Donnerstag, 28. März 2024

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Schaalsee
Natur-Oase zwischen zwei Ländern

Bis zum Mauerfall teilte die innerdeutsche Grenze den Schaalsee. Heute führt die Ländergrenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern mitten durch den See. Mit bis zu 72 Metern ist er nach dem Bodensee der zweittiefste See Deutschlands – und ein wahres Naturparadies.

Von Gisela Jaschik | 02.10.2016
    Mecklenburg-Vorpommern, Schaalsee, Steg in Zarrentin.
    Mecklenburg-Vorpommern, Schaalsee, Steg in Zarrentin. (Gisela Jaschik)
    "Das ist so die Sache: Sind wir jetzt im Osten? Sind wir im Westen? Weil der Schaalsee ist in der Mitte geteilt. Die eine Hälfte ist die lauenburgische Seite des Naturparks Lauenburgische Seen. Und als Ostseite sind wir das Biosphärenreservat."
    Monika Rux vom Informationszentrum Pahlhuus in Zarrentin erlebt oft, dass Besucher nachfragen. Die Verhältnisse am Schaalsee sind eben etwas kompliziert: ein See - zwei Bundesländer und zwei verschiedene Naturschutzgebiete: "Er besteht aus neun einzelnen Seen, die alle Verbindung haben und so den Schaalsee bilden. Er ist von keiner Stelle vom Ufer aus als Ganzes einzusehen. Nur aus der Luft."
    Bodo Schömer vom Förderverein "Schaalsee" macht Naturführungen am östlichen Seeufer: "Der Schaalsee ist schon was Besonderes. Und das Biosphärenreservat geht ja leider in der Mitte durch. Die ehemalige DDR-Grenze. Im Westen ist ja der Naturpark schon ewig gewesen. Wir arbeiten gut zusammen."
    Dicht bewachsene Uferzonen bieten Wild- und Wasservögeln zahllose Verstecke. Eine gewollte Wildnis, in der Menschen glückliche Beobachter sind: "Tatsächlich ein Seeadler! Hier direkt drüber gekreist. Ich wusste gar nicht, dass die so eine Art Rüttelflug machen können. Also, wenn man hier sitzt, hat man eine gute Chance, ihn zu sehen zu bekommen. Das ist mein aller-allererster Seeadler gewesen." Gabriele Kretzschmer strahlt. Am Schaalsee war die Urlauberin aus dem Harz schon mehrmals. Aber das Glück, Seeadler über sich kreisen zu sehen, hat sie erstmals beim "Seeblick", einem Cafe-Kiosk in Lassahn – auf der östlichen, der mecklenburgischen See-Seite. Fasziniert steht die Mittfünfzigerin auf der Streuobstwiese, die sich sanft hügelig dem See entgegenstreckt. Was sie besonders begeistert?
    "Eine Modellregion von Weltrang"
    "Natürlich die Landschaft. Ich bin für die Vogelwelt zu haben. Ich versuche, jedes Jahr wenigstens einen Vogel dazu zu lernen. Zum Beispiel den Seeadler! Man hat ja auf Schritt und Tritt sehr viel unberührte Natur. Es ist sicherlich nichts für Leute, die Schicki-Micki brauchen – mit viel Action."
    Wir sind im UNESCO-Biosphärenreservat Schaalsee. Seit dem Jahr 2000 eine Modellregion von Weltrang, wie es in blauen Lettern im bunt bebilderten Flyer heißt. Auch die Westseite steht unter Schutz, gehört schon seit 1961 zum Naturpark Lauenburgische Seen. Winzige schilfbewachsene Buchten, Halbinseln, Inseln und kleine Seen - vom Küchensee über den Techiner, den Bernstorfer und den Dutzower See: Sie alle bilden den Schaalsee. Eine ebenso zerklüftete wie reizvolle Seenlandschaft. Wie ein überdimensionaler Krebs mit seinen beiden Scheren. Manche sehen auch ein ausgefranstes Y in diesem Naturparadies, das in der letzten Eiszeit von Gletschern geformt wurde. Eine bühnenreife breite Holztreppe führt aufs grasbewachsene Flachdach des Cafés. Ein Paar aus Oldenburg genießt dort den vielleicht schönsten Ausblick auf den Schaalsee. Paddeln und radeln, faulenzen und die Ruhe genießen wollen Jörg und Christiane Schierholz:
    "Ist ein Kleinod. Ja, wirklich wunderschön. Heute Morgen kurz vor 11 los, auf Seedorf zu. Und dann über die Seenplatte hier angelandet. Die absolute Ruhe, das Eingebunden sein in die Natur. Das klare Wasser. Dieser Ausblick und diese Vielfalt. Hier kreisen Seeadler und Schwäne, das ist schön. Auch diese kleinen Kanäle, durch die wir gepaddelt sind. Ganz verwunschen – Schilf und Seerosen, richtige Blütenteppiche auf dem Wasser."
