mittlerweile kann man sagen circa fünf Jahren. Das heißt die Menschen, die möglicherweise einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, eine Psychose zu bekommen, haben Schlafstörungen, haben Konzentrationsstörungen, fühlen sich insgesamt depressiv, fühlen sich abgeschlagen. Und insofern geht es definitiv darum, ein undefiniertes Unwohlsein genauer zu charakterisieren: Was ist da eigentlich los?"

    Eva Meisenzahl von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München. Sie interessiert sich für die Frühprognose von Schizophrenie, weil sie es für möglich hält der Psychose vorzubeugen. Schizophrene Menschen sind hochsensibel und haben ein verletzliches Nervenkostüm. Als Ursachen dafür nehmen die Wissenschaftler genetische Faktoren und eine gestörte Hirnentwicklung an, sodass die Betroffenen Reize nicht mehr gut filtern können. Aber diese Verletzlichkeit mündet oft erst dann in psychotische Schübe, wenn belastende Lebensbedingungen dazu kommen. Therapeutische Hilfe schon vor dem ersten Schub sollte daher auch langfristig positive Folgen haben, glauben Psychiater heute. Eva Meisenzahl suchte also in Hirnscans nach brauchbaren Hinweisen - und wurde fündig.

    "Wir haben kernspintomographische Untersuchungen durchgeführt bei 17-, 18jährigen Probanden. Und das, was man natürlich sieht, das sind so genannte Hochrisikoprobanden für eine Psychose - da sind jetzt Menschen dabei, die die Psychose später bekommen und welche, die sie nicht bekommen - wenn man die einfach im Kernspin betrachtet, dann zeigt sich eine Abnahme im Bereich der grauen Substanz. Hier finden schon Prozesse statt, die diese Hochrisikoprobanden von anderen unterscheiden, von den gesunden Kontrollpopulationen."

    Eva Meisenzahl wollte anschließend herausfiltern, welche dieser Volumenänderungen in der grauen Substanz der Nervenzellen tatsächlich zur Schizophrenie führen. In Kooperation mit Forschern aus Philadelphia und Jena nutzte sie dazu die so genannte multivariate Vektor-Support-Analyse, ein computergestütztes Mustererkennungsverfahren. Es rechnet die kleinstmöglichen Unterschiede heraus, die Risiko- und Nichtrisikoprobanden in ihrem Gehirn aufweisen. Dieses hoch aufgelöste Muster benutzte Eva Meisenzahls Team dann für die Feinanalyse einer zweiten Gruppe von Hochrisikoprobanden.

    "Nachdem wir eine Kernspintomographie gemacht hatten, haben wir diese Probanden verfolgt über vier Jahre, das waren ungefähr dreißig, und haben geschaut, wer von ihnen dann eine Psychose entwickelt."

    Knapp die Hälfte der Betroffenen wies nach vier Jahren psychotische Schübe auf. Dann führte das Münchner Team erneut eine Kernspinuntersuchung durch. Per Vektor-Support-Analyse verglich es die Ergebnisse mit den früheren Aufnahmen:

    "Und das Bemerkenswerte war, dass das in den Kernspins vier Jahre vorher schon sehr, sehr gut zu sehen war. Und das hat uns natürlich angetrieben, die Frage zu bearbeiten, ob ich das denn auch im Einzelfall prädizieren kann und das hatte sich eben mit der Kernspintomographie bewahrheitet , nämlich im frontalen Bereich, im Bereich der Ventrikelsysteme und im Bereich des temporoparietalen Cortex."

    Der frontale Bereich oder das Vorderhirn ist für planende, kontrollierende und andere komplexe geistige Aufgaben zuständig. Der temporoparietale Bereich zwischen Schläfen und Scheitellappen bearbeitet unter anderem Erinnerungen. Die Ventrikelsysteme sind Hohlräume, in denen Hirnwasser fließt. Veränderungen dieser Hirnareale erlaubten es wie ein Fingerabdruck mit fast neunzigprozentiger Sicherheit vorherzusagen, wer nach vier Jahren schizophren wurde. Eine andere Forschergruppe hat diese Ergebnisse gerade bestätigt.

