"Es sind hier zehn Kloaken auf sieben Grundstücken und an einer Kloake arbeiten wir gerade … da gehen wir jetzt hin."
Archäologin Ursula Radis öffnet eine Absperrung und steigt hinab in die rechteckige Grube. Ende Juni hat das Team hier sein Zelt aufgeschlagen, um den dritten Grabungsabschnitt im Lübecker Gründungsviertel zu eröffnen. In der kurzen Zeit haben die Arbeiter das Gelände in eine lehmige Kraterlandschaft verwandelt. Überall ragen Mauerreste aus der Erde. Grundrisse mittelalterlicher Häuser. Die Grabungsleiterin steuert auf ein kreisrundes Loch zu. Je näher wir kommen, um so beißender wird der Gestank, der daraus aufsteigt.
"Man sieht's und man riecht es, ne. Am besten, wenn wir uns da hinstellen. Jens, machst du uns ein bisschen bitte Platz kurz? Das ist eine Kloake, die aus Backstein errichtet wurde, in Form von einem Schacht. Über zwei Meter Innendurchmesser hat dieser Schacht und geht – glaub ich – vier Meter in die Tiefe."
Die übel riechende Masse, die der Mitarbeiter aus der Kloake schaufelt, besteht zum größten Teil aus Fäkalien. Jahrhunderte lang diente die Backsteingrube als Toilette – und als Mülltonne.
"Nach dem Lübecker Bauverordnung musste auf jedem Grundstück mindestens eine Kloake stehen. Anders wie zum Beispiel in Hamburg, wo man Abfälle, Fäkalien, alles Mögliche in Kanäle entsorgen konnte, hat man das in Lübeck so organisiert von Anfang an. Schon vom späten 12. und natürlich dann im 13. Jahrhundert."
Archäologin Ursula Radis öffnet eine Absperrung und steigt hinab in die rechteckige Grube. Ende Juni hat das Team hier sein Zelt aufgeschlagen, um den dritten Grabungsabschnitt im Lübecker Gründungsviertel zu eröffnen. In der kurzen Zeit haben die Arbeiter das Gelände in eine lehmige Kraterlandschaft verwandelt. Überall ragen Mauerreste aus der Erde. Grundrisse mittelalterlicher Häuser. Die Grabungsleiterin steuert auf ein kreisrundes Loch zu. Je näher wir kommen, um so beißender wird der Gestank, der daraus aufsteigt.
"Man sieht's und man riecht es, ne. Am besten, wenn wir uns da hinstellen. Jens, machst du uns ein bisschen bitte Platz kurz? Das ist eine Kloake, die aus Backstein errichtet wurde, in Form von einem Schacht. Über zwei Meter Innendurchmesser hat dieser Schacht und geht – glaub ich – vier Meter in die Tiefe."
Die übel riechende Masse, die der Mitarbeiter aus der Kloake schaufelt, besteht zum größten Teil aus Fäkalien. Jahrhunderte lang diente die Backsteingrube als Toilette – und als Mülltonne.
"Nach dem Lübecker Bauverordnung musste auf jedem Grundstück mindestens eine Kloake stehen. Anders wie zum Beispiel in Hamburg, wo man Abfälle, Fäkalien, alles Mögliche in Kanäle entsorgen konnte, hat man das in Lübeck so organisiert von Anfang an. Schon vom späten 12. und natürlich dann im 13. Jahrhundert."
Kompletter Vogelkäfig gefunden
"Wir haben daraus schon drei Meter Kloakenmaterial rausgenommen und mein Kollege steht da unten und schaufelt mit Schaufeln dieses Material in den Eimer, der dann nach oben gezogen wird - und findet sehr viele Funde, sehr interessante Funde. Auch so kleine Sachen, wie eine Uhr, was uns besonders gefreut hat. Aus dem - glaub ich - 18. Jahrhundert. So genau haben wir sie nicht einordnen können bis jetzt. Eine Taschenuhr ist das. Die hat eine Öse, an der noch Stoff hängt, wirklich so ein Bändchen, wahrscheinlich Seide, und das ist gerissen.
Möglicherweise ist diese Uhr dem Besitzer oder der Besitzerin beim Toilettengang in den Schacht gefallen. Oder sie war schlicht und einfach kaputt und niemand wollte sich mehr damit beschäftigen. Aber das ist eigentlich selten, weil man früher alles Mögliche noch mal versuchte zu reparieren oder zu verwenden."
