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Schädlich oder nützlich?

Auch die Ziegenzüchter in Deutschland haben einen Bundesverband. Und als wir letztens von einer Veranstaltung des Verbandes berichteten, da hieß es unter anderem, dass Ziegen auch gut geeignet seien für die Landschaftspflege. Diese Aussage wiederum führte zu einigen Hörerprotesten. Die Aussage sei falsch: Ziegen fressen doch alles weg, in der Landschaftspflege würde mit der Ziege der Bock zum Gärtner gemacht. Was stimmt denn nun, wollten wir wissen.

Von Arndt Reuning | 24.06.2004
    Früher sind hier einmal Panzer entlang gerollt. Die bucklige Piste mit ihren tiefen Wasserlöchern legt noch Zeugnis davon ab. Heute wachsen auf ihr Ginster und Binsen, und das Gelände steht unter Naturschutz. Es ist eine Ausgleichsfläche für den nahe gelegenen Flughafen Köln/Bonn.

    Die Wahner Heide ist eine alte Kulturlandschaft. Ein offenes, weites Gelände, nur spärlich mit Bäumen oder Büschen bestanden. Über Jahrhunderte hinweg wurden dem Boden Nährstoffe entzogen. Vor allem durch eine Überweidung mit Rindern, Schafen und Ziegen. So ist ein einzigartiger Lebensraum entstanden. Hier wachsen Heidekraut, Hundsveilchen und Arnika. Die seltene Heidelerche und Schwarzkehlchen finden sich hier. Damit das so bleibt, pflegt man das Land mit Ziegen. Sonst würden die Eichen, Birken und Kiefern aus dem Wald nebenan das Gelände zuwachsen:

    Ziegen setzt man überall da ein, wo man das Aufkommen von Gehölzen verhindern will. Andere Tierarten wie Rinder und Schafe fressen vor allem Gräser und Kräuter am Boden, und die Ziegen fressen am liebsten Blätter, junge Zweige und Rinde von Gehölzen.

    Thomas Stumpf ist Biologe. Rund 320 Ziegen hält er auf seinem Hof in Rösrath. Im Auftrag des Flughafens Köln/Bonn weiden die Tiere auf der Wahner Heide. Und sorgen damit für die typische Pflanzenwelt:

    Eine sehr niedrigwüchsige Vegetation, wo zwischen den einzelnen Pflanzen sehr viel Platz ist, und die Sonne den Boden zwischen den Pflanzen sehr stark erwärmen kann. Dies führt dazu, dass wir hier Eidechsen haben oder sehr viele verschiedene wärmeliebende Insektenarten, die in der Wahner Heide sehr typisch sind, aber außerhalb in der Rheinischen Kulturlandschaft kaum noch zu finden sind.

    Natürlich eignen sich die Ziegen als Landschaftspfleger nicht für jedes Gelände gleichermaßen. Heide und Kalkmagerrasen, das sind ihre Spezialität. Eben: Waldfreie Biotope innerhalb einer Waldlandschaft. Aber: Überall dort, wo ein junger Wald entstehen soll, von dort müssen die Ziegen fern gehalten werden. Denn die Ziegen halten die Bäume kurz:

    Der Fraß durch Rinder und Ziegen, wie er hier stattfindet, führt eben zur Ausbildung von einer Art von Bonsais, also sehr krüppelwüchsigen jungen Bäumen, die eben über eine gewisse Höhe nicht hinauskommen und dann, tja, wie ein typischer Bonsai aussehen.

    Die kulinarischen Vorlieben von Ziegen sind vor allem dornige oder bittere Gewächse. Wuchernden Brombeerhecken rücken sie ebenso zu Leibe wie der unerwünschten Ochsenzunge. Und manchmal machen sie sich auch über Pflanzen her, die im einheimischen Biotop nichts zu suchen haben. Zum Beispiel über die eingeschleppte kanadische Goldrute:

    Das kann man hier sehr genau sehen, weil hier eine eingekoppelte Fläche mitten durch diesen Goldrutenbestand führt. Und innerhalb der Koppel finden Sie praktisch gar keine Goldrute mehr, und außerhalb einen geschlossenen Bestand.

    Der Erfolg gibt Thomas Stumpf und seinem Konzept Recht. Die Artenvielfalt hat sich in der Wahner Heide in den letzten Jahren deutlich erhöht. Andere Arten wurden allerdings auch verdrängt:

    Natürlich gibt es, wie bei jedem anderen Eingriff auch, nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Und dazu zählen dann zum Beispiel meinetwegen Insektenarten, die in bestimmten Gebüschkomplexen besonders vorkommen, und wenn diese Gebüschbestände beseitigt werden, dann leiden solche Arten natürlich darunter, aber sie werden nicht aussterben.

    Überhaupt: Ein nicht geringes Maß an Fachwissen gehört dazu, wenn man mit den Ziegen keinen ökologischen Schaden anrichten möchte. Das gilt in der Heide genauso wie auf der Streuobstwiese. Denn auch dort lässt Thomas Stumpf seine Tiere weiden. Damit das Gestrüpp nicht überhand nimmt. Die jungen Bäume müssen natürlich mit Drahtgittern geschützt werden. Und ein Zeitplan ist einzuhalten:

    Man darf die Ziegen dann hier nicht das ganze Jahr über und jedes Jahr ununterbrochen weiden lassen. Das führt langfristig, da die Ziegen besonders gerne Blüten fressen, zu einer Verarmung in der Pflanzenwelt. Man muss einer solchen Wiese immer wieder eine Erholungsphase gönnen, damit bestimmte Pflanzenarten blühen und aussamen können.

    Mehr als sechzig verschiedene Gräser und Kräuter hat der Biologe auf einer Ziegenwiese gezählt. Ungefähr viermal so viel wie sonst üblich. Und auf einer Abraumhalde der stillgelegten Grube Weiß bei Bergisch Gladbach grasen die Ziegen ebenso. Denn auf dem hellen, sonnengewärmten Boden fühlt sich die seltene Gelbbauch-Unke besonders wohl.