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Schätze unter dem Eis

An der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover werden die arktischen Regionen erforscht. Die Länder rings um den Nordpol profitieren von dem deutschen Engagement. Denn das Areal ist riesig und könnte von den Anrainerstaaten selbst kaum untersucht werden, schon gar nicht so rasch. Doch von Schätzen im Eis würde Deutschland nicht profitieren.

Von Marc-Christoph Wagner und Michael Engel | 09.02.2008
    Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe - BGR. Rund 700 Menschen arbeiten in dem verschachtelten Hochhauskomplex in Hannover. Es ist acht Uhr, Arbeitsbeginn, am Eingang herrscht Hochbetrieb. Zum wissenschaftlichen Personal zählen vor allem Geologen, aber auch Physiker, die Forschungsprojekte planen und durchführen. Im Visier der Experten: Erzlager, Ölvorkommen, Wasseradern. Kaum eine Region auf der Erde ist ausgespart.

    Treppensteigen im Gebäude F, vorbei an arktischen Karten. Sie weisen den Weg zu den Büros der "Polargeologie". Sieben Mitarbeiter gehören zu der ungewöhnlichen Abteilung. Solveig Estrada, die stellvertretende Abteilungsleiterin, legt eine topographische Karte auf den Tisch. Im blau getönten Zentrum der überdimensionalen Karte laufen die Längengrade zu einem Punkt zusammen. "Das ist der Nordpol", erklärt die Wissenschaftlerin.

    "Wir haben vor uns eine Karte der Arktis liegen. Man erkennt den arktischen Ozean in der Mitte. Denn die Arktis ist ja im Gegensatz zur Antarktis eigentlich ein großer Ozean, der von Landmassen, von Kontinenten, umgeben ist."

    Die arktischen Länder, die sich in der Kartenansicht rund um den Nordpol gruppieren, werden von den Experten der Abteilung "Polargeologie" regelmäßig erkundet: Exkursionen führen zum Russland gehörenden "polaren Ural", immer wieder auch nach Spitzbergen, das unter norwegischer Flagge steht. Im benachbarten Grönland sind die Forscher zu Gast bei der dänischen Regierung. In diesem Sommer geht es wie schon in der Vergangenheit für mehrere Monate ins arktische Kanada.

    Detlev Damaske präsentiert auf dem Computerbildschirm ein Video, das auf Spitzbergen entstand: Rotoren knattern, Hubschrauber steigen auf, gesteuert von norwegischen Piloten. Auch der Geophysiker sitzt in einer der gecharterten Maschinen, um das Erdmagnetfeld zu messen.

    "Das muss man sich dann so vorstellen, dass man auf einer geraden Linie 100 bis 150 Kilometer lang fliegt, und fünf Kilometer versetzt wieder zurück fliegt. Insgesamt ein Netz abfliegt, und man erhält dann eine Art topographische Karte, allerdings nicht mit Höhenlinien, sondern von der magnetischen Totalintensität. Und diese interpretieren wir dann und korrelieren sie dann mit den geologischen Befunden."

    Die Mitarbeiter der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe betonen vor allem die Grundlagenforschung, die sie in den kargen, baumlosen Weiten der Polargebiete leisten. Dr. Karsten Piepjohn – zuständig für strukturgeologische Untersuchungen – ist dann immer zu Fuß unterwegs - mit Geologenhammer und Feldbuch.

    "Das, was wir machen, kann man eigentlich bezeichnen als Vorlaufforschung. Als Basisarbeit. Wenn man keine geologischen Informationen über den Aufbau der Erdkruste hat, kann man gar nicht nach Rohstoffen suchen. Wenn es zum Beispiel Granite gibt, brauchen wir gar nicht nach Erdöl zu suchen. Wenn man aber Sedimentbecken hat, dann ist es vielleicht schon mal eher wahrscheinlich, und das muss eigentlich noch alles in der Arktis untersucht werden."

    Monate schon hat der Wissenschaftler auf Spitzbergen verbracht. Mit Zelt und Schlafsack, um möglichst weite Strecken zu erkunden. Abenteuer – mit neugierigen Eisbären – inklusive. Bei Forschungen auf Grönland und weiter westlich – auf kanadischem Gebiet – können die Geologen aus Deutschland in festen Forschungsstationen der Dänen und Kanadier wohnen: Leben im Container.

    "Also, wenn wir dort die Messungen machen, dann sind wir verpflichtet, diese Daten auch dem jeweiligen Land, der jeweiligen Behörde dort zur Verfügung zu stellen. Dann würde man natürlich auch die Arbeiten zusammen machen und auch die Interpretation zusammen machen."