Archäologen bezeichnen die Abfallgruben gern als "Schatzkammern". Die Gegenstände, die sie darin finden, liefern einen spektakulären Querschnitt durch den mittelalterlichen Alltag: Was im Haushalt kaputt ging, landete ebenso in der Kloake wie Reste, die in Handwerksbetrieben anfielen. Ursula Radis und ihre Mitarbeiter haben zerbrochene Bernsteinperlen, Brillen und Kämme gefunden. Aber auch einen kompletten Singvogelkäfig und eine intakte Flöte.
"So wie zum Beispiel so einen Holzkasten, der sich auch öffnen ließ. Und darin ist so eine kleine Waage mit so kleinen Schälchen. Und Gewichte sind noch dabei. Und das ist wirklich was Besonderes! Die Sachen, die erst mal so wie ein Klumpen Dreck ausgesehen haben, werden wirklich zu Schönheiten."
Den Schmutz zu entfernen ist Aufgabe der Restauratoren. Ihre Werkstatt liegt im Souterrain des archäologischen Instituts:
"Da sind wir schon. Hallihallo!"
Neonröhren tauchen den Raum in kaltes Licht. Restauratorin Ulrike Scheibe bearbeitet heute einen organischen Fund. Die junge Frau öffnet den Kühlschrank und zieht eine Plastikfolie mit einem braunen, undefinierbaren Gegenstand heraus.
"Wir wissen noch nicht genau, um was es sich handelt. Ob das hier vielleicht Teile von Zaumzeug sind. Das wird dann mit Wasser erst mal gewaschen, dazu bringen wir das hier zum Waschbecken und dann haben wir hier diese Airbrush-Pistole. Da kommt einfach ein fein vernebelter Wasserstrahl raus. Und der entfernt dann wunderbar die Schmutzpartikel zwischen den Lederfasern."
Nach und nach kommt unter den Fäkalresten ein reich verzierter Lederriemen zum Vorschein.
"Es sind Ornamente, die rein geschnitzt wurden. Es ist auch doppelt gearbeitet. Und hier war vermutlich mal eine Naht. Es sind vielleicht sogar noch Nahtreste da. Ja, irgendein verziertes Band im weitesten Sinne. Es kommt dann, wenn es gereinigt ist, über mehrere Wochen ins Wasserbad. Da werden dann noch so die restlichen Bestandteile ausgeschwemmt. Danach muss es dann noch in eine Konservierungslösung. Das ist ein PEG-Bad. Da wird das Leder dann flexibel gehalten, damit es dann beim Trocknen in der Gefriertrockenanlage später nicht schrumpft oder brüchig wird."
Nach der Konservierung wandert der Riemen ins Magazin. Dort untersuchen und datieren Wissenschaftler den Fund, um ihn später vielleicht einmal auszustellen.
Möglicherweise ist diese Uhr dem Besitzer oder der Besitzerin beim Toilettengang in den Schacht gefallen. Oder sie war schlicht und einfach kaputt und niemand wollte sich mehr damit beschäftigen. Aber das ist eigentlich selten, weil man früher alles Mögliche noch mal versuchte zu reparieren oder zu verwenden."
Archäologen bezeichnen die Abfallgruben gern als "Schatzkammern". Die Gegenstände, die sie darin finden, liefern einen spektakulären Querschnitt durch den mittelalterlichen Alltag: Was im Haushalt kaputt ging, landete ebenso in der Kloake wie Reste, die in Handwerksbetrieben anfielen. Ursula Radis und ihre Mitarbeiter haben zerbrochene Bernsteinperlen, Brillen und Kämme gefunden. Aber auch einen kompletten Singvogelkäfig und eine intakte Flöte.
"So wie zum Beispiel so einen Holzkasten, der sich auch öffnen ließ. Und darin ist so eine kleine Waage mit so kleinen Schälchen. Und Gewichte sind noch dabei. Und das ist wirklich was Besonderes! Die Sachen, die erst mal so wie ein Klumpen Dreck ausgesehen haben, werden wirklich zu Schönheiten."
