Diesen in seiner Art einmaligen Kampf um die Weltmeisterschaft beschreibt das Buch " Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann" der Autoren David Edmonds und John Eidinow. Die beiden mit vielen Preisen ausgezeichneten BBC-Journalisten haben akribisch recherchiert, wobei ihnen erstmals auch bisher unzugängliche Quellen aus sowjetischen und amerikanischen Archiven zur Verfügung standen. Damit ist das Buch auch für alle die interessant, die schon der umfangreichen Literatur zum Thema kundig sind.
Die sowjetischen Spieler galten 1972 als unschlagbar, die Weltmeisterschaft machten sie seit 1937 unter sich aus. Ihre sportlichen Erfolge galten zugleich auch als Beweise für die Stärke der kommunistischen Ideologie. Im damaligen sowjetischen Standardwerk "Schach in der UdSSR" hieß es dazu.
"Schach liefert den unwiderlegbaren Bewies für die Überlegenheit der sozialistischen Kultur über die dekadente Kultur kapitalistischer Gesellschaften."
Bis Bobby Fischer kam. Den westlichen Kommentatoren war die Bedeutung der Konfrontation klar: Ein einsamer amerikanischer Star stellte den Besitzanspruch der Sowjets auf den Weltmeistertitel in Frage. Sein Erfolg würde die Behauptung der Sowjets widerlegen, dass ihre Vorherrschaft im Schach die Überlegenheit ihres Systems widerspiegelte.
Allerdings eignete sich Bobby Fischer, der hochbegabte junge Mann aus New York, wenig zum amerikanischen Helden, er umgab sich mit rüden Marketingagenten, verlangte Geld und noch mehr Geld, wollte in jedem Wettkampf die Bedingungen ändern und ließ auch 1972 bis zum Schluss offen, ob er überhaupt anzutreten gedenke. Erst nach einem Anruf Henry Kissingers und einer Verdoppelung des Preisgelds durch einen englischen Millionär nahm er das Spiel auf.
"Kissinger hatte zu Fischer gesagt: Amerika wünscht sich, dass Sie da hinfahren und die Russen besiegen." Und Fischer war wie ausgewechselt, wurde förmlich zum jungen Soldaten, der in den Krieg zieht. Als man ihn später fragte, sagte er so etwas Ähnliches wie: Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass die Interessen meines Landes bedeutender sind als meine eigenen."
Die Frage, ob Bobby Fischer normal sei oder nicht, stellte sich nicht erst 1972: Geradezu zwanghaft vermutete Fischer seit Jahren, dass sich die sowjetischen Schachmeister gegen ihn verschworen hätten. Seine antisemitischen und antikommunistischen Ausfälle sind Legende. Dabei wurde nie richtig klar, ob Fischer den Exzentriker nur spielte oder ob er einfach ein verhaltensauffälliger Kerl war, dessen spielerische Genialität jegliches soziale Fehlverhalten entschuldigte.
Ganz anders dagegen Boris Spasski - der Leningrader galt in der Schachwelt und bei den Medien als Gentleman. Was allerdings auch kritisch gemeint war. Viktor Kortschnoi, ein anderer Großmeister, fasste es in die Worte:
"Spasski war ein Gentleman. Ein Gentleman hat Erfolg bei den Damen, aber nicht beim Schach."
So entstand eine Ausgangssituation, die westlichen Klischees widersprach: Nicht der Russe war der "bad guy", sondern der Amerikaner. Nicht der Russe sorgte ständig für Schwierigkeiten, Bobby Fischer war es, der permanent neue Forderungen stellte, sich unhöflich und, wie man fand, geradezu unamerikanisch benahm. Die ganze Inszenierung eines Kampfes Ost gegen West täuschte die Öffentlichkeit auch darüber hinweg, dass Fischer selbst den Amerikanern vor allem auf die Nerven ging. Die Autoren konstatieren:
"Natürlich erwies sich, dass das Gerede vom Ende des Kalten Krieges völlig übertrieben war. Wenn Fischer nicht so antisowjetisch und sprunghaft gewesen wäre, wenn er ebenso gesellig und freundlich wie Spasski gewesen wäre, dann hätte diese Schachweltmeisterschaft sogar als Symbol für die Ost-West-Entspannung in die Geschichte eingehen können."
Denn zu dieser Zeit waren alle Weichen eher auf Entspannung gestellt - die USA und die Sowjetunion verhandelten Abrüstungsverträge, Nixon besuchte als erster Präsident die Volksrepublik China und flog nach Moskau. Der Kampf der Ideologien ging allerdings weiter. Und eine seiner Projektionsflächen lag in Reykjavik. Viel ist im Nachhinein spekuliert worden über die Aktivitäten der Geheimdienste auf Island. Es ist ein Vorzug des Buches, dass mit vielen Mythen aufgeräumt wird. Nicht der CIA oder der KGB zogen die Fäden bei diesem Match, es war ausschließlich der Herausforderer. Und er fand in den Offiziellen des Internationalen Schachverbandes willfährige Partner. Die Amerikaner ließen auch die verzweifelten Bemühungen des KGB kalt, die Niederlage Spasskijs gegen den Klassenfeind im Nachhinein durch Manipulationen aller Art zu erklären.
