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Schädlicher Evolutionsdruck

Ökologie. - Die weltweit operierenden Fangflotten fischen nicht nur zu viele Fische aus den Weltmeeren, sondern offenbar auch noch die falschen. Denn die Fischer fangen die größeren Tiere weg, während die weniger gut entwickelten durchkommen. Ökologen der Staatsuniversität von New York in Stony Brook veröffentlichen in der aktuellen "Science" Erkenntnisse, dass die Fischer dadurch die Population in eine falsche Richtung drängen können.

    Von Volker Mrasek

    Fischers Fritz fischt nicht nur frische Fische. Fischers Fritz fischt auch gerne große Fische. Und damit, fürchtet der US-Biologe David Conover, fischt er leider die falschen Fische:

    Die Fischerei ist meistens auf ergiebige Fänge aus. Also erntet sie aus einem Fischbestand in aller Regel die großen Individuen ab und lässt die kleinen zurück. Dadurch entwickelt sich die Population nicht mehr natürlich. Die Größe der Fische im Alter nimmt ab, und auch die Wachstumsraten des Bestandes.

    Conover ist Professor an der Staatsuniversität New York in Stony Brook. Er spricht vom "Darwin-Effekt" und einer "genetischen Auslese" durch die Fischerei. Denn wenn ständig nur die größten Exemplare im Fangnetz landeten, dann verliere eine Fisch-Population ihre "schnellwüchsigsten Genotypen". Das sind jene Art-Vertreter, deren Erbgut im Zuge der Evolution auf eine hohe Wachstumsrate getrimmt wurde.

    Übrig bleiben die Kümmerlinge, wenn man so will. Und auch der ganze Fischbestand kümmert nur noch vor sich hin. Das glaubt Conover aus Untersuchungen an Mondährenfischen ableiten zu können. Sie kommen an der amerikanischen Atlantikküste vor und leben gerade 'mal ein, zwei Jahre lang. Das machte sie zu idealen Studienobjekten für die New Yorker Arbeitsgruppe. Conover:

    Wir hatten sechs Populationen in Wasser-Tanks in unserem Labor. Sie stammten alle aus demselben Gen-Pool. Als die Fische nach einem Jahr ausgewachsen waren, haben wir die Populationen künstlich befischt und neun von zehn Fischen abgeerntet. In zwei Beständen nahmen wir die größten Exemplare heraus, in zwei anderen die kleinsten, und in der Kontrollgruppe wurden die Fische zufällig entnommen, also unabhängig von der Größe. Und das haben wir über vier Generationen immer wieder so gemacht.

    Das Ergebnis: Wo die größten Fische abgeschöpft wurden, legte der Rest-Bestand zunächst an Biomasse zu. Vermutlich, weil der Wasser-Tank plötzlich viel leerer war und unzählige Nahrungskonkurrenten fehlten. Doch ab der zweiten Generation kehrte sich der Trend um. Am Ende, nach vier Jahren, lag tatsächlich eine Kümmer-Population vor; die Biomasse - und damit auch der potentielle Fischerei-Ertrag - ging deutlich zurück.

    Conovers Arbeitsgruppe stellte zudem fest, dass die verbliebenen, kleineren Mondährenfische auch kleinere Eier ablaichten - ein weiteres Handikap für die Entwicklung der Population, wie die Biologen glauben.

    Die große Frage ist allerdings, ob die Ergebnisse tatsächlich auf die realen Fang-Gründe übertragbar sind. Denn zum einen landet der Mondährenfisch überhaupt nicht auf unseren Tellern; er ist bloß ein kleiner Köderfisch. Zum anderen haben die üblichen Speisefische viel längere Lebenszyklen, und sie schwimmen auch nicht in Tanks herum. Ihre Evolution spielt sich vielmehr in der Natur ab, und da wirken noch ganz andere Faktoren auf die Entwicklung ein.

    Conover nimmt diese Einwände durchaus ernst. Der US-Forscher verweist aber auf Beobachtungen anderer Biologen im Freiland:

    Es gibt zunehmend Belege dafür, dass sich die Evolution auch in der Natur sehr rasch abspielen kann. Sie stammen aus Studien mit Lachsen und Guppies. Und auch mit Äschen, die in norwegischen Seen eingesetzt und unterschiedlich stark befischt wurden. Da zeigten sich die gleichen Ergebnisse wie jetzt bei unseren Untersuchungen.

    In einem ist sich der New Yorker Forscher jedenfalls mit vielen seiner Fachkollegen einig. Conover empfiehlt, Meeres-Schutzzonen einzurichten, in denen grundsätzlich nicht gefischt werden darf. In diesen Refugien könnten dann auch jene Speisefisch-Riesen überleben, die normalerweise im Fangnetz enden. Im Gen-Pool eines Bestandes blieben dann auch die Goliaths erhalten.

    Die Idee mit den Schutzzonen ist nicht neu. Fischereibiologen haben sie bereits vorgebracht, aus einem anderen Grund. Sie glauben, dass viele überfischte Bestände sich nur dann wieder erholen können, wenn es möglichst rasch fischereifreie Zonen gibt.