Den Schmutz zu entfernen ist Aufgabe der Restauratoren. Ihre Werkstatt liegt im Souterrain des archäologischen Instituts:
"Da sind wir schon. Hallihallo!"
Neonröhren tauchen den Raum in kaltes Licht. Restauratorin Ulrike Scheibe bearbeitet heute einen organischen Fund. Die junge Frau öffnet den Kühlschrank und zieht eine Plastikfolie mit einem braunen, undefinierbaren Gegenstand heraus.
"Wir wissen noch nicht genau, um was es sich handelt. Ob das hier vielleicht Teile von Zaumzeug sind. Das wird dann mit Wasser erst mal gewaschen, dazu bringen wir das hier zum Waschbecken und dann haben wir hier diese Airbrush-Pistole. Da kommt einfach ein fein vernebelter Wasserstrahl raus. Und der entfernt dann wunderbar die Schmutzpartikel zwischen den Lederfasern."
Nach und nach kommt unter den Fäkalresten ein reich verzierter Lederriemen zum Vorschein.
"Es sind Ornamente, die rein geschnitzt wurden. Es ist auch doppelt gearbeitet. Und hier war vermutlich mal eine Naht. Es sind vielleicht sogar noch Nahtreste da. Ja, irgendein verziertes Band im weitesten Sinne. Es kommt dann, wenn es gereinigt ist, über mehrere Wochen ins Wasserbad. Da werden dann noch so die restlichen Bestandteile ausgeschwemmt. Danach muss es dann noch in eine Konservierungslösung. Das ist ein PEG-Bad. Da wird das Leder dann flexibel gehalten, damit es dann beim Trocknen in der Gefriertrockenanlage später nicht schrumpft oder brüchig wird."
Nach der Konservierung wandert der Riemen ins Magazin. Dort untersuchen und datieren Wissenschaftler den Fund, um ihn später vielleicht einmal auszustellen.
Ruine wird in Neubau integriert
Aber die Grabungen in der Altstadt fördern weit mehr zutage als mittelalterliche Gegenstände. Die Archäologen legen auch Reste von Gebäuden frei. Manche stammen von den ersten deutschen Siedlern, die Mitte des 12. Jahrhunderts auf den Hügel zwischen Trave und Wakenitz kamen. Balken- und Bretterfunde - und ein komplett erhaltenes Kellergeschoss aus dieser Zeit – bezeugen, dass die Stadtgründer ihre Häuser zunächst aus Holz bauten.
"Wir haben hier Reste von einem Gebäude, das baugeschichtlich sehr interessant ist."
Zurück in der Grabungsgrube präsentiert Ursula Radis ihren jüngsten Fund: Grundmauern und Pfeiler aus mächtigen Findlingen. Sie stammen aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts und bildeten das Fundament eines sogenannten Steinwerks.
"Ein Steinwerk ist ein frei stehendes Gebäude, turmartig nach oben gehend. Diente dem Wohnen, aber auch dem Repräsentieren."
Auf den Findlingen haften Mörtel- und Backsteinreste. Materialien, die nicht nur Schlüsse über die Bauart zulassen, sondern auch über den Bauherrn.
"Dieses Steinwerk war aus Backstein errichtet. Also bestimmt jemand, der über kräftige Finanzen verfügte. Hier an der Alfstraße und an der Fischstraße wohnten auf jeden Fall Kaufleute. Der Nachbar wohnte wahrscheinlich noch in einem Holzhaus und er hat sich schon so ein gemauertes Gebäude geleistet. Also Backstein als Baumaterial im frühen 13. Jahrhundert war noch teuer. In diese Zeit hat man Kirchen gebaut aus Backstein. Und öffentliche Bauten wie Stadtmauer und Stadttürme waren aus Backstein. Aber im Profanbau: Das war noch was Innovatives."
Wenn die Archäologen ihre Grabungsarbeiten beendet haben, wird das gesamte Gebiet neu bebaut. Damit stellt sich eine grundsätzliche Frage: Was soll mit den mittelalterlichen Funden geschehen, die – wie die Fundamente des Steinwerks - im Boden bleiben?
Eine mögliche Lösung führt – wenige Schritte entfernt - der Neubau gegenüber der Marienkirche vor. Das Architektenteam Konermann/Siegmund errichtet hier ein modernes Gebäude. Auf Ruinen aus dem 13. Jahrhundert.
