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Schadstoffe im Essen

Die meisten Verbraucher wollen Lebensmittel ohne Schadstoffe, doch die gibt es nicht. Dank verbesserter Analysetechnik weiß man aber immer genauer, welche Pestizide sich in Spuren noch in Obst und Gemüse finden. "Wie viel Risiko darf's sein?" - diese Frage diskutierte die Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft, eine Organisation für den konventionellen Landbau.

Von Andreas Baum |
    Die Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft stellt die Sinnhaftigkeit von Nulltoleranzen in der Landwirtschaft in Frage, also Vorschriften, die nicht einmal Spuren giftiger Substanzen in Nahrungsmitteln dulden. Die Natur, so wird argumentiert, lasse sich nicht in Nulltoleranzen pressen, denn letztlich sei auf molekularer Ebene jeder Stoff in jedem anderen nachweisbar.

    Wenn also, wie jüngst geschehen, Weichmacher aus der Kunststoffproduktion in Olivenöl gefunden werden, dann werde das skandalisiert, ohne dass nachgefragt wird, ob die Menge der gefundenen Substanzen überhaupt bedenklich ist. Heinrich Kemper, Landwirt und Abgeordneter der CDU im Landtag von Nordrhein-Westfalen beklagt deshalb vor allem das Image seines konventionell wirtschaftenden Berufsstandes in der Öffentlichkeit, wenn wieder einmal Pflanzenschutzmittel im Obst gefunden werden, oder gar im Trinkwasser:

    "Pflanzenschutzmittel im Trinkwasser bringt das Bild in den Köpfen: Brunnenvergifter. Und die Frage ist, ob es denn wirklich eine Vergiftung ist. Da komme ich auf den alten Satz von Paracelsus: Die Dosis macht das Gift. Die Frage, wann etwas giftig ist, wann ich eine Toleranz gegenüber der Umwelt, dem Menschen, überschritten habe, die wird politisch definiert."

    Die konventionellen Landwirte verwehren sich gegen allzu eng gefasste Toleranzen. Offen stellen sie die Frage, ob eine moderne Industriegesellschaft überhaupt in der Lage ist, Luft, Gewässer und Böden in einen Naturzustand zurück zu versetzen. Nein, so lautet die gleich miterteilte Antwort, und deshalb müsse Risikobewertung auf, wie es heißt, sachlicher Basis stattfinden. Immer wieder ist der Vorwurf an die Gesetzgeber herauszuhören, in Berlin oder Brüssel seien praxisferne Laien am Werk. Ein Beispiel: Um Verschmutzungen zu vermeiden, ist es Vorschrift, Getreide abgedeckt zu fahren - was, so Heinrich Kemper, jeder Logik entbehrt, denn Landwirtschaft findet nun einmal unter freiem Himmel statt:

    "Theoretisch muss ich das Getreide in dem Augenblick abdecken, wenn die Ähre aus der Rispe erscheint, oder ich muss ein Überflugverbot für Vögel erteilen, damit sie nicht in mein Getreide sch…, na Sie wissen, was ich meine. Und Wild darf in meinem Getreide auch nicht sein. Geschweige denn Schwarzwild, das einen Kessel macht und dort auch bestimmte Hinterlassenschaften macht. Und wenn ich dresche, weiß ich, dass ich durchaus auch mal diesen Kot in meinen Mähdrescher mit hineinfahre."

    Geringe Spuren von Mäuseknochen und Vogelkot im Getreide seien nun einmal natürlich und die Aufregung darum unseliger Zeitgeist. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung, stimmt dieser Ansicht insofern zu, als er einräumt, dass die Analysemethoden auf dem Prüfstand stehen: Wissenschaftler können heutzutage jedes Jahr besser messen - und Substanzen in Spuren nachweisen, die unvorstellbar gering sind:

    "Wir können heute einen Zuckerwürfel im Gesamtvolumen des Bodensees analytisch locker darstellen, das ist überhaupt gar kein Problem. Wir können auch ein Mäusehaar in 5.000 Tonnen Getreide nachweisen. Wir haben diese analytischen Fähigkeiten. Die schlechte Nachricht ist, wenn Sie dieses Getreide verfüttern wollen, widerspricht das dem geltenden Recht. Wenn ein Mäusehaar drin ist, dürfen Sie es nicht verfüttern, das ist tierisches Protein und es gibt eine Nulltoleranz dafür."

    Die Überschreitung von Toleranzen ist also auch ein Wahrnehmungsproblem: Zu den Testergebnissen von verunreinigten Lebensmitteln gehört immer auch eine seriöse Einschätzung der Risiken. Für Nulltoleranzen spricht sich Andreas Hensel jedoch dort aus, wo über die Wirkung von Stoffen Unsicherheit besteht. Es gebe viele mutmaßlich krebserregende chemische Substanzen, die der Forscher auch weiterhin nicht in Nahrungsmitteln wissen will, auch nicht in Spuren.