Fischer machte den Wettkampf 1972 zu einem Spektakel und zu einem Medienereignis. Unbestritten ist: Er verschaffte der Disziplin Schach weltweite Aufmerksamkeit, hohe Preisgelder und viele Anhänger, vor allem auch in den USA.
"Dass die Amerikaner sich für Schach begeisterten, bedeutete im Grunde eine Bejahung des American Way of Life. Fischer schien die Gewähr zu bieten, dass das unverwüstliche Amerika tatsächlich unverwüstlich war, und das zu einer Zeit, als die Nation diese Bestätigung dringend benötigte."
Denn es war die Zeit des Vietnamkrieges, und Amerika hatte positive Botschaften so nötig wie noch nie. Fasziniert folgte die Öffentlichkeit den Partien, dem 2:0-Auftakt für Boris Spasski, der überraschenden Wende und schließlich dem Titelgewinn für Bobby Fischer. Ein zermürbender, ja fast diabolischer Wettkampf.
Als Weltmeister ist Fischer nie mehr angetreten, er gab den Titel 1975 kampflos an den Russen Anatoli Karpow ab. Das trug allerdings zum bis heute anhaltenden Fischer-Mythos bei. Die späteren Weltmeister Karpow und Kasparow schienen nur Weltmeister von Fischers Gnaden zu sein. Noch 1984/85 beim Endlos-Wettkampf zwischen Karpow und Kasparow waren Stimmen zu hören, dass sich Bobby nur ans Brett setzen müsste, um den beiden zu zeigen, wer tatsächlich der beste Schachspieler der Welt ist. Bis zum Jahr 1992 hörte man nichts mehr von Bobby Fischer. Dann ließ er sich für 3,5 Millionen Dollar den erneuten Sieg über Boris Spasski in Serbien von einem jugoslawischen Geschäftsmann fürstlich entlohnen. Der damalige US-Präsident George Bush hatte zuvor Sanktionen gegen das Regime von Slobodan Milosevic verhängt. Fischer bekam in einem Schreiben mitgeteilt, dass er mit zehn Jahren Gefängnis und 250.000 Dollar Geldstrafe rechnen müsse, würde er auch nur einen Zug ausführen. Auf die Frage bei der Auftaktpressekonferenz, was er davon halte, zog Fischer die Warnung der Regierung aus der Tasche und spuckte demonstrativ auf sie. 2004 wurde er in Tokio verhaftet, als er in die Philippinen fliegen wollte. Sein Pass war ungültig. Japan bereitet nunmehr seine Auslieferung in die Staaten vor, da ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt. Dem 61-Jährigen wurde der Applaus zum Verhängnis, den er über seinen philippinischen Haussender am 11. September 2001 spendete: "Das sind wundervolle Neuigkeiten! Fuck the US!", krakeelte der längst Vergessene über den Äther und machte US-Sicherheitsbeamte wieder auf sich aufmerksam. Sein Antikommunismus scheint einem Antiamerikanismus gewichen zu sein. Als Fischer im Alleingang in Reykjavik den Kalten Krieg gegen die Supermacht Sowjetunion gewann, hatte ihm die Nation zu Füßen gelegen. Als Bobby Fischer nach seinem WM-Sieg 1972 nach New York zurückkehrte, bekam das Schach-Genie den goldenen Schlüssel der Stadt und ein Buch mit Widmung von Präsident Richard Nixon überreicht. Jetzt, 32 Jahre danach, erwartet ihn in den USA nur noch eine Gefängniszelle.
Gut recherchiert und kriminalistisch aufbereitet wird in diesem Buch die Geschichte des wohl spektakulärsten Schachwettkampfs des 20. Jahrhunderts neu erzählt. Man muss kein Freund des Schachspiels sein, um von der Spannung mitgerissen zu werden. In 22 Kapiteln entsteht ein lebendiges Bild der damaligen Ereignisse. Allerdings hätte man auf einige reißerische Kapitelüberschriften wie "Blut im Hinterzimmer" oder "Am Boden zerstört" auch gut verzichten können. Die Fakten sprechen für sich, und diese lassen den Leser auch nach über 32 Jahren nicht los. Im Anhang findet sich erstmalig auszugsweise die FBI-Akte über Bobby Fischers Mutter, ein historisch hoch interessantes Dokument, in dem auch das Familiengeheimnis über Bobby Fischers wahren Vater gelüftet wird. Im Grunde ist diese Geschichte eine Tragödie. Spasski kam nach Reykjavik, um das Schachspiel zu feiern - Fischer kam, um zu kämpfen. Er machte das Schachbrett zu einem Schlachtfeld und dieses Match zu einem Schachkrieg, in dem es letztendlich keinen Sieger gab.
David Edmonds/ John A. Eidinow: "Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann. Die ungewöhnlichste Schachpartie aller Zeiten"
Deutschen Verlags Anstalt, München
431 Seiten, 22, 90 €