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Schäubles 2. Treffen mit Schreiber

Lange: Die rückhaltlose Aufklärung in der CDU, das geht so: Einzelne Journalisten erfahren von den Schlüsselfiguren der Spendenaffäre neue Details, die die bisherigen Darstellungen aus der CDU ergänzen oder überholen oder in Frage stellen. Mit diesen Informationen konfrontiert, geben die Schlüsselpersonen der CDU dann genau diesen Sachverhalt zu. Das war so bei Manfred Kanter und das ist nun wieder so bei Wolfgang Schäuble. Die CDU und die Medien: Im Moment ist das ein Wettlauf zwischen Hase und Igel, und die Wetten, dass auch mal der Hase gewinnt, die stehen ausgesprochen schlecht. Am Telefon ist nun Friedrich Merz. Er ist einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen Herr Merz.

    Merz: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Herr Merz, was war denn Ihr erster Gedanke, als Sie gestern abend erstmals von diesem zweiten Treffen des Herrn Schreiber mit Wolfgang Schäuble erfahren haben?

    Merz: Mein erster Gedanke war, Herr Lange, dass uns das besser erspart geblieben wäre. Glücklich ist niemand von uns darüber, das macht die Sache nicht leichter.

    Lange: Warum kommt Ihre Partei in dieser Affäre einfach nicht aus der Kurve?

    Merz: Ja, wir kommen nicht weiter und wir kommen vor allen Dingen nicht an den Kern des Problems heran, weil nach wie vor - und das hat keinen Sinn, da jetzt noch weiter zu drängen, es wird wohl so bleiben - Helmut Kohl nicht bereit ist, uns zu helfen. Er verschweigt das, was er weiss. Und das, was er weiss, ist das eigentliche Problem. Hessen ist ein weiterer Fall und ein großes Problem, aber wohl auf dem Weg zur Lösung. Das, was die Person Wolfgang Schäuble betrifft, ist - nach meinem Eindruck - eher ein Randproblem, mit dem Wolfgang Schäuble jetzt selbst in erhebliche Erklärungsnot geraten ist, aber es ist nicht der Kern des Problems, es ist ein Randproblem. Er gerät in den Mittelpunkt der Kritik. Ich finde, wir müssen jetzt, trotz allem, die richtigen Prioritäten in der Einschätzung der Lage bewahren. Meine Auffassung ist die: Es wäre besser gewesen, wenn wir das von ihm früher erfahren hätten, wenn er vielleicht auch früher in seinen Kalender gekuckt hätte, ob es da noch ein Treffen gegeben hat. Aber ich glaube ihm, dass es so ist, wie er das gesagt hat. Das Hauptproblem verbindet sich eben mit dem Namen Helmut Kohl, und das wird wohl möglicherweise noch längere Zeit unlösbar bleiben, vielleicht auch für immer.

    Lange: Aber Herr Merz, wenn wir uns jetzt mal einen Moment gemeinsam in die Person von Wolfgang Schäuble hineinversetzen: Wenn ich schon vor dem Bundestag ‚Asche auf mein Haupt' streuen muss, wenn ich mich entschuldigen muss für so eine unvollständige Darstellung, dann würden Sie und ich uns doch vorher hundertprozentig absichern, dass man nicht ein paar Tage später wieder in eine solche Situation kommt. Wie erklären Sie sich das?

    Merz: Die Frage habe ich mir auch gestellt, Herr Lange. Und ich habe mir auch die Frage gestellt: Wie hättest Du in vergleichbarer Situation gehandelt? Ich muss Ihnen sagen - vielleicht verstehen das nicht alle unsere Zuhörer - : Wir begegnen täglich einer solchen Vielzahl von Menschen - im Parlament, in unserem Büro, in unseren Wahlkreisen -, und da kann man sich, vor allen Dingen wenn es einige Jahre her ist, nicht an jede Begegnung erinnern. Und es steht auch nicht jede Begegnung in unserem Terminkalender und in den Terminkalendern in unseren Büros. Gut, man hätte vielleicht früher nachschauen können und hätte vielleicht diese Begegnung, die da stattgefunden hat, früher rekonstruieren können. Aber ich muss Ihnen sagen: Es geht mir heute, wenn ich in meinem Terminkalender gucke, bei gewiss vielen Namen so, dass ich mich an bestimmte Begegnungen nicht erinnern kann, an die Personen nicht erinnern kann. Es sind 10, 12, 15 am Tag, und dies liegt nun viele Jahre zurück. Schön ist es nicht; ich verstehe die Reaktion, ich verstehe auch die Presse von heute morgen, ich verstehe auch die Fragen, die Sie uns stellen. Aber die Konsequenzen daraus in der Weise zu ziehen, dass man nun sagt, ‚Wolfgang Schäuble ist als Parteivorsitzender nicht mehr haltbar', ist eine Konsequenz, die ich nicht teilen kann. Ich meine, man darf jetzt wirklich nicht denjenigen, der sich um die Aufklärung des Problems bemüht, der eine Riesenlast übernommen hat, die sich eben nicht mit seinem Namen verbindet, nicht zum ersten Opfer dieser Affäre machen. Und insofern ist es eine für ihn auch schwierige Lage. Aber ich sage ganz offen: Ich persönlich werde ihm dabei helfen, dass er sie meistert, und ich werde nicht in den Chor derer einstimmen, die nun personelle Konsequenzen von ihm fordern.