    Keine Frage: Die gastgebenden Länder rings um den Nordpol profitieren von dem deutschen Engagement. Denn das Areal ist riesig und könnte von den Anrainerstaaten selbst kaum untersucht werden, schon gar nicht so rasch, wie dies momentan geschieht. Sollten die wissenschaftlichen Erkundungsarbeiten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe tatsächlich Schätze unter dem Eis finden – Erzvorkommen, Erdöl oder Kohle – dann würden daraus keinerlei Ansprüche von deutscher Seite erwachsen, erklärt Karsten Piepjohn.

    "Nun gibt es in den arktischen Gebieten, und zwar gerade in den flachen Schelfgebieten, die noch sehr wenig erforscht sind, höchstwahrscheinlich Vorkommen vor allem von Energierohstoffen. Und wenn wir jetzt als BGR dort mit Kollegen aus Kanada oder aus Russland zusammen arbeiten, denen auch unser Know-how, unser Wissen von dem gesamtarktischen Raum zur Verfügung stellen, dann gibt es eventuell mal in der Zukunft, vielleicht in zehn, zwanzig Jahren die Möglichkeit für eine Nachfolgeregierung der heutigen mit einer Nachfolgeregierung der russischen vernünftige Verträge über Energierohstofflieferungen zu machen."

    Ob sich der wissenschaftliche Transfer eines Tages auszahlt und für wen, ist derzeit völlig unklar. Es gibt weder Verträge noch Abmachungen, die verbindlich festlegen, wie die Gegenleistung zur wissenschaftlichen Arbeit des Instituts aussehen könnte. Sollten die Rohstoffschätze in der Arktis gehoben werden, bliebe für Deutschland nur die Hoffnung, von den sprudelnden Quellen ebenfalls profitieren zu können.

    "Also unser Teil der Expedition hat zur Aufgabe, Daten einzusammeln, um den Kontinentalsockel Grönlands über 200 Seemeilen hinaus ausweiten zu können – das ist unsere Aufgabe."

    Christian Marcussen, Geologe am Nationalen Geologischen Institut in Kopenhagen. Den vergangenen Sommer hat er auf einem Forschungsschiff in der Arktis verbracht. Im Schlepptau eines russischen Atom-Eisbrechers, der den Weg durch die vier bis fünf Meter dicke Eisdecke bahnte. Marcussen hat in den Gewässern nordöstlich von Grönland wissenschaftliche Grundlagenforschung betrieben, gewiss. Doch es geht auch um knallharte nationale Interessen.

    "Und im arktischen Ozean gibt es fünf Länder, die hier Interessen haben. Es gibt Norwegen, Russland, USA und Kanada und Grönland/Dänemark."

    Jedes dieser Länder versucht derzeit, einen so großen Teil des Kuchens zu ergattern wie möglich. Beispiel Dänemark: 2004 hat Kopenhagen die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen unterschrieben. Wenn die entsprechenden geologischen Voraussetzungen gegeben sind, dann erlaubt dieses Vertragswerk jedem Küstenstaat, seine Wirtschaftszone von 200 auf 350 Seemeilen zu erweitern. Die darin enthaltenen Ressourcen auf und unter dem Meeresboden können exklusiv genutzt werden. Zehn Jahre, also bis 2014, hat das Königreich nun Zeit, seine hoheitlichen Ansprüche an den Küsten Grönlands zu dokumentieren – ein Unterfangen, für das die Kopenhagener Regierung 300 Millionen Kronen, rund 40 Millionen Euro, bereitstellt.

    "Grönland ist eine sehr große Insel und das bedeutet, dass sich entlang der Küsten Ölvorkommen finden könnten – unter Umständen in sehr großen Mengen. Bislang lag Grönland sehr peripher, es gab eine Menge Eis, die Bedingungen waren sehr schwierig. Deswegen wurde das Gebiet – verglichen mit der Nordsee – relativ wenig erforscht."

    Die 300 Millionen Kronen der dänischen Regierung könnten sich als gute Investition erweisen. Denn mit der peripheren Lage sei das so eine Sache, betont Flemming Getreuer Christiansen, Vize-Chef des Nationalen Geologischen Instituts und zuständig für die Ölerforschung. Nicht zuletzt den schmelzenden Eismassen sei Dank.