    Biosphärenreservat Schaalsee.
    Biosphärenreservat Schaalsee. (Gisela Jaschik)
    Unberührte Wildnis und menschliches Tun liegen im hügeligen Biosphärenreservat dicht beieinander: Landwirtschaft, Fischerei, Tourismus und Natur. Bis Ende 1989 lag das Ostufer im Grenzsperrgebiet der DDR. Streng abgeriegelt. Dünn besiedelt - Besucher so gut wie nie erlaubt. Die Tier- und Pflanzenwelt blieb jahrzehntelang beinahe ungestört. Ein Paradies für Kraniche, Fischotter und Rotbauchunken, Orchideen und Sonnentau. Im Herbst rasten hier tausende Zugvögel aus Skandinavien und Sibirien. Um die Artenvielfalt zu schützen, müssen Anwohner und Urlauber am See auf manches verzichten. Boote dürfen nicht mitgebracht werden. Ruder-,Tret- und Segelboote sind auszuleihen. Paddeltouren müssen beantragt werden:
    Jörg und Christiane Schierholz: "Aber ich finde das gut, dass es geschützt ist, Biosphärenreservat. Als Faustregel gilt: 100 Meter vom Ufer entfernt. Aber auch in der Mitte des Sees gibt’s unbestimmte Zonen, wo man nicht paddeln sollte."
    Ein Dutzend Ranger gibt es im Biosphärenreservat Schaalsee. Sie machen Exkursionen mit Besuchern. Schmale Alleen verbinden winzige Dörfer. Hölzerne Schilder zeigen Badestellen am See an. Durstige Ausflügler nähern sich dem Café: "Hier gibt’s bestimmt Gezapftes."
    Geschützte Uferzonen sind das besondere Merkmal des Sees
    Gabriele Kretzschmer kennt Abkürzungen über die Wiese: "Man kann hier an der Seite lang runtergehen. Da ist auch so`n kleiner Steg. Eine sehr beliebte Badestelle, wenn es sehr warm ist. Und man keine Angst vor den großen Mücken hat. Die Klopstockeiche ist ja denn auch auf dem Weg. Auch beeindruckend, wenn Sie Richtung Brückenhaus gehen."
    Hohe Bäume und üppige Sträucher säumen den schmalen Weg, der sich zum See hinab schlängelt. Ein Paradies für Singvögel. Auch der Wanderweg in Ufernähe ist urwaldartig bewachsen. Spaziergänger kommen entgegen. Grüßen freundlich. Der Ostteil steht als Biosphärenreservat unter strengem Naturschutz. Menschen dürfen dennoch die Gegend erkunden und sich daran erfreuen. Aber manchmal braucht es fast detektivischen Spürsinn, den Strand zu finden. In einer schilfumrandeten Bucht mit feinem Sand, planschen Jung und Älter ausgelassen im Wasser. Auf dem hölzernen Steg blinzeln eine Frau und ihre kleine Tochter in den Himmel:
    "Traumhafte Landschaft. Und ich find auch die Leute, die Höfe – sieht aus, als ob die viele Ideale haben hier. So mit der Natur und Kunst. Marjie wie gefällt dir das?" – "Ja, die Kühe, Schweine, Hühner, Enten, Gänse." – "Ist total schön, man braucht eigentlich gar nicht wegzufahren."