    Lange: Aber Herr Merz, wenn Ihnen jemand 100.000 Mark als Spende vorbeibringen würde, und wenn dieser Mensch Sie ein zweites Mal besuchen würde: Halten Sie es für wahrscheinlich, dass Ihnen dieses zweite Treffen absolut entfallen würde?

    Merz: Ich halte es für nicht sehr wahrscheinlich, aber ich halte es für möglich, zumal dieses zweite Treffen ja wohl, wie beide Beteiligten sagen, in einem sehr kurzen Augenblick nur stattgefunden hat, als Wolfgang Schäuble schon auf dem Weg ins Plenum des Deutschen Bundestages war. Und deswegen sage ich nochmal: Ich halte es für möglich, und ich persönlich glaube Wolfgang Schäuble, dass er die Wahrheit sagt, dass er genau das so sagt, wie es war. Und - noch einmal: Das kann jedem von uns passieren, dass man sich nach vier, fünf oder sechs Jahren an bestimmte Begegnungen und deren Umstände nicht mehr so genau erinnert, sogar an Personen sich nicht mehr erinnert, die bei uns gewesen sind bei der Vielzahl derer, die wir jeden Tag, jede Woche, jeden Monat sehen.

    Lange: Das würden Sie auch einem SPD-Politiker abnehmen, wenn der so eine Fortsetzungsgeschichte erzählen würde?

    Merz: Ich würde bei einem SPD-Kollegen, der in einer vergleichbaren Lage wäre, genau die Zweifel äußern, die Sie äußern, die Ihre Kollegen äußern und die viele Kollegen von uns natürlich jetzt auch haben. Aber ich würde diesem Kollegen gleichermaßen auch die Unschuldsvermutung zukommen lassen. Und solange nicht klar wäre, was eigentlich der Hintergrund dieses ganzen Spiels, das da abläuft und das sich mit dem Namen eines Mannes verbindet, der immerhin zur Zeit nach Deutschland nicht kommen kann, weil er per Haftbefehl gesucht wird. Ich würde bei dieser Gelegenheit eben auch sagen: ‚Die Unschuldsvermutung gilt'. Und ich würde zweitens sagen: ‚Ihr habt ein größeres Problem, und das verbindet sich nicht mit Eurem amtierenden Vorsitzenden, sondern das verbindet sich mit Eurem früheren Vorsitzenden, der lange Bundeskanzler in Deutschland war. Und es wäre gut, wenn der sagen würde, was er weiss. Aber er tut es nicht. Und an dieser Stelle ist das Problem - und nicht umgekehrt'.

    Lange: Nun gibt es ja auch noch diesen Bericht von Horst Weyrauch über das Finanzgebaren der hessischen CDU. Halten Sie es immer noch für glaubhaft, dass von all diesen Transaktionen nur Manfred Kanter und Prinz Wittgenstein gewusst haben?

    Merz: Also, ich kenne diesen Bericht nicht, er ist auch noch nicht öffentlich gemacht worden, er soll angeblich mehrere tausend Seiten umfassen. Ich bin mit Roland Koch seit vielen Jahren persönlich befreundet, und ich finde, so - wie er das macht in Hessen als Parteivorsitzender, der er noch nicht lange ist, und als Ministerpräsident, der er vor knapp einem Jahr gewählt worden ist, macht er das wirklich ausgesprochen gut. Er macht das sehr glaubwürdig und er zieht auch schnelle Konsequenzen aus dem, was er erfahren hat. Und ich vollziehe das sehr gut nach, dass das, wie es in Hessen wohl gewesen war, so war, wie es Roland Koch sagt, dass er nämlich sagte: Ich habe einen früheren Landesvorsitzenden, ich habe einen langjährigen Schatzmeister gehabt, und die haben gesagt ‚es ist alles in Ordnung, kümmere Du Dich um Deinen Wahlkampf, wir kümmern uns um die Finanzierung des Wahlkampfes'. Und deswegen halte ich es für durchaus plausibel, nachvollziehbar, glaubwürdig. So wie Roland Koch die Dinge macht, sind sie in Ordnung. Und das Vertrauen der Parteiführung, das Vertrauen auch der Bundestagskollegen, hat Roland Koch. Er wird wahrscheinlich in Hessen sehr viel schneller zu einem Ergebnis kommen in seinen Bemühungen um Aufklärung, als wir in der Bundespartei, weil er eben als Parteivorsitzender auch die Unterstützung derer hat, die es früher zu verantworten gehabt haben - bei allem, was da passiert ist. Kanter und andere unterstützen ihn. Das kann man leider von Helmut Kohl gegenüber Wolfgang Schäuble nicht sagen.