    "Das Beste, was man tun kann, ist es, sich einen Globus zu schnappen und sich die Abstände anzugucken. Dann wird man entdecken, dass die Distanz zwischen Nordostgrönland und zum Beispiel Japan und China sehr kurz ist, sehr viel kürzer als etwa vom Iran, Irak oder Saudi-Arabien in den Westen – vorausgesetzt man kann den arktischen Ozean befahren. Auch der Abstand zwischen Ostgrönland und Ölzentren wie Aberdeen oder Stavanger ist nicht weit. Und Gleiches gilt für den Abstand zwischen Grönland und Kanada sowie dem Nordwesten der USA."

    Und ein weiterer Punkt, so Flemming Getreuer Christiansen, mache Grönland interessant:

    "Sowohl Westeuropa, Nordamerika sowie der Ferne Osten sind sehr abhängig vom Öl. Vor diesem Hintergrund spielt die Versorgungssicherheit eine enorme Rolle. Im Nahen Osten gibt es diesbezüglich eine große Unsicherheit. Gleiches gilt für Staaten in der früheren Sowjetunion, Kasachstan, aber auch für Afrika, Venezuela, Kolumbien. Auch darum gibt es ein steigendes Interesse für Regionen, die einerseits gut erreichbar sind, andererseits politisch stabil. Das gilt für die Nordsee, aber eben auch für Grönland."

    Grönland. Knapp 2,2 Millionen Quadratmeter Fläche, sechs Mal so groß wie Deutschland, bewohnt von weniger als 60.000 Menschen. Etwa 85 Prozent des Landes sind von Eis bedeckt, an manchen Stellen ist es drei Kilometer dick. Die Nordküste ist lediglich 710 Kilometer vom Nordpol entfernt – kein anderes Land der Welt ist dichter dran.

    Grönland. Zu Dänemark gehörend. Viereinhalb Flugstunden von Kopenhagen entfernt. Seit 1979 genießt die ehemalige Kolonie einen autonomen Status und verwaltet sich selbst. Nach wie vor aber zahlen die Dänen pro Jahr knapp 500 Millionen Euro an die Regierung in Nuuk, um einen ausgeglichenen Haushalt zu sichern. Nach einer Volksabstimmung trat Grönland 1985 aus der Europäischen Gemeinschaft aus. Das Land wollte seine fischreichen Gewässer vor den europäischen Flotten schützen, aber auch die Souveränität über die eigenen Bodenschätze behalten. Letzteres könne sich nun als eine weitsichtige Entscheidung erweisen, so der Leiter der Rohstoffbehörde in Nuuk, Jörn Skov Nielsen:

    "Die letzten Schätzungen gehen davon aus, dass es alleine in Nordostgrönland Öl- und Gasreserven in einer Größenordnung von 32 Milliarden Tonnen gibt – das entspricht in etwa dem Gesamtvolumen der norwegischen Vorkommen. Was den Westen Grönlands betrifft, da haben wir gerade weitere Bohrlizenzen vergeben – in der Diskobucht zwischen dem 67. und 71. Breitengrad. Diese Lizenzen wurden von weltweit führenden Ölkonzernen wie Exxon, Chevron und Husky ersteigert. Und der einzige Grund, warum sich diese Unternehmen auf dieses Abenteuer einlassen, ist natürlich, dass alle Daten auch hier auf sehr große Vorkommen hindeuten."

    Vor den Küsten Grönlands finden sich aber nicht nur Rohstoffe. 1990 wurde die einzige Blei-Zink-Mine Grönlands geschlossen. Bis 2004 lag dann der gesamte Rohstoffsektor brach. Inzwischen operieren aber im Süden Grönlands eine Goldmine sowie eine Olivin-Mine. Noch in diesem Jahr, so Skov Nielsen, werden vermutlich drei weitere Minen eröffnet.

    "Das Inlandseis werden wir in den kommenden Jahren kaum erforschen können, aber die Folgen des Klimawandels zeichnen sich schon ab. Derzeit bearbeiten wir die Bewerbung für die Eröffnung einer Blei- und Zinkmine, die ganz in der Nähe derjenigen liegt, die 1990 geschlossen wurde. Dort hat man nun neue Vorkommen gefunden, die zuvor unter dem Eis lagen. Nun aber hat sich das Eis so weit zurückgezogen, dass man die Adern mit bloßem Auge sehen konnte."

    Das wirtschaftliche Potenzial des Minensektors ist nicht ganz so groß wie bei einem Fund von Öl und Gas, aber er hat dennoch für ein Land mit 60.000 Einwohnern eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung.

    "Betrachtet man Grönland isoliert, dann ist der Klimawandel für uns von Vorteil. Und das Inlandseis unsere Schatzkammer."

