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Schandflecken in der City

Erst Karstadt, dann Hertie, dann pleite. Seit fast fünf Jahren stehen in zahlreichen Innenstädten frühere Kaufhäuser leer. Um den Verfall zu stoppen, fordern betroffene Kommunen nun eine Änderung des Baurechts.

Von Ludger Fittkau |
    Bingen am Rhein, zwischen Nahemündung und Fußgängerzone in der Innenstadt. Hier liegt ein rot-brauner Waschbetonbau vom Ausmaß einer kleinen Fußballarena. Das ehemalige Hertie-Kaufhaus schiebt sich wie ein Riegel zwischen das Flussufer und die verwinkelten Gassen der Altstadt. Im Erdgeschoss bietet ein Schnäppchenmarkt provisorisch seine Waren an. Die Passanten sind sich einig:

    "Also der Zustand … es wurde hier nie was gemacht. Es ist ja ziemlich verkommen, seit der Hertie raus ist."

    "Für ganz Bingen, für die Innenstadt ist das irgendwie ein Schandfleck, nach meinem Geschmack."

    "Weil das Gebäude doch sehr unansehnlich ist, wenn es nicht mit einem attraktiven Verkaufsladen belegt ist. Und das war früher der Karstadt und der Hertie."

    Wenig tröstlich: Bingen ist mit seiner Hertie-Leerstandstristesse nicht allein. In mehr als 30 Kommunen bundesweit stehen seit der Insolvenz der Kaufhauskette vor fast fünf Jahren die ehemaligen Verkaufsgebäude ungenutzt herum. Ein schwer durchschaubares Geflecht aus Eigentümern, Insolvenzverwaltern sowie der Deutschen Bank ist für den Leerstand verantwortlich.

    Der Rechtsgrundsatz "Eigentum verpflichtet" gelte auch für diese Eigentümer der leerstehenden Hertie-Kaufhäuser. Dies betonen nun 30 Bürgermeister zwischen Schleswig und Tuttlingen in einer sogenannten Binger Erklärung.

    Man fordere keine Enteignung, wolle aber nach Jahren der Agonie der Hertie-Beton-Kolosse in den Innenstädten wieder die Hoheit über die Stadtplanung zurückgewinnen, so Thomas Feser, CDU-Oberbürgermeister von Bingen am Rhein und einer der Sprecher des neuen Bündnisses der betroffenen Hertie-Städte:

    "Genau das war ja die Herausforderung und auch der Grund des Zusammenschlusses der einzelnen Gebietskörperschaften und ihrer Vertreter. Weil genau das städteplanerisch – die Entwicklung – eine Lebensader darstellt für die Mittelzentren und die Oberzentren. Da geht es nicht alleine nur um meine Stadt mit 25.000 Einwohnern, sondern das zählt für die Region mit einem Einzugsgebiet von weit über 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Und daher ist die Herausforderung so wichtig und groß, dass man da eine Stadtplanung ermöglicht. Und das hat uns auch bewogen, beim letzten Treffen hier in Bingen vor Fassnacht, dass wir eine Initiative gestartet haben über die Länder und über die Bundestagsabgeordneten. Eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Baurechtes."

    Briefe an Landesregierungen sowie an rund 250 Bundes- und Landtagsabgeordnete aus Städten mit Kaufhausleerstand wurden verschickt, um die geplante Bundesratsinitiative zu unterstützen. Der Binger OB Thomas Feser erklärt, was mit der Baurechtsänderung konkret erreicht werden soll:

    "Dass eine Kommune die