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Schall-Mauer für's Eigenheim

Technik. - Eine "Schall-Mauer" im wahrsten Sinne des Wortes kann sich künftig jeder ins Wohnzimmer einbauen, der auf verstaubende Boxen, nicht aber häuslichen Surround-Sound verzichten will. Möglich machen dies Platten aus einer speziellen Polyurethanverbindung, mit denen Räume beliebig verkleidet werden können und die fast wie akustischen Gitarren funktionieren.

Von Detlev Karg |
    Wenn Sie ihr Radio anstellen, klingt Ihnen das Programm vermutlich per Lautsprecher entgegen. Ein bewährtes Prinzip: Eine Membran wird durch das Anlegen von Spannungen an einer Magnetspule in Schwingungen versetzt, überträgt die Wellen an die Luft und das Ohr hört einen Klang. Seit den zwanziger Jahren aber weiß man, dass sich Schall auch anders erzeugen lässt. Damals hatte die Firma Siemens ein Patent für Flachlautsprecher erhalten, die eben keine schwingende Membran, sondern eine plane Schallfläche besitzen. Hans Bommer, Geschäftsführer des Überlinger Polyurethanverarbeiters Puren:

    Neu bei diesem System ist, dass wir eine schwingende Fläche wie bei einer akustischen Gitarre haben, deren Klang über den Körper in den Raum getragen wird. Völlig anders ist das bei der herkömmlichen Lautsprechertechnik, da wird der Klang wie etwa bei der Trompete durch Luftdruckwellen übertragen.

    Dabei nutzen die Hersteller das Phänomen, dass sich Schall auch in festen Stoffen erzeugen lässt. Sie nutzen den so genannten Körperschall. Das Material schwingt. Dann breiten sich die Schallwellen aus. In der Luft geschieht das longitudinal, die Wellen pflanzen sich parallel fort. In festen Stoffen hingegen gibt es eine Handvoll anderer Wellenarten, in diesem Fall die so genannten Biegewellen. Sie breiten sich quer zur Schwingungsrichtung der Schallquelle aus. Flachlautsprecher nach diesem Prinzip konnten sich bisher nicht auf dem Massenmarkt durchsetzen, wenngleich es sie in vielen Varianten gibt. Nun haben sich drei Firmen zusammengetan und die Idee neu belebt: Siemens, Bayer und die Puren GmbH. Gesucht war zudem der richtige Werkstoff für das seit langem bekannte Prinzip. Auch hier kam ein alter Bekannter zu neuen Ehren: Polyurethan, vielen unter der Abkürzung PU bekannt, hat die richtigen Eigenschaften. Eckard Foltin ist Ingenieur bei Bayer Material Sciences, einem von fünf PU-Herstellern weltweit, und erläutert die chemische Seite:

    Produkte aus Polyurethan bestehen im Prinzip aus zwei Materialien, aus zwei Flüssigkeiten, dazu ein Treibmittel, die bringen Sie zusammen, dann entsteht ein Schaum. der hat eine Zellstruktur, eine Wabenstruktur, die verleiht die Steifigkeit.

    Rohstoffe des recyclebaren Kunststoffs sind Cyanate, als Treibmittel dient Pentan. Und so wurde also PU vom Dämmstoff zur "Schall-Mauer" im wahrsten Sinne des Wortes. 18 Monate dauerte es, das passende Polyurethan zu entwickeln. Die Zellstruktur sorgt auch für die richtige Ausbreitung der Schallwellen. Die Rezeptur ist ein gut gehütetes Geheimnis. Die Platten lassen sich beliebig verbauen, tapezieren und verkleiden. Ein Vorteil: Sie schwingen nicht nach, wie Lautsprechermembranen. Elektronische Schwingspulen, so genannte Exciter, übertragen die Klangsignale übertragen auf die Rückseite der Platten. Diese werden von einem Prozessor der Firma Siemens angesteuert. Dabei handelt es sich um programmierbare Chips, die den Frequenzverlauf an das Oberflächenmaterial anpassen, mit dem das jeweilige Soundboard verkleidet wird. Zu den Soundboards gehört deshalb ein eigenes Verstärkersystem. Wichtig für Klangliebhaber: Im Vergleich zu normalen Boxen ist der Abstrahlwinkel doppelt so breit. Hans Bommer:

    Sie müssen sich das so vorstellen, dass bei den herkömmlichen Boxen ähnlich wie bei einer Taschenlampe ein enger Korridor für den Schall verbleibt, während das neue System einen weiten Abstrahlwinkel hat, nämlich etwa 120 Grad.

    Auch im Profi-Bereich, etwa in Konferenzräumen, lässt sich das "Pursonic" getaufte System einbauen. Rückkopplungen beim Einsatz eines Mikrophons gibt es laut Hersteller praktisch nicht. Für die Bässe allerdings sorgt weiterhin ein Basslautsprecher, der versteckt im Raum an die Anlage angeschlossen wird, wie bei heutigen Surround-Anlagen auch. Die Ingenieure denken heute schon weiter: So könnte im Auto der Dachhimmel für Raumklang sorgen, die Verkehrsnachrichten vom Armaturenbrett erklingen. Die Möglichkeiten der Biegewellen sind noch lange nicht ausgeschöpft.