    Wie ein glattes Tuch liegt der See jetzt in der stillen Landschaft. Auch das gegenüberliegende Ufer in Schleswig-Holstein ist zugewachsen. Geschützte Uferzonen sind das besondere Merkmal des Schaalsees: Wasservögel können hier überall nisten. Schaalsee-Besucher respektieren es, sich zurückzunehmen in diesem Naturrefugium. Wer diese Stille aufsucht, schützt sie. Wie einst Friedrich Gottlieb Klopstock. 1767 weilte der Dichter am Schaalsee. Seinem Aufenthalt auf der kleinen Insel Stintenburg widmete er eine Ode:
    "Insel der frohen Einsamkeit,
    Geliebte Gespielin des Widerhalls
    Und des Sees, welcher itzt breit, dann, versteckt
    Wie ein Strom rauscht an des Walds Hügeln umher."
    Klopstock-Eiche als beliebtes Fotomotiv
    Die imposante uralte Stieleiche unter der Klopstock – wie es heißt - seine Ode in 15 Strophen dichtete, ist beliebtes Fotomotiv bei Wanderern. Auf den Spuren Klopststocks führt eine kopfsteingepflasterte Allee zur gerühmten Stintenburginsel. Man fragt sich: Wo bleibt die Kutsche? Am Übergang zur Insel steht links das "Brückenhaus." Früher wohnte hier der Brückenwärter. An einer Zugbrücke passte er auf, dass unliebsame Gäste der kleinen Insel und dem gräflichen Herrenhaus fern blieben. Später zog ein Förster ein und auch mal eine Fischer-Familie. 1945 kamen die Russen, dann die Stasi. Soldaten der Nationalen Volksarmee bewachten 40 Jahre lang jeden Winkel am See. Seit einigen Jahren ist das "Brückenhaus" detailgetreu renoviert: Das markante Fachwerkgebäude ist heute Restaurant mit Café-Garten, eigener Räucherei und Terrasse am Seeufer. Malerisch umrahmt von mächtigen Eichen und Trauerweiden. Eigentümer ist Johann Graf von Bernstorff, ein freundlicher Mittfünfziger in Jeans und Pullover. Zum Kaffee werden große Gläser mit köstlich kühlem Brunnenwasser gereicht. Er lehnt sich zurück, blickt nachdenklich über den See - erzählt, dass die Familie schon in der Nazizeit enteignet worden war. Sein Großonkel Albrecht wurde als Widerstandskämpfer kurz vor Kriegsende in Berlin von der Gestapo erschossen. Gleich nach der Grenzöffnung besuchte die Familie erstmals den ehemaligen Besitz auf der Insel. Vorher war es nicht möglich, die Gegend zu erkunden, sagt Johann von Bernstorff:
    "Weil wir als Wessis keinen Zugang hatten, weil das absolutes Sperrgebiet war. Wir haben oft Reisen gemacht auf der Westseite. Die Grenze ging ja einmal längs des Schaalsees durch. Waren auf der Westseite, haben dort vom Wasser aus geguckt. Jetzt kommen immer mal Gäste, die dann sagen: Hier waren wir mal stationiert. Vom Charme eines Herrenhauses war nicht mehr viel übrig. Das Haus war leer, sah aus wie eine Kaserne. Aber der Entschluss war dann schnell gefasst: Versuchen wir`s mal."
    Mecklenburg-Vorpommern, Schaalsee, Dorf Techin, Wegweiser zum See.
    Wegweiser zum Schaalsee. (Gisela Jaschik)
    1993 bekamen von Bernstorffs ihren Besitz zurück. Am 200 Jahre alten Herrenhaus ist noch viel zu tun. Priorität hatte das Brückenhaus: anzufangen, Gebäude nutzbar zu machen. Eingebettet in diese traumhaft schöne Natur hier, die unverfälscht und einzigartig ist. Die Nähe zu Hamburg, das auch touristisch zu nutzen und Schritt für Schritt zu entwickeln."
    An einem Ort, der jahrzehntelang nicht zugänglich war. Selbst Schaalsee-Anwohner kamen nicht hierher. Zäune und Minen verhinderten den Zutritt: "Da hat sich dann nichts entwickelt, gar nichts. Also, wie vor 100, 200, 300 Jahren. Das kommt so langsam, dass das wiederentdeckt wird. Und dann diese traumhafte Landschaft vom Schaalsee auch Entdecker findet: Radtouristen, Wandertouristen. Aber auch Leute, die einfach die Natur genießen wollen. Und denen bieten wir hier eine Kleinigkeit. Eine Brücke zu schlagen zwischen Natur und Mensch."