Im Untergeschoss riecht es frischem Beton. Ingo Siegmund bleibt vor einer imposanten Wand aus Findlingen und Backsteinen stehen: Teile eines mittelalterlichen Kellers, die der Architekt in eine Pfeilerkonstruktion aus dem 21. Jahrhundert integriert hat.
"Hier im Untergeschoss, in diesem Kellerraum wird es ein Café geben, was halt von dieser Besonderheit leben soll, das es umgeben ist von dem historischen Mauerwerk und den Feldsteinen. Man erlebt halt tatsächlich an dieser Stelle Geschichte."
Ein Konzept, das Schule machen könnte. Im Gründungsviertel werden in den kommenden Jahren über 40 Grundstücke neu bebaut. Bevor die Bagger anrollen, müssen die Archäologen den Boden untersuchen. So ist es in der Weltkulturerbe-Stadt gesetzlich vorgeschrieben. Niemand zweifelt daran, dass dabei weitere Schätze an Tageslicht kommen. Bisher hat sich der alte Archäologenwitz noch immer bewahrheitet: In der Lübecker Altstadt braucht man nur einen Spaten in die Erde zu stecken – und schon stößt man auf einen Fund.
"Wir haben hier Reste von einem Gebäude, das baugeschichtlich sehr interessant ist."
Zurück in der Grabungsgrube präsentiert Ursula Radis ihren jüngsten Fund: Grundmauern und Pfeiler aus mächtigen Findlingen. Sie stammen aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts und bildeten das Fundament eines sogenannten Steinwerks.
"Ein Steinwerk ist ein frei stehendes Gebäude, turmartig nach oben gehend. Diente dem Wohnen, aber auch dem Repräsentieren."
Auf den Findlingen haften Mörtel- und Backsteinreste. Materialien, die nicht nur Schlüsse über die Bauart zulassen, sondern auch über den Bauherrn.
"Dieses Steinwerk war aus Backstein errichtet. Also bestimmt jemand, der über kräftige Finanzen verfügte. Hier an der Alfstraße und an der Fischstraße wohnten auf jeden Fall Kaufleute. Der Nachbar wohnte wahrscheinlich noch in einem Holzhaus und er hat sich schon so ein gemauertes Gebäude geleistet. Also Backstein als Baumaterial im frühen 13. Jahrhundert war noch teuer. In diese Zeit hat man Kirchen gebaut aus Backstein. Und öffentliche Bauten wie Stadtmauer und Stadttürme waren aus Backstein. Aber im Profanbau: Das war noch was Innovatives."
Wenn die Archäologen ihre Grabungsarbeiten beendet haben, wird das gesamte Gebiet neu bebaut. Damit stellt sich eine grundsätzliche Frage: Was soll mit den mittelalterlichen Funden geschehen, die – wie die Fundamente des Steinwerks - im Boden bleiben?
Eine mögliche Lösung führt – wenige Schritte entfernt - der Neubau gegenüber der Marienkirche vor. Das Architektenteam Konermann/Siegmund errichtet hier ein modernes Gebäude. Auf Ruinen aus dem 13. Jahrhundert.
Im Untergeschoss riecht es frischem Beton. Ingo Siegmund bleibt vor einer imposanten Wand aus Findlingen und Backsteinen stehen: Teile eines mittelalterlichen Kellers, die der Architekt in eine Pfeilerkonstruktion aus dem 21. Jahrhundert integriert hat.
"Hier im Untergeschoss, in diesem Kellerraum wird es ein Café geben, was halt von dieser Besonderheit leben soll, das es umgeben ist von dem historischen Mauerwerk und den Feldsteinen. Man erlebt halt tatsächlich an dieser Stelle Geschichte."
Ein Konzept, das Schule machen könnte. Im Gründungsviertel werden in den kommenden Jahren über 40 Grundstücke neu bebaut. Bevor die Bagger anrollen, müssen die Archäologen den Boden untersuchen. So ist es in der Weltkulturerbe-Stadt gesetzlich vorgeschrieben. Niemand zweifelt daran, dass dabei weitere Schätze an Tageslicht kommen. Bisher hat sich der alte Archäologenwitz noch immer bewahrheitet: In der Lübecker Altstadt braucht man nur einen Spaten in die Erde zu stecken – und schon stößt man auf einen Fund.