    Ursula Talke: "Es gibt verschiedene Ebenen, wie das Denken abläuft. Und ich gewinne dann die eine dazu, wo es mir scheint, als ob sich das Gedankenleben verselbstständigt und sich Sätze, Worte - aber mit Sinngehalt - wie aus meinem Bauch kommend konfigurieren. Das heißt, es ist mehr so wie wenn ich zuschauen kann, das ist eben nicht so aktiv wie sonst. Ich kann aber auch eingreifen, indem ich regelrecht sage 'Ich', wenn das Chaos zu toll wird. Oder wenn ich es eben nicht aushalte ohne Medikamente, dann nehme ich aber nur eine kleine Dosis, dann ist es so ein bisschen abgesackt."

    Das Denken verselbständigt sich in psychotischen Schüben, wird wild und ungeordnet, überlagert die Realität, kann wahnhaft werden. In solchen Krisen, erzählt Ursula Talke, treibe es sie oft in die schlesische Heimat ihrer Eltern. Sie lacht, schüttelt den Kopf, kann selbst kaum begreifen, wie sie in diesem Zustand manchmal mit dem Zug überhaupt wieder zurückgekommen ist.

    "Die Umwelt ist dann nicht anders, sondern ich nehme sie anders wahr, weil ich anders bin in dem Moment. Was ist da in mir? Es zog sich über mehrere Wochen hin, dass ich Außengeräusche anders wahrgenommen habe, die U-Bahn fuhr anders, es hörte sich alles etwas anders an, und es fühlte sich etwas anders an: alles vibrierte."

    Die Schizophrenie ist eine der Krankheiten, bei denen sich echter Fortschritt nur langsam einstellt – wenn überhaupt. Bereits in den 60er- und 70er-Jahren entstand die Hypothese, dass Schizophrenie mit dem Hirnbotenstoff Dopamin zu tun hat. Denn die ersten wirksamen Neuroleptika blockierten diesen Botenstoff. Seit den 90er-Jahren wurde diese These immer weiter verfeinert - mit wesentlicher Hilfe der bildgebenden Methoden. Einige Studien belegen inzwischen, dass während eines Schubs bis zu 20 Prozent mehr Dopamin an den Nervenenden ausgeschüttet wird. Ein wichtiges Erklärungsmodell dafür lautet: Dopamin hebt Reize als bedeutungsvoll empor. Es lenkt die Aufmerksamkeit um so stärker auf Farben, Formen und Laute, je stärker es ausgeschüttet wird. Auch Stress erhöht diese Ausschüttung. In belastenden Situationen sorge der erhöhte Dopaminumsatz daher dafür, dass auch unwichtige oder ganz normale Reize plötzlich mit Bedeutung aufgeladen werden und den Betroffenen überfluten. Plötzlich klingt ein Zug fremd und verstörend, die Welt vibriert, scheint permanent Signale zu senden. Das kann euphorisch stimmen - aber meist macht es Angst.

    Ursula Talke: "Sie müssen sich vorstellen, dass man da einfach viel dünnhäutiger ist, dass also alles, was so hin und her wabert, das nimmt man viel unmittelbarer wahr als im Normalzustand. Wenn man überhaupt nicht mehr schlafen kann, tagelang und dann in diesem Zwischen-zustand zwischen man könnte sagen 'Wach-Traum', wo man wohl noch handeln kann aber nicht mehr denken wie 'Denken' sondern mehr wie in Bildern erlebt. Und die große Angst, ist dann, nie wieder schlafen zu können und immer in diesem Zwischenraum bleiben zu müssen und das macht ganz ganz ganz viel Angst."

    Die Dopaminhypothese kann also wahnhafte Symptome und den Wirkmechanismus mancher Medikamente zumindest im Ansatz verständlich machen. Ein so wichtiges Erklärungsmodell sollte eigentlich für die Diagnose verwertbar sein.

