Dienstag, 19. März 2024

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Schalko-Roman als Theaterstück
"Schwere Knochen" in Wien

"Schwere Knochen" gehört zu David Schalkos Trilogie über die Gier, die zur Macht treibt und ihre Betreiber zerstört. Das Wiener Volkstheater macht daraus ein Bühnenstück und erzählt die Ganoven-Geschichte zwischen Wiener Unterwelt, Federboas und dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland.

Von Paul Lohberger | 16.01.2020
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Szene aus dem Stück "Schwere Knochen" nach dem Roman von David Schalko (www.lupispuma.com / Volkstheater)
"Er hat in seinem ganzen Leben keine Frau geküsst. Er hat seine Prinzipien und seine Methoden. Den Krutzler'schen Halsstich, den kennt man nicht nur in Wien, den kennt man auch in Hamburg. Und keiner, wirklich keiner darf sein beigen Kamelhammer berühren."
Der in jeder Hinsicht gewaltige Ferdinand Krutzler ist die zentrale Figur im Theaterstück. Die Buchvorlage, der Roman "Schwere Knochen", gehört zu David Schalkos Trilogie über die Gier, die zur Macht treibt und ihre Betreiber zerstört. Die nötige Gewalt erlernt die Hauptfigur schon als Kind:
"Bei mir haben die Buben g´lernt, dass sich jede Frage mit einer Faust beantworten lässt."
Alles wird geknackt
Im Armutsmilieu der Zwischenkriegszeit trifft der Krutzler seine drei Kumpane und die Liebe seines Lebens. Die Logiken und Gesetze dieser Welt sind selbsterklärend und bestimmen das Handeln der Figuren:
"Wir haben damals alles geknackt: jedes Schloss, jeden Tresor, jede Frau – nur die Musch nicht. Die Muschkowitz, kurz Musch genannt, war 17 Jahre alt und eine Männerfresserin."
Die Darsteller wechseln oft zwischen Interaktion untereinander und erläuternder Erzählung zum Spiel der anderen auf der Bühne. So werden mit minimaler Ausstattung Szenerien geschaffen. Moral gibt es keine - aber eine kleine Kapelle für Bühnenmusik und einen Vorhang aus Ketten. Als die Nazis nach Wien kommen, haben sich Krutzler und seine Gang als Einbrecher etabliert. Bald landen sie im KZ. Krutzler steigt zum Kapo auf, seine Halsstich-Kompetenz ist gefragt. Die Gewalt, ohnehin ein ständiger Treiber der Handlung, erreicht eine neue, absurde Dimension. Die Herrscher in diesem System tragen weder Uniform noch Häftlingskleidung, sie sind Clowns: skurril, aber stimmig. Dazu der Regisseur Alexander Charim im Gespräch:
Paul Lohberger: "Wie hält man die Balance, dass es nichts ins Komische kippt?"
Alexander Charim: "Wir sind ja vollgestopft mit Bildern vom Nationalsozialismus und erst recht mit Bildern der Konzentrationslagern, und das ist etwas, das man auf der Bühne nicht wiederholen kann, das ist obszön. Am Anfang dacht' ich, man muss das komplett abstrakt halten, und dann dacht' ich, dass das zu einfach ist, und zu zurückhaltend. Und dass man dem eine Bilderwelt entgegenhalten muss, die eine ganz anders ist und zwischen Horror und Komik spielt."
Nach dem Krieg kehrt Ferdinand Krutzler nach Wien zurück, seine Ansprechpartner bei der Polizei und im Schwarzhändler-Milieu kennt er aus dem KZ - ein wesentlicher Punkt für David Schalkos Buchvorlage.
Die Wiener Unterwelt
Paul Lohberger: "War der Ausgangspunkt, der Reiz: die Zeit, die Figuren der Wiener Unterwelt?"
Portrait von David Schalko
Regisseur David Schalko hat "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" als Serie verfilmt. (ORF/Superfilm/Ingo Pertramer)
David Schalko: "Na beides. Die Zeit, weil sie sehr speziell ist und die Wiener Unterwelt in der Zeit sehr speziell war, eben aufgrund dieser KZ-Geschichte, dass dadurch Kapitalverbrecher wurden und ausgebildet wurden. Das ist schon ein Unikum, wo sich die amerikanische oder italienische Unterwelt sehr stark von der Wiener Unterwelt unterscheidet. Die war auch damals verschrien als besonders brutal. In Kombination mit dem Wiener halbseidenen Milieu, und die Nachkriegszeit, das war so eine Mischkulanz aus dem, das mich da interessiert hat."
Die Aufteilung in Zonen der Besatzungsmächte hat den Boden für allerhand Schmuggel bereitet. Geld ist hier nicht die einzige Währung. Zwischen Rotlicht und perversen Entscheidungsträgern entspinnt sich der Business Case von Krutzler und seinen alten Freunden. Ihre Welt hat den Glanz der Federboas und schummrigen Lichter. Gelacht wird vor allem, wenn Krutzler seine Musch trifft. Zum ersten Wiedersehen nach dem Krieg bringt er ihr eine Giftschlange.
David Schalkos Geschichten wirken nie moralisierend, vielmehr sorgen plakative Bilder und Figuren für zeitgeistige Unterhaltung. Die Inszenierung am Wiener Volkstheater kann diesem Ansatz gut entsprechen. Drei Stunden Theater sind bis zuletzt kurzweilig. Auf Katharsis und Katastrophe folgt eine saftige Schlusspointe, aber Bilder und Gedanken wirken nach.