    Investoren wollten wasserski und Motor-Racing
    Die Zusammenarbeit mit der Verwaltung des Biosphärenreservats ist geprägt durch Verständnis und gegenseitigen Respekt, sagt von Bernstorff. Längst ist er Fan des Naturschutzgebiets: "Inzwischen ja. Ich muss sagen: das war am Anfang nicht einfach, weil auch ganz unterschiedliche Interessen eine Rolle spielten. Klar, die Natur braucht ihren Schutz. Ich will nicht behaupten, dass die Familie immer schon bisschen grün angehaucht war. Aber der Schutz der Natur lag auch meinen Vorfahren immer schon am Herzen. Es ist trotzdem eine Kulturlandschaft, die gepflegt werden muss, zum Teil."
    "Flüchtige Stunden verweilt ich nur
    An deinem melodischen Schilfgeräusch;
    Doch verlässt nie dein Phantom meinen Geist,
    wie ein Bild, welches mit Lust Geniushand
    bildete, trotzt der Vergessenheit!"
    Wer am Schaalsee die Ruhe genießt, die kleinen Dörfer, alten Alleen und heckengesäumten Wege, kann kaum glauben, dass nach der DDR-Zeit entgegengesetzte Konzepte denkbar erschienen, wie Johann von Bernstorff sich erinnert:
    "Wasserskibahn, Motor-Racing, Speedway auf dem See. Da gab's Investoren, die hier rein trudelten und sagten: Jetzt machen wir hier eine Art Disneyworld auf dem See. Das hätte alles kaputt gemacht. Und es war schon massiv Gegendruck notwendig, um so etwas zu verhindern. Sonst wären die Ufer hier alle bebaut, und es gäbe hier eine Wasserskibahn. Keinen Kranich und keinen Seeadler, keine Brutstätten mehr in den Schilfzonen. Das wäre dann alles weg."
    "Der Garten des Fürsten verdorrt und wächst,
    zu Gesträuch über des Strauchs Wildnis hebt
    sich der Kunst meisterhaft Werk dauernd empor."
    Junge Leute winken aus einem Boot, das beinahe lautlos an uns vorbei zieht: "Richtig. Wir haben gerade ein Boot gesehen, das hat einen Elektromotor. Hier sind Motorboote eben nicht zugelassen. Es gibt paar Ausnahmen: Die Fischer dürfen Verbrennungsmotoren fahren. Weil die sonst nicht stark genug wären, ihre Netze zu heben. Wenn man hier auf dem Wasser rumpaddelt, sieht man wirklich nur Natur, keine Bebauung. Und man fühlt sich wirklich mitten in der tiefsten und ruhigsten Natur."
    Maränen als Fischspezialität
    Eine lokale kulinarische Spezialiät, die auch im Brückenhaus ganz oben auf der Speisekarte steht, ist die kleine und die große Maräne: "Die Maräne gehört zur Familie der Salmoniden. Ist mit das Beste war im See rumschwimmt", sagt Fischer Philipp Eberle. Auf dem Weg zum alten Reet gedeckten Bootshaus in Zarrentin klärt er mich Landratte gern näher auf: "Sieht aus wie ein Hering. Ist aber keiner. Weil er eine Fettflosse hat, ein oberständiges Maul. Ist silber. Darum sagen wir: Ist unser Silber aus dem See. Es gibt die Sage, dass der Teufel den damals einer Nonne nach Zarrentin mitgebracht hat. Und weil er wohl zu spät kam, hat er vor Wut den Sack mit den Maränen in den See geschmissen. Seitdem haben wir die hier im See."
    Der 28-Jährige ist bei einem der beiden hauptamtlichen Fischereibetriebe am Schaalsee angestellt. Ihre Netze füllen die Fischer hauptsächlich mit Maränen: "Genau, das ist der Brotfisch. Die Netze werden über Nacht in See gesetzt. Die setze ich abends und heb sie morgens wieder raus."