    "Wenn Sie über zwei Stunden den Dopaminumsatz messen, dann kann man das eigentlich machen, dann kann man in der Mitte eine Linie durchziehen und sagen, wer darüber liegt und darunter liegt, ist mit großer Wahrscheinlichkeit psychotisch oder nicht - das ist aber ein Riesenaufwand."

    Andreas Heinz ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité, Campus Mitte. Er sieht neurowissenschaftliche Fortschritte, unterstreicht aber auch die Begrenztheit der neuen Erkenntnisse. Die Dopaminmessung sei momentan nicht alltagstauglich. Und auch bezüglich der Hirnscans warnt er vor allzu großer Euphorie.

    "Warum man vorsichtig sein muss, ist der Punkt, dass eben die Menschen glücklicherweise so variabel sind und wenn man die quasi ein paar Monate später misst, kann das schon wieder anders aussehen. Also um das wirklich diagnostisch einsetzen zu können, muss man erst mal zeigen, dass das stabil ist. Das ist für viele Befunde nicht so. Was aber, wie ich finde, ein Glück ist und zeigt, wie veränderlich wir Menschen sind, und das ist ja auch eine Hoffnung: Dass wir nicht in der Psychose für immer bleiben, ist ja eigentlich günstig."

    Bildgebende Verfahren zeigen immer nur Momentaufnahmen eines Gehirns. Außerdem, so Andreas Heinz, habe man es in der Bildgebung mit äußerst kleinen Veränderungen zu tun.

    "Die ist minimal, die Sauerstoffausnutzung, das liegt bei einem Prozent Unterschieden. Das heißt, da muss man sehr genau schauen und nicht jede neuronale Aktivierung wird damit abgebildet, sondern nur eine, die genug Hirnbereiche involviert. Und dann ist noch die Frage: Was misst man eigentlich? Man misst wahrscheinlich das, was an Information in diese Hirnbereiche reinkommt, nicht, was rausgeht, denn, um quasi als Hirnregion aktiv die nächste zu aktivieren brauchen Sie relativ wenig Energie, sie brauchen viel Energie, um die Information zu verarbeiten. Also man hat einen begrenzten Blick aufs Gehirn."

    Die Unterschiede zwischen einem gesunden und einem veränderten Gehirn sind oft minimal, die Ergebnisse nur schwer zu interpretieren und komplex, wenn nicht widersprüchlich. Nicht zuletzt bleibt ein grundsätzliches Problem: ein mathematisches Muster sagt nichts darüber aus, wie jemand sein Erleben unabhängig von den Hirndaten bewertet.

    "Es gibt ja viele Menschen, die organisieren sich als Stimmenhörer und sagen, ich höre Stimmen, es stört mich - aber ich lebe damit!"

    "Und dann habe ich im Laufe meiner ganzen Psychoseerfahrung zwei Mal Stimmen gehört, in Akutphasen von Schüben: einmal die meines Hausarztes, der gab irgendwie so Regieanweisungen","

    Ursula Talke sagt von sich selbst, dass sie eigentlich keine Stimmenhörerin sei. Und die wenigen Male, als sie welche hörte, waren harmlos,

    ""und beim zweiten Mal war es eben die Stimme von jemandem, mit dem ich telefonisch sehr verbunden war und der der Auslöser des Schubes war.Ich wusste schon, dass der nicht da ist, aber ich habe ihn gehört."

    Andreas Heinz: "Dann ist es doch nicht als Erkrankung zu werten, auch wenn das Gehirn jetzt genauso aussieht wie bei jemandem, der Stimmen hört und damit nicht mehr leben will oder gar sich was antut, weil ihm die Stimme immer befiehlt, sich vom Dach zu stürzen!"

