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Schachtel mit Fingerabdruck

Technik. - Arzneimittelfälschungen sind ein großes Problem. Materialforscher versuchen, die Plagiate mit raffinierten Sicherungssystemen zu entlarven. So kann man die Papierstruktur der Verpackung als Identifikationsmerkmal nutzten. Das Verfahren eignet sich auch für anderen Anwendungen und Materialien.

Von Hellmuth Nordwig |
    Nicht nur Menschen haben einen Fingerabdruck. Papier ist genauso individuell. Kein Bogen gleicht einem zweiten, sagt Dr. Dominik Giel vom Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik in Freiburg.

    "Dem liegt ein ganz einfaches Phänomen zu Grunde: dass nämlich jedes Stück Papier, das hergestellt wird, eine eigene Struktur hat. Das kommt in der Produktion durch die Ausrichtung der Fasern. Das kann man sehen, wenn man einen Bogen Schreibmaschinenpapier nimmt und gegen das Licht hält, oder unter einem Flachbettscanner digitalisiert. Dann sieht man, wenn man den Kontrast sehr stark wählt oder eine sehr starke Lampe davor hält, dunkle und helle Stellen."

    Was da sichtbar gemacht wird, sind winzigste Unebenheiten auf der Oberfläche. Wird dieses Bild im Computer gespeichert, ist das nichts anderes als der digitale Fingerabdruck eines Papierbogens. Der kann in einer Datenbank hinterlegt werden, um später ein Stück Papier zweifelsfrei identifizieren und von einer Fälschung unterscheiden zu können. Bei wichtigen Dokumenten wie Staatsverträgen geschieht das bereits. Nun soll das Verfahren auch für Produktverpackungen eingesetzt werden. Giel:

    "Die Verpackungen, die wir so aus dem Alltag kennen: Medikamentenverpackungen, die Hüllen von Produkten. Alles, was in Schachteln kommt, ist ja aus Pappe oder Papier."

    Gerade bei Medikamenten tauchen immer wieder Fälschungen auf. Der Fingerabdruck des Verpackungskartons soll hier Abhilfe schaffen. Eine spezielle Kamera nimmt ihn auf, unmittelbar nachdem die Schachtel bedruckt wurde. So kann nämlich eine genau definierte Stelle auf der Oberfläche gewählt werden, zum Beispiel dort, wo ein Produktcode aufgedruckt ist. Das Ganze ist allerdings leichter gesagt als getan, denn Faltschachteln werden mit hoher Geschwindigkeit bedruckt. Etwa zehn Meter Papier pro Sekunde flitzen durch die Druckmaschine. Giel:

    "In der Produktion, wenn in der Druckmaschine hergestellt wird, verwenden wir eine spezielle kurz gepulste Beleuchtung aus Leuchtdioden, die den Bruchteil einer Millisekunde nur beleuchtet. Wenn man aber nachher die Oberfläche vergleicht, dann tut es auch eine einfache Lampe. Da kann man auch ein Videomikroskop verwenden. Wir haben sogar Versuche gemacht, dass es auch mit einem Handy geht, allerdings nicht ohne eine Lupe oder eine vergrößernde Optik."

    Will ein Apotheker überprüfen, ob ein Medikamentenschachtel echt ist, muss er also mit einer gewöhnlichen Digitalkamera genau die Stelle fotografieren, deren Oberflächenstruktur beim Druckvorgang erfasst wurde. Dann wird in der Datenbank nachgeschaut, ob es sich um den Original-Karton handelt oder nicht. Dazu ist eine Software mit speziellen Algorithmen erforderlich, also Rechenvorschriften zum Mustervergleich. Das Ergebnis ist nahezu zweifelsfrei, sagt Dominik Giel.

    "Diese Versuche muss man sich so vorstellen, dass ungefähr 1000 Kopien hergestellt werden von derselben Seite und die Algorithmen dann versuchen, die 1000 Druckwerke auseinander zu halten. Das geht mit den 1000 sehr sicher. Theoretisch kann man abschätzen, dass in etwa die Wahrscheinlichkeit, einen Fehler zu machen, weit unter eins zu einer Million liegt."

    Das Verfahren ist aus einem Verbundprojekt entstanden, an dem auch Industrieunternehmen beteiligt waren. Es ist reif für den praktischen Einsatz im Kampf gegen Produktfälschungen, sagen die Forscher. Nicht nur bei Medikamentenverpackungen.

    "Wir haben auch Versuche durchgeführt, dass man statt der Papierstruktur auch bestimmte andere Oberflächen nutzen kann: Metalle, Holz, Leder, Kunststoffe."

    Sogar Bauteile von Maschinen können auf diese Weise eindeutig identifiziert werden. Je teurer solche teils winzigen Elemente sind, desto größer ist nämlich die Gefahr, dass ein Plagiat eingebaut wird – das ist nicht nur in der Autowerkstatt so, sondern auch bei Industrieanlagen. Der Fingerabdruck der mikroskopischen Oberflächenstruktur kann dabei helfen, ein echtes Bauteil von einem gefälschten zu unterscheiden.