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Schadstofffrei atmen

Als "alarmierend" gilt der EU-Kommission insbesondere die Entwicklung bei Asthma und anderen Atemwegserkrankungen. Jedes siebte Kind in Europa ist heute davon betroffen. Die Zahl der Fälle hat sich seit den 70er Jahren verdoppelt, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO errechnete. Umwelteinflüsse seien dafür maßgeblich, betont der Mediziner Roberto Bertollini aus dem WHO-Regionalbüro für Europa in Kopenhagen:

Von Volker Mrasek |
    Es gibt immer mehr Belege dafür, dass die Luftverschmutzung zum Ausbruch der Krankheit führt. Viele Kinder haben eine erbliche Veranlagung für Asthma. Aber ohne die Luftschadstoffe würde die Krankheit nicht ausbrechen. Die Schadstoffe legen den Schalter erst um, wenn man so will. Und sie können die Krankheits-Symptome später noch verschlimmern.

    Vor allem dieses Problem will die EU-Kommission mit ihrem neuen Aktionsplan angehen. WHO-Experte Bertollini hält dabei eine Sache für unerlässlich: Der Schadstoff-Ausstoß von Autos müsse weiter gedrosselt werden:

    Hier kommt es auf den Feinstaub an, auf Partikel, die so klein sind, dass sie tief in die Lunge eindringen. Diese Teilchen stammen vorwiegend aus dem Straßenverkehr. Das ist der Ruß aus den Auto-Motoren. Es gibt Studien aus Italien, Großbritannien und den Niederlanden, die klar zeigen: Kinder, die in verkehrsreichen Straßen wohnen, leiden viel häufiger als andere an Atemwegserkrankungen. Und sie haben ein höheres Risiko, dass ihr Leiden später einmal chronisch wird.

    Trotz "Drei-Wege-Katalysator" und bleifreiem Benzin: Auch andere Schadstoffe aus dem Autoabgas erreichen noch immer gesundheitsbedenkliche Außenkonzentrationen. Zum Beispiel Benzol. Der krebserregende Stoff steht im Mittelpunkt eines neuen Forschungsprojektes in vorerst zehn europäischen Hauptstädten. Atmosphärenchemiker bestimmen den Benzol-Gehalt in der Luft. Um zu sehen, wie stark die Bevölkerung dem Schadstoff tagtäglich ausgesetzt ist.

    Den Anfang machten Lissabon und Brüssel. Von dort liegen die Messergebnisse jetzt vor. Sie liegen im Schnitt bei drei bis fünf Mikrogramm Benzol pro Kubikmeter Außenluft, in beiden Städten. Nähere Erläuterungen vom Projektleiter, dem belgischen Umweltwissenschaftler Emile De Saeger. Er arbeitet am Forschungszentrum der EU im italienischen Ispra:

    Von Benzol ist bekannt, dass es Leukämien auslösen kann. Das Risiko lässt sich heutzutage abschätzen. Unterstellt man eine lebenslange Belastung mit einem Mikrogramm Benzol pro Kubikmeter Luft, dann darf man annehmen, dass von einer Million Menschen sieben an Blutkrebs erkranken. Das heißt: In einer Großstadt wie Köln käme es zu mehr als 20 oder 30 Leukämie-Fällen, nimmt man die Benzol-Werte aus Lissabon und Brüssel.

    Kinder sind den Luftschadstoffen dabei stärker ausgesetzt als Erwachsene:

    Man muss Kinder als besonders empfindlich ansehen. Sie wiegen weniger als Erwachsene und atmen in Relation zum Körpergewicht mehr Schadstoffe ein. Außerdem sind sie kleiner und dadurch näher an der Quelle der Autoabgase.

    Die EU-Kommission hat aber weit mehr als nur Verkehrsabgase im Visier. In manchen europäischen Ländern wird immer noch das Schwermetall Blei technisch eingesetzt, in anderen bleibt giftiges Quecksilber ein Problem. Beide Stoffe können die geistige Entwicklung von Kindern beeinträchtigen. Auf der Brüsseler Liste stehen zudem Umwelt-Östrogene. Das sind Chemikalien, die wie Sexualhormone wirken und in Spuren in der Umwelt vorkommen. Dioxine gehören dazu.

    Mediziner fürchten, dass sich diese Substanzen negativ auf die Fortpflanzungsfähigkeit auswirken: Die Liste ist ziemlich lang, sagt Roberto Bertollini.

    Wie stark Kinder in Europa all jenen Umweltgiften ausgesetzt sind, das will die neue Brüsseler Gesundheits-Initiative genau ermitteln. Und dann Strategien entwickeln, um die Belastung zu reduzieren. WHO-Experte Bertollini:

    Wenn wir nichts unternehmen, müssten wir wohl mit der Zunahme chronischer Atemwegserkrankungen bei den Erwachsenen von morgen rechnen.