    Etwa ein Drittel aller Schizophrenen hört Stimmen.Und es gibt klare Befunde, dass bei ihnen Hirnareale aktiv sind, die normalerweise akustische Reize verarbeiten. Es passiert also tatsächlich etwas in ihrem Gehirn. In Aachen arbeiten Wissenschaftler daran, Stimmenhören mit Hilfe bildgebender Verfahren zu therapieren.

    Kunstwörter, die angenehme oder unangenehme Gefühlsassoziationen wecken sollen. Seit einigen Monaten präsentiert sie ein Team um Klaus Mathiak von der Aachener Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Versuchspersonen. Die Probanden versuchen, den emotionalen Gehalt der Wörter gezielt zu verändern, indem sie ihre Gehirntätigkeit beeinflussen. Es geht um Neurofeedback. Im Kernspintomographen wird ihnen zurückgemeldet, ob sich die Aktivität des sogenannten vorderen Cingulums verändert. Dieses Hirnareal ist an der Steuerung der emotionalen Qualität von Stimmen beteiligt. Nach dreitägigem Training können die Versuchspersonen das Areal recht gut beeinflussen. Seitdem klar ist, dass die Methode im Prinzip funktioniert, hat Klaus Mathiak begonnen, schizophrene Stimmenhörer zu testen. Es handelt sich um Härtefälle, bei denen bisher keine andere Therapie funktioniert hat. Nun sollen sie per Neurofeedback versuchen, ihre Stimmen zu beeinflussen, die sie fast permanent begleiten. Das "Wie", bleibt ihnen selbst überlassen. Mathiak:

    "Vorstellung sportlicher Aktivität, Vorstellung von Musikinstrumenten bis hin zu angenehmen Erinnerungen an die Vergangenheit, sich vorstellen, dass man tanzen würde, eine ganze Reihe von Möglichkeiten tun sich da immer wieder auf."

    Fünfzehn schizophrene Patienten hat Klaus Mathiak bisher getestet, bei drei Stimmenhörern ist die Messung abgeschlossen: mit Erfolg. Die Betroffenen ließen sich offenbar auf das Verfahren auch deshalb so bereitwillig ein, weil es sie nicht direkt mit der Frage "krank oder nicht krank" konfrontierte.

    "Das ist, glaube ich, der Vorteil von dem Neurofeedback, dass wir ja einfach nur davon reden, dass regionale Hirnaktivität reguliert werden soll und dass wir somit im Gegensatz zu vielen psychotherapeutischen Verfahren erst einmal gar nicht in Diskussion kommen, ob das nun irgendeinen Einfluss auf die Stimmen haben soll oder nicht."

    Die Patienten können versuchen, die Stimmen milder zu stimmen oder positiver zu gestalten. Und sie können Erfahrungen machen, die ein Kernproblem der Schizophrenie betreffen: Dass man nicht mehr unterscheiden kann, was im eigenen Kopf entsteht und was von außen kommt.

    "Eine von diesen drei Patientinnen, die hat nachher ganz klar formuliert, dass es einen direkten Einfluss auf die Stimmen gab und daraus konnte sie auch zurück schließen: Na ja, vielleicht hat die Stimme dann doch etwas mit meiner eigenen, mit meinem eigenen Zustand, mit meinem eigenen Gehirn zu tun. das ist eine grundsätzliche Einsicht, die den Patienten verschlossen bleibt, also gerade den Patienten, die sehr starke Therapieresistenz haben."

    Ein Prognosemuster für Schizophrenie, das zu 90 Prozent funktioniert. Ein Erklärungsmodell, das im Fluss ist und noch weiter entwickelt werden muss. Ein Feedback-Verfahren zum Stimmenhören im Anfangsstadium. Viel mehr hat die bildgebende Hirnforschung nach zwanzigjährigen Anstrengungen nicht vorzuweisen. Weder ein neues Medikament noch ein neuer psychotherapeutischer Ansatz sind in Sicht. Man kann das als niederschmetternde Bilanz bezeichnen. Die Neuropsychiater jedoch sagen, es sei mehr als das. Und die ersten Ergebnisse spornen sie an, weiter zu machen. Doch was vielleicht noch viel wichtiger ist: während die Bildgebung dem Gehirn verwertbare Einsichten abzuringen versucht, bahnt sich ein Paradigmenwechsel an. Der Blick auf psychiatrische Krankheiten scheint sich zu verändern.

    Ursula Talke: "Ich habe mich verliebt und ich wusste, dass er eine Freundin hat, und dann habe ich ihm das gesagt und er guckte mich fest an und hatte mich dann eben besucht und dann passierte das, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte: er stieg drauf ein, und dann - das ist der Mann, der mir zugedacht ist!"

    Seelische Erschütterungen, erzählt Ursula Talke in ihrer Küche, stünden oft am Anfang ihrer psychotischen Schübe. Gerade wenn sie sich verliebt, kann die Situation brisant werden.

    "Und dann währte das nicht lange. Er sagte dann ein Date ab und ich ging unter die Decke. Und da hatte ich ihn also noch einmal am Telefon und er sagte dann: 'Bitte rufe mich nicht mehr an, ich möchte die Beziehung zu dir abbrechen!' Und war dann nicht mehr ansprechbar."

    Ursula Talke ist keine Borderlinerin. Aber auch Borderlinepatienten haben Probleme im zwischenmenschlichen Bereich. Sie stürzen sich verzweifelt in intensive Beziehungen, ziehen sich aber auch schnell wieder zurück und können schlecht akzeptieren, wenn ein anderer auf Distanz geht.

    "Und das ist etwas, was man mit mir nicht machen kann. Ich habe dann einen apokalyptischen Höhenflug gestartet: er konnte seinen Anrufbeantworter nicht mehr benutzen, weil ich den ständig vollgequatscht hatte. Und im Briefkasten fand sich auch so einiges, einmal bin ich ihm auch quer gekommen."

    Borderliner haben mit vielen Problemen zu kämpfen. Neben Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich leiden sie unter Identitätsproblemen: Sie fühlen sich heimatlos, fremd in der eigenen Haut. Um sich zu spüren, verletzen sie sich oft selbst. Ihre Gefühle können sie nur schlecht regulieren. Mal sind sie wütend und aggressiv, mal verzweifelt. Die Hoffnung, mit dem Blick ins Gehirn all diese Befunde auf eine zugrunde liegende Störung zurückführen zu können, hat sich nicht bislang nicht erfüllt. Ein übergreifendes Hirnmuster, das mit hoher Sicherheit auf Borderline schließen ließe, konnten Neurowissenschaftler bis heute nicht ausmachen. - Vielleicht, weil es diese eine Krankheit gar nicht gibt? Könnte es sein, dass Borderline in Wirklichkeit nur die Summe mehrerer Einzelstörungen ist? Zu denen nämlich gibt es Hirnbefunde.

    Sabine Herpertz, die Direktorin der Klinik für allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg, hat die Amygdala untersucht, ein Areal, das auf emotionale Reize reagiert. Konfrontiert mit emotionalen Bildern und Gesichtern, reagiert sie bei Borderlinepatienten ungewöhnlich stark. Das könnte die Impulsivität erklären.

    "Wir wissen jetzt aus weiteren Studien, dass neben dieser erhöhten Amygdalaaktivität wohl auch die Inselregionen eine erhöhte Aktivität zeigen und die Inselregion ist wichtig für körperliche Korrelate von Gefühlen. Und es gibt jetzt die Annahme, dass gerade diese Spannungszustände, die ja sehr eindrücklich bei Borderlinepatienten auftreten, dass die etwas mit dieser erhöhten insulären Aktivität zu tun haben könnten."

    Martin Bohus: "Wir sind dabei, uns von den Diagnosen zunehmend zu verabschieden und eher in die Phänomene reinzugehen und zu sagen, hier gibt es Überschneidungen und es gibt Phänomene wie zum Beispiel Emotionsregulationsprobleme, die habe ich bei einer ganzen Reihe von Störungen. Und alle rechnen damit, dass sich in zehn, 15 Jahren die Diagnostik und unser Grundverständnis der psychischen Störung völlig ändern wird, indem sie neu zusammengesetzt und dekonstruiert wird."

    Schon bei der Schizophrenie sind die Psychiater immer mehr davon überzeugt, dass es sich bei ihr gar nicht um eine einheitliche Krankheit, sondern um ein Cluster verschiedener Störungen handelt. Das, so Martin Bohus, ließe sich verallgemeinern.

    "Zum Beispiel so etwas wie eine Zwangserkrankung, die darin besteht, dass jemand zum Beispiel repetitiv sich duschen muss oder sich waschen und Ähnliches - wird eigentlich eingesetzt aus dem gleichen Grund wie jemand anderes Wutausbrüche hat oder Ähnliches: um einfach ganz bestimmte Emotionen zu bewältigen, er hat nur eine andere Strategie gewählt. Und wenn man weiß inzwischen, dass das ein Versuch ist, Emotionen auf dysfunktionale Art und Weise runter zu regeln, kann man sagen: OK, das ist das Grundproblem, das äußert sich einmal in der Zwangserkrankung, einmal vielleicht sogar in der Drogen- und Alkoholerkrankung und das dritte Mal in der vierten Erkrankung, die in den Schubladen heute getrennt sind, aber auf den gleichen Mechanismus zurückgeführt werden können. Das ist der neue Trend und dazu ist die Bildgebung natürlich von extrem hoher Wichtigkeit, weil man genau damit in der Lage ist, quer durch die ganzen Entitäten zu gucken und auf die Mechanismen zu gehen."

    So genannte Pathomechanismen, gestörte psychische Grundmechanismen, die auch im Hirn ablesbar sind, stünden dann im Mittelpunkt der Psychiatrie. Wie funktioniert Gefühlsregulation, soziales Verstehen, ein einheitliches Ichgefühl, und wie sehen deren Störungen im Gehirn aus? Ein solcher Ansatz hätte auch Auswirkungen auf die Therapie. Anstelle der bekannten Therapieschulen träten spezielle therapeutische Bauelemente oder Module. Martin Bohus hat gerade einen Forschungsantrag für eine solche "modulare Psychotherapie " gestellt. In zehn Jahren, meint er, könnte das Projekt abgeschlossen sein. Ob dieser Ansatz weiterhilft, muss sich erst noch zeigen. Aber er provoziert bereits jetzt kritische Fragen: Welche Rolle sollen spezifische Krankheitsbilder wie Schizophrenie oder Borderline noch spielen, wenn sich die Forschung hauptsächlich für allgemeine Mechanismen interessiert? Und wie wichtig ist dann noch das subjektive Erleben und das Verhalten der Patienten? Wie relevant genaue Symptomanalysen sein können, hat Eva Meisenzahl gerade erst in München erstaunt festgestellt. Als sie mit Hilfe der mathematischen Mustererkennung nicht Hirnbefunde, sondern Ergebnisse aus Gedächtnis- und Sprachfähigkeitstests auswertete, ließ sich genauso gut voraussagen, ob jemand schizophren wurde oder nicht.

    "Für uns ist das einfach ein interessantes Ergebnis: wir sind ja Bildgeber und machen Hirnaufnahmen und dann stellen wir fest, dass die Sache eigentlich noch ein bisschen einfacher zu haben ist."

    Sabine Herpertz: "Deswegen ist mir auch ganz wichtig, dass man wirklich die Methoden kombiniert, und nicht zu einem reinen Bildgeber wird."

    Ursula Talke: "Ich weiß nicht, wie das von außen wahrgenommen wird, ich habe nur die Innenperspektive und die ist für mich persönlich völlig normal. Ich bin wie ich bin und ich bin nicht krank und ich lebe halt mit dieser Fähigkeit und mit dieser Konstitution, Psychosen bekommen zu können. Diese so genannte Erkrankung, das ist das größte Abenteuer meines Lebens."