    Frisch eingelegt oder geräuchert mit Brötchen und Salat verzehren Touristen die schmackhaften lachsartigen Fische in Zarrentin am Bootshaus oder am kleinen Laden gegenüber. Roh gezimmerte Bänke und Tische bieten Platz am Ufer. An schmalen Anlegern schaukeln kleine Holzboote unter alten Weiden.
    Im Bootshaus bei den Becken sind zwei Fischerboote vertäut: "Wenn wir an unser oberstes Ende fahren, Pachtgewässer, fahren wir eineinhalb Stunden. Der See ist ja 15 Kilometer lang, und den obersten Zipfel haben wir noch. Da müssen wir teilweise rüberfahren. Die Schleswig-Holsteiner müssen auch über unser Gewässer. Also: Geben und Nehmen."
    Fischotter, Kolbenente und Eisvogel sind hier heimisch
    Die Grenzbojen auf dem Wasser, die den See bis Ende 1989 in der Mitte trennten, kennt der junge Fischer nur aus Erzählungen. 72 Meter misst der Schaalsee an seiner tiefsten Stelle. Das zweittiefste Binnengewässer Deutschlands – nach dem Bodensee. Aber es gibt auch flache Stellen, sagt Johann von Bernstorff: "Das ist auch für so ein Biotop wichtig. Gespeist wird er durch unterirdische Quellen, und dadurch auch diese Reinheit erhält. Weil er immer wieder Wassertausch hat. Er ist ja sonst geschlossen. Gibt keinen Zulauf und wenig Ablauf."
    Ein barrierefreier Bohlensteg führt durch das Kalkflachmoor am südöstlichen Schaalsee-Ufer. Hobbynaturkundler Bodo Schömer ist mit Touristen auf Tour: "Wir sind nicht im Hochmoor. Hier kann man, wenn man dürfte durchmarschieren. Na ja, nasse Füße kriegt man auch. Aber hier kann man nicht versinken. Hier sind auch keine Moorleichen, wie die Kinder immer wollen. Dat wird eben nix."
    Fischotter, Kolbenente und Eisvogel sind hier heimisch. Und was sich nicht gern blicken lässt, zieht Bodo Schömer kurzerhand aus seiner Westentasche: "Was wir hier haben, ist die ungiftige Ringelnatter. Ich hab mal eine eingepackt, dass man sich das mal angucken kann. Mal gucken, wo oben und unten ist."
    Im Grenzhus in Schlagsdorf - ein stattliches Backsteinhaus im Norden nahe der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein, kommt man der früheren DDR-Grenze sprichwörtlich nah: "Wenn Sie hier aus dem Fenster schauen – ungefähr 700 m – stehen Sie am Mechower See. War Grenzgewässer. An den See kam man seit 1961 nicht mehr ran als normaler Bürger. Und das war so ein Rückzugsgebiet für Tiere und Pflanzen. Das ist die Brücke in das Grüne Band heute."
    Informationszentrum zum UNESCO-Biosphärenreservat
    Der Historiker Dr. Andreas Wagner leitet das nördlichste Informationszentrum des UNESCO-Biosphärenreservats Schaalsee. Die besondere Aufgabe des Hauses ist es, Erinnerungen zu bewahren: mit Sonder-Ausstellungen zum Beispiel über Fluchtgeschichten aus Stasi-Akten, Vorträgen und Exkursionen zur deutsch-deutschen Grenzgeschichte. "Man musste selbst helfen, die Grenze zu sichern."
    "Wir sind auch ein Ort, der von internationalen Gästen wahrgenommen wird. Gerade heute hatten wir Besucher, die aus Belgien hergekommen sind. Und für die ist das Thema 'Innerdeutsche Grenze' auch ein Thema der europäischen Teilung. Das war Bestandteil des Eisernen Vorhangs. Und das ist ein europäisches Thema. Und das wollen Touristen aus Europa hier auch sehen."
    Allerdings stehe das Grenzhus nicht im Vordergrund, sagt Andreas Wagner: "Die überwiegende Zahl von Touristen kommt nicht her, weil sie das Grenzhus sehen wollen, sondern weil sie die Natur erleben. Und wenn sie hier sind, dann erfahren sie von unserem Haus und von der Geschichte."