    Jørgen Wæver Johansen ist geradezu begeistert von den wirtschaftlichen Perspektiven seines Landes. Seine Firma Greenland Venture unterstützt die Ansiedlung anderer Unternehmen. Professioneller Optimismus, möchte man meinen. Doch die Zahlen sprechen für sich. Hat Greenland Venture 2005 lediglich 14 Anträge auf finanzielle Förderung für Start-ups erhalten, waren es 2007 schon fünf Mal so viele.

    "Der Seeweg zwischen Europa und Asien wird künftig über die Nordwestpassage führen. Und wie alle anderen Staaten, die strategisch wichtige Passagen haben, der Suezkanal, der Panamakanal, wird Grönland profitieren. Die Nordwestpassage wird der neue Panamakanal."

    Johansen ist sich sicher: Im globalen Wettbewerb habe Grönland noch einen Trumph in der Hand: Energie! Nicht vor den Küsten in Form von Öl und Gas. Sondern mitten im Eis. Denn schon heute produziere Grönland mit seinen von Schmelzwasser betriebenen Wasserkraftwerken sehr viel mehr Energie, als es selbst verwende:

    "Nehmen Sie die Aluminiumproduktion. Ein Drittel der Produktionskosten geht drauf für Energie. Mit anderen Worten: Wer den großen Aluminiumproduzenten günstige Energiepreise anbieten kann, ist im Geschäft. In diesem Zusammenhang spielen unsere Wasserkraftpotenziale eine wichtige Rolle. Auf Island gibt es heute schon fünf Aluminiumwerke, alleine, weil die Energie dort günstig ist. Und Island liegt ja ebenso peripher wie Grönland."

    Und konkrete Pläne gibt es schon. Die Aluminum Company of America, kurz Alcoa, plant auf Grönland ein erstes Werk, will rund eine Milliarde Euro investieren und 700 Arbeitsplätze schaffen. Für Jørgen Wæver Johansen aber ist das nur ein erster Schritt. Island ist gerade dabei, ein Unterseekabel zu planen, das überschüssige Energie nach Europa transportiert. Ist dieses Unterseekabel einmal gelegt, dann bräuchte Grönland theoretisch nur noch den Weg nach Island zu überbrücken und wäre dann mit dem europäischen Stromnetz verbunden.

    "Das ist nichts, was auf kurze Sicht verwirklicht wird, wahrscheinlich auch nichts, was mittelfristig geschieht, aber der Verkauf von sauberer und günstiger Energie ist Grönlands Zukunft – ganz abgesehen davon, wie viel Öl und Rohstoffe man sonst noch findet."

    Öl, Rohstoffe, günstige Energie – diese Schätze unter dem Eis wecken Begehrlichkeiten. In Kopenhagen, aber auch unter den grönländischen Politikern in Nuuk. Derzeit verhandelt eine grönländisch-dänische Kommission über eine komplette Selbstverwaltung der größten Insel der Welt. Im Herbst dieses Jahres sollen die Grönländer in einem Referendum über das Ergebnis abstimmen. Die zuständige Ministerin für Finanzen und äußere Angelegenheiten, Aleqa Hammond, sieht in der Selbstverwaltung aber nur einen ersten Schritt in Richtung einer völligen Unabhängigkeit ihres Landes:

    "Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass die Entwicklung sehr schnell gehen kann. Wir müssen alle juristischen Vorkehrungen treffen, sodass die Rechte der grönländischen Bevölkerung gesichert sind, bevor der Reichtum anfängt zu sprudeln."
    Genau hier aber zieht mancher dänische Politiker einen dicken Strich – etwa Pia Kjærsgaard, die Vorsitzende der rechten Dänischen Volkspartei, ohne deren Stimmen die rechtsliberal-konservative Regierung von Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen keine parlamentarische Mehrheit hat.

    "Es gibt viele, die für ein selbstständiges Grönland kämpfen. Das bedeutet aber auch, dass das Land ökonomisch auf eigenen Beinen stehen und ohne die Milliarden Kronen auskommen muss, die wir Dänen jedes Jahr an Grönland zahlen. Und es ist doch gar keine Frage, dass wir, die wir Grönland jahrelang finanziell unterstützt haben, auch teilhaben an den Rohstoffen, die dort gefunden werden."

    Doch das ist Zukunftsmusik, und am Ende werden sich Dänen und Grönländer auf einen Kompromiss einigen. Noch überweist die Kopenhagener Regierung einen jährlichen Scheck, noch erkunden dänische Geologen die Küsten Grönlands, um die Hoheitsrechte des Landes zu erweitern. Nur eines steht fest. Von einer Beteiligung Deutschlands an den Schätzen unter dem Eis spricht niemand – weder im grönländischen Nuuk noch im dänischen Kopenhagen.