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Schachspiel gegen das Gift

Chemie. - Ein heißes Thema des Europäischen Chemikerkongresses in dieser Woche sind Naturstoffe, die aus dem Labor stammen. Ein Experte für dieses Kunststück ist der griechische Chemiker Kýriacos Costa Nicolaou, der in Turin über seine Arbeit berichtete.

Von Hellmuth Nordwig |
    Je komplizierter ein Molekül ist, desto attraktiver ist es für Kyriacos Costa Nicolaou. Vor mehr als zehn Jahren hat er Taxol künstlich hergestellt, das Krebsmedikament aus der Eibe, und viele andere komplexe Naturstoffe. Diese Vorbilder aus der Natur inspirieren ihn auch dazu, ganz neue Moleküle herzustellen.

    "Die Natur stellt ja nicht alle Substanzen her. Aber wir haben die Möglichkeit, Varianten dieser Stoffe zu entwickeln. Sie können den natürlichen Substanzen durchaus überlegen sein. Außerdem kommen diese Stoffe in der Natur nur in sehr geringen Mengen vor. Es gibt so wenig davon, dass wir nicht genügend isolieren können, um die biologischen Eigenschaften gründlich zu untersuchen und ihr Potenzial für die Medizin auszuloten. Auf chemischem Wege können wir ausreichend von diesen Substanzen herstellen, damit Biologen sie genau erforschen können."

    Was zurzeit in Nicolaous Labor entsteht, davor haben auch gestandene Chemiker Respekt: Jeder von ihnen würde Hunderte von Jahren benötigen, um das Nervengift des Meeres-Einzellers Gambierdiscus toxicus herzustellen. Er ist regelmäßig für Fischsterben verantwortlich, und selbst Menschen sind seinem Gift bereits zum Opfer gefallen. Ein Naturstoff der Superlative, nicht nur, weil er die giftigste bekannte Substanz ist.

    "Es ist das größte Molekül aus der Natur, wenn man von Eiweißen und der DNA absieht. Deshalb ist es schwierig herzustellen. Diese Herausforderung zwingt uns, ganz neue chemische Strategien zu entwickeln. Selbst dann, wenn wir nur Teile dieses Moleküls herstellen - auch diese sind bereits nützlich. Fragmente könnten ebenfalls biologisch aktiv sein. Das spornt uns an, neue Tricks für die Chemie zu finden."

    Neue Synthesestrategien: Vor allem sie inspirieren Nicolaou, den Stoff namens Maitotoxin herzustellen, von dem eine Messerspitze genügen würde, sämtliche Mäuse in den U-Bahn-Schächten des Globus umzubringen. 32 Ringe hängen in dem Molekül aneinander, dessen Strukturformel so aussieht wie ein Tausendfüßler. Dutzende von Mitarbeitern hat der Forscher an der Universität von Kalifornien über Jahre hinweg darauf angesetzt, Fragmente dieses Riesen-Moleküls herzustellen.

    "Wie man zu diesem Molekül kommt, das hat für mich etwas Ästhetisches. Man kann das mit dem Schachspiel vergleichen: Bei einer Synthese vollführt ein Chemiker einen Zug nach dem anderen. Er muss sie sich vorstellen und vorausschauend planen - die nächsten zehn Reaktionsschritte, manchmal auch 50. Der Gegner in diesem Schachspiel ist die Natur. Sie präsentiert uns die Moleküle und kennt die Regeln der Synthese noch besser als wir."

    Warum erzeugt ausgerechnet eine Art Meeres-Amöbe das stärkste bekannte Gift? Auch diesem Rätsel will der griechisch-kalifornische Chemiker auf die Spur kommen, indem er die Substanz künstlich herstellen lässt. Wobei er sich durchaus vorstellen kann, dass sie für die Medizin interessant sein könnte. Denn auch viele andere Naturstoffe sind zu Medikamenten weiter entwickelt worden: Pilzgifte zu Antibiotika, pflanzliche Substanzen zu Präparaten gegen Krebs oder Viruskrankheiten - die Liste ließe sich fortsetzen. Auch KC Nicolaou beliefert die Pharmaindustrie regelmäßig mit Produkten seiner Forschung.

    "Wir haben kürzlich eine Reihe möglicher Wirkstoffe gegen Krebs hergestellt. Sie stammen aus der Gruppe der Epothilone. Die ersten dieser Substanzen wurden in Deutschland entdeckt. Wir haben Hunderte verwandter Moleküle hergestellt, die jetzt von Pharmafirmen getestet werden, darunter Novartis. Sie haben Lizenzen dafür erworben, um sie zu Medikamenten weiter zu entwickeln."

    Das ist jedoch ein anderes Spiel. Nicolaous Kunst besteht darin, im Labor die schwierigsten Moleküle nachzubauen, welche die Natur zu bieten hat. Und dabei die Strategien der Chemiker um neue Schachzüge zu bereichern.