    Lange: Aber dennoch, es brennt ja an mehreren Stellen, was das Finanzgebaren angeht. Wieviel Vertrauen haben Sie denn noch in die aufklärerische Kraft Ihrer Partei?

    Merz: Ich bin ja nun selbst Mitglied des Bundesvorstandes der CDU und habe die Sitzungen, Klausurtagungen, Sondersitzungen und auch die Krisengespräche überwiegend mitbekommen, soweit sie jedenfalls nicht im Präsidium stattgefunden haben, sondern im Bundesvorstand. Ich sage unverändert nach wie vor: Wolfgang Schäuble und Angela Merkel machen die Sache gut, und sie haben das Vertrauen der Partei insgesamt verdient. Und ich will gerade zur Person Angela Merkel sagen, nicht nur, weil sie persönlich eine ausgesprochen liebenswürdige Generalsekretärin ist: Sie macht ihre Aufgabe wirklich gut, sie bekommt unglaublich viel Zustimmung in der Partei - mit einem ganz klaren, ruhigen und sicheren Kurs, den sie fährt. Und das Vertrauen, das Angela Merkel hat und das sie verdient, das braucht sie auch, um diese Arbeit zu leisten - mit Wolfgang Schäuble zusammen. Ich telefoniere häufig mit ihr, und wir bemühen uns darum auch gemeinsam, nach vorne zu kommen. Sie hat die Unterstützung in der Partei allemal verdient und die hat sie auch. Wir kommen Schritt für Schritt weiter. Ob wir gemeinsam ans Ziel kommen, wissen wir zu jetzigen Zeitpunkt nicht. Aber Unterstützung verdient hat sie und hat Wolfgang Schäuble - beide zusammen - allemal.

    Lange: Wieviel politischen Kredit hat denn Wolfgang Schäuble noch? Wieviel Scheibchen solcher Informationen darf er sich noch leisten?

    Merz: Ich will Ihnen ganz offen sagen: Wir haben in der letzten Sitzungswoche in Berlin - in der letzten Woche - gesagt: Also, mehr darf nun nicht passieren! Jetzt ist noch mal mehr passiert. Nur, ich plädiere nachdrücklich dafür, dass wir das in den richtigen Relationen auch bewerten. Dies, was Schreiber und die Begegnung mit Schäuble betrifft, ist das kleinere Problem. Das größere Problem sind 12 Millionen Mark Spenden unbekannter Herkunft, wo aber offensichtlich unser früherer Parteivorsitzender weiss, wo sie herkommen und eisern schweigt. Das ist sein gutes Recht, das muss er selber entscheiden und bewerten. Aber das größere Problem ist ungelöst. Das kleinere Problem kommt leider nur stückweise ans Tageslicht. Aber ich kann - für mich persönlich - die Konsequenz daraus nicht ziehen, dass derjenige, der die Arbeit als Parteivorsitzender übernommen hat, die Last schultert und sagt ‚ich bemühe mich jetzt darum', der erste ist, der zurücktreten soll. Ich kann für mich persönlich diese Konsequenz nicht ziehen, weil sie auch der Person Wolfgang Schäubles nicht gerecht wird, sondern weil es den Falschen träfe, der Verantwortung trägt für einen Sachverhalt, der uns alle unglaublich beschwert, der uns auch in unserer Arbeit als Opposition im Deutschen Bundestag weit zurückwirft, der praktisch kaum noch erlaubt, dass wir Sacharbeit leisten, und der uns noch lange beschäftigen wird und der auch unsere Parteibasis in schiere Verzweiflung stürzt in der Bewertung dieser Vorgänge, die jetzt alle da bekannt werden. Ich sage es noch einmal, ich bleibe dabei: Wolfgang Schäuble ist als Parteivorsitzender nicht unbeschädigt geblieben in den letzten Tagen; es wäre falsch, wenn er jetzt die persönliche Konsequenz des Rücktritts daraus ziehen würde. Wir brauchen ihn als Parteivorsitzenden, wir brauchen ihn als Fraktionsvorsitzenden. Und ich sage auch einmal: Wenn wir jetzt am Tag einen neuen Vorsitzenden bekämen, dann hätten wir drei Tage eine gute Presse, und am vierten Tag hätten wir alle alten Probleme. Insofern macht es keinen Sinn. Mein Vertrauen, mein persönliches Vertrauen hat er. Das Vertrauen der Fraktion und der Partei hat er nach wie vor - wie ich finde - verdient, und ich werde dafür werben, dass er es bekommt.

    Lange: Friedrich Merz war das, der stellvertretende CDU/CSU-Bundestagsfrak-tionsvorsitzende im Deutschen Bundestag. Ich danke Ihnen sehr herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören, Herr Merz.

    Merz: Ich danke Ihnen auch, Herr Lange.

    Link: DeutschlandRadio Magazin