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Schach
22-jähriger Norweger gewinnt Weltmeisterschaft

Der 22-jährige Norweger Magnus Carlsen hat die Schachweltmeisterschaft in Indien gewonnen. Das Duell gegen den Inder Viswanathan Anand endete in einem der klarsten WM-Siege der letzten hundert Jahre.

Von Stefan Löffler | 22.11.2013
    In seinem ersten Statement als neuer Schachweltmeister zollte Magnus Carlsen seinem Gegner Tribut.
    "Vishy ist einer der Größten aller Zeiten. Ich bin sehr froh, dass ich gegen ihn obenauf bleiben konnte."
    Am Brett hatte der Norweger viel weniger Respekt gezeigt. Er gönnte Viswanathan Anand, der alt genug ist, sein Vater zu sein, nicht einmal eine Gewinnpartie. Anand sagte:
    "Mein Spiel in diesem Match war eine große Enttäuschung."
    An seiner Matchstrategie habe es nicht gelegen.
    "Ich habe es nicht geschafft, die Strategie umzusetzen. Meine Chancen hingen davon ab, ob ich lange Partien ohne allzu viele Fehler überstehe. Aber vergeblich."
    Seine erste Niederlage in der fünften Partie sei ein schwerer Schlag gewesen, von dem er sich nicht rechtzeitig erholte. Am folgenden Tag verlor er gleich noch einmal.
    "Meine Fehler kamen nicht von allein. Magnus hat sie provoziert. Glückwunsch an ihn."
    Spannend war ihr Zweikampf damit nur bis zur Hälfte. Eine Überraschung ist der klare Ausgang nicht. Das 6,5:3,5 ist einer der klarsten WM-Siege der letzten hundert Jahre und entspricht ziemlich genau dem Erwartungenwert aufgrund von Carlsens um 95 Elopunkte höherer Weltranglistenzahl.
    Es fehlte wenig, und das Match wäre 7:3 für Carlsen ausgegangen. Nach der achten Partie war Anand kritisiert worden, weil er nicht die schärfste Eröffnung - Sizilianisch - wählte. In der zehnten Partie am Freitag ließ er sich nicht lumpen. Doch die Stellung schien Carlsen zu liegen.
    "Solange ich nichts riskiere, wollte ich auf Gewinn spielen."
    Er sammelte langsam aber sicher Vorteile. Im 30. Zug ließ er einen gewinnträchtigen Springerzug aus.
    "Ich dachte, mein Zug gewinnt auch leicht, aber ich habe etwas Einfaches übersehen."
    Anand konnte sich durch Figurentausche befreien, in dem entstehenden Springerendspiel waren die Chancen aber praktisch ausschließlich bei Carlsen. Im 46. Zug dachte der Norweger eine halbe Stunde nach.
    "Die Varianten wurden so kompliziert, dass ich entschied, ein Remis zu sichern."
    Als Anand im 65 Zug mit seiner letzten Figur Carlsens letzten Bauern schlug, war die Punkteteilung perfekt.
    Für seine Jugend, Carlsen wird nächste Woche 23, bevorzugt er ein überraschend trockenes, technisches Schach. Damit hat er am meisten Erfolg. Mitreißende Partien sah man in Chennai selten. So richtig brannte das Brett nur in der neunten Partie. Alle Figuren Carlsens, außer seinen Bauern, standen auf der eigenen Grundreihe. Sein einziger Trumpf war ein vorgerückter Bauer. Dieser reichte ihm, um Anand den Ehrentreffer zu verwehren.
    Enorme Beachtung fand das Match in Indien und Norwegen. Auch deutsche Medien berichteten mehr als zuletzt. Doch in Russland und Westeuropa blieb die Resonanz geringer als erwartet. Der Weltschachbund hatte die Ausrichtung ohne Ausschreibung nach Indien vergeben.
    Anands Aufstieg und seine fünf WM-Siege lösten dort einst einen Schachboom aus. Er basiert vor allem auf öffentlichen Subventionen: Großmeister stehen auf den Gehaltslisten staatlicher Unternehmen. Starke Junioren erhalten Universitätsstipendien. Tausende Schachlehrer tingeln von Schule zu Schule. Mancher fürchtet, dass die Party nach Anands Abgang vorbei ist.
    In Norwegen war die Schach-WM das mit Abstand meistberichtete Ereignis der letzten drei Wochen. Schachsets sind in vielen Läden ausverkauft. Das Staatsfernsehen NRK berichtete fast hundert Stunden. Die größte Tageszeitung VG richtete selbst eigens für das Match ein Fernsehstudio ein. Nach der abschließenden Pressekonferenz kam es zu tumultartigen Szenen, weil Reporter, Fotografen und Kameraleute Carlsen noch nicht weglassen wollten. Bis zur Siegerehrung am Sonntag hat er weit mehr Interviewanfragen, als er schaffen kann.