    Hautnah an der Geschichte ist auch, wer St. Abandus aufsucht, die schöne alte Dorfkirche in Lassahn mit der hölzernen Außentreppe für den früheren Landadel und dem hohen Feldsteinfundament. Mit etwas Glück spielt die Frau des Pfarrers gerade Orgel: "Wir sind aus dem Westen. Aus der Nachbarschaft, aus Gudow. Als mein Mann in Rente ging, hat er sich bereit erklärt. Das Pfarrhaus war leer, hier war kein Pastor mehr. Und dann durften wir einziehen, zur Miete. Und da wir nun mal Pastoren sind, haben wir gesagt: Dann können wir auch den Gottesdienst machen."
    1945 ein spektakulärer Gebietsaustausch
    Christa Helms eilt über die Straße ins Pfarrhaus, um ihren Mann zu holen. Peter Helms ist über 80 - und längst in Ruhestand, aber in Lassahn noch immer für den Gottesdienst zuständig: "Das was Sie hier sehen, der Altarraum ist so um 1250. Zunächst als Taufkapelle, um 1300 angebaut. Im 17. Jahrhundert verlängert hinter den Stufen. Dadurch sitzt man in der Kirche fast wie in einem Theater, mit ansteigenden Sitzen nach hinten. Der Altar sollte der höchste Punkt sein, hier ist es der niedrigste. Aber es ist auch sehr reizvoll."
    Der Pastor erinnert an die vertrackte nachträgliche Grenzziehung. Ursprünglich gehörten auch Dörfer am Ostufer, also auch Lassahn – zur Lauenburgischen Seite. Weil diese aber nach Kriegsende keine Landverbindung mehr nach Westen hatten, kam es im Herbst 1945 zum spektakulären Gebietsaustausch zwischen der britischen und der sowjetischen Besatzungszone: "Die meisten Lassahner sind damals über den See hinweg nach Westen gezogen, haben alles mitgenommen, was man tragen konnte. Vieh wurde rüber getrieben."
    Nach so viel Grenz- und Kirchengeschichten sehne ich mich nach einem erfrischenden Bad im See. Naturführer Schömer empfiehlt die Badeanstalt von Zarrentin: "Der südlichste Punkt vom Schaalsee. Meiner Meinung nach der schönste Blick auf den Schaalsee. Sie werden keinen schöneren Blick finden als hier in der Badeanstalt - auf die Insel Möwenburg, das Kloster und die Kirche zu schauen."
    Campingplätze sind besonders malerisch gelegen
    Ein ebenso schlichtes wie schönes Naturstrandbad mit Sandstrand und schmalem Holzsteg hat auch das uralte Seedorf – auf der Westseite. Wer es noch ruhiger mag: Fast alle Dörfer am See haben stille Badebuchten. Eine Urlauber-Familie mit kleinem Sohn startet am Steg zu einer Paddeltour von Ost nach West: "So komm her und los. Hoch die Beine. Also eigentlich sind Flüsse ja besser für`s Kanu fahren. Seen sind ja immer zu offen. Mit dem Wind auch. Du hast hier blöde Strömung."
    Dafür seien die Campingplätze am Schaalsee aber besonders malerisch gelegen, wie der Hamburger schwärmt: "Das ist wirklich nett. Insofern sind wir drauf gekommen. Dann können wir ja eigentlich los, nä?! Cheerio… Was sagt man? Paddel Heil, oder so. Ich weiß das auch nicht. Immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel. Das wünschen wir. Tschüss - Tschüss!"
    Sind wir nun im Osten oder im Westen? Diese Frage stellt sich bald nicht mehr. Denn: von natürlicher, zeitloser Schönheit ist der Schaalsee auf beiden Seiten. Und auch um das Wetter brauchen wir uns nicht zu sorgen, sagt Johann von Bernstorff: "Wir haben hier so'n Mikroklima, sagt man. Dass die schweren Unwetter immer um den See herumziehen. Das ist ganz angenehm. Aber manchmal trifft`s einen dann doch. Man muss bisschen aufpassen."