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Schäbig schönes Biertrinken

In dem ehemaligen Arbeiterviertel Giesing im Münchner Süden stehen alle Zeichen auf Gentrifizierung. Kleine Architektur- und Designbüros sprießen wie Pilze aus dem Boden. Aber noch gibt es sie, die Bastionen gegen den Zeitgeist: Die zeitlosen Bierstüberl, Stehausschänke, Minikneipen. Auf Bayerisch: Boazn.

Von Andi Hörmann | 30.05.2012
    "Wir stehen jetzt hier am Anfang der Pilgersheimerstraße. Das ist eine der Hauptverkehrsadern durch Untergiesing. Gleich hier am Anfang steht das Bierstüberl "Zur Inge". Da gehen wir jetzt rein."

    Gezwirbelter Schnurrbart, Trachtenhemd und eine schwarze Katze auf den Unterarm tätowiert: Maximilian Bildhauer steht am Tresen und bestellt Weißbier.

    "Prost!"

    17:00 Uhr, "Zur Inge". Eine etwa zehn Quadratmeter kleine Boazn - eine dieser verruchten, kleinen Spelunken - mit gerade mal zwei Gästen: Der eine dreht sich vor dem Lokal eine Kippe, der andere drückt bunte Knöpfe am Spielautomaten. Die Decke ist mit Goldfolie abgehängt. An den Wänden: Ausgestopfte Tiere, Kuchenbackformen und vergilbte Postkarten mit König-Ludwig-Motiven. Die Ästhetik der Boazn: ein bayerischer Flohmarkt-Kitsch mit Almhütten-Charakter.

    "Entschuldigung. Können wir zahlen..."

    Der 25-jährige Kommunikationsdesigner Maximilian Bildhauer ist im Münchner Stadtteil Giesing aufgewachsen. In den letzten Jahren hat er hier mehr als 40 Boazn besucht, fotografiert, dokumentiert. Ein Bier hier, ein Gespräch da. Daraus ist ein Buch im Westentaschenformat entstanden: "Munich Boazn: Giesing" heißt sein erster Band mit Geschichten und Fotos aus und über diese kleinen Bier-Kaschemmen - weit abseits vom Münchner Schickimicki-Trubel der Innenstadt.

    "Prost!"

    18:00 Uhr, Captain Jack. Ein Bier, noch ein Bier. Frauen gibt es hier kaum. Eine Boazn ist immer auch ein wenig "Club der einsamen Herzen". Der Altersdurchschnitt: 40 plus.

    "Captain Jack. Ich kenne es noch als das "Sonnenstüberl". Danach hieß es das "Giasinger". Und jetzt, seit ein paar Jahren, ist es das Captain Jack. Eigentlich hat sich nicht viel verändert, außer den Fluch-Der-Karibik-Plakaten und dass jetzt die eine Ecke da voller Spielautomaten steht. Das war vorher auch eine Sitzecke. So wie die gegenüber."

    "Boazn sehe ich als Bierstüberl. Wo man sich - meist Stammgäste - trifft: Man sieht sich täglich, man tauscht sich aus, man trinkt ein Bier zusammen."

    Der blond gelockte Chris - 38, Marketingunternehmer und Stammgast - sitzt mit seinen Boazn-Freunden am Tresen und trinkt sein tägliches Feierabendbier im Captain Jack.

    "Man kennt jeden. Das ist der Thomas, das ist der Robert, das ist der Sternderl, da ist die Wirtin."

    "Entschuldigung, können wir zahlen!"

    "Jetzt sind wir gerade an der SportsBar15 und am ZickZack vorbei. Jetzt stehen wir dann vor dem Grandauer Faßl. Der Dieter sitzt schon davor und wartet schon auf uns."

    20:00 Uhr, "Grandauer Faßl": Dritte und letzte Station. Dieter Kolf betreibt es seit 1970. Die Einrichtung: Mit Herzchen bemalte Holzzierleisten, alpenländisch rustikal wie die Kulisse zum Musikantenstadel. Der Wirt ist sein bester Gast.

    "Ich sitze da wie jeder andere auch da sitzt. Draußen. Schön. Wetter stimmt. Ein bisschen anfeuchten, damit du keine Trockenstarre bekommst. Da habe ich keine Probleme."

    In den letzten Monaten sind schon fünf der 42 von Maximilian Bildhauer dokumentierten Boazn jungen Architektur- und Designbüros gewichen. In München-Giesing werden diese Bierstüberl regelrecht zu einer Bastion gegen die Gentrifizierung: schäbig statt schick! Und Maximilian Bildhauer steht als Kommunikationsdesigner und Boazn-Chronist fast schon versöhnlich auf beiden Seiten.

    "Wenn man dann hier an dieser Bar sitzt und sein Rüscherl trinkt, oder ein Weißbier mit einem Stück Zitrone drin, dann kommt man sich vor wie in einer anderen Zeit. Man vergisst diese ganze Computer-, Technik-Welt, die einem manchmal überfordert. Deswegen geht man ja in solche Läden, um den Alltag zu vergessen."


    Literaturhinweis:
    "Munich Boazn: Giesing" ist der erste Band einer Reihe über Münchner Stadtteile und ihre Boazn. Das Buch erscheint Ende Mai 2012 im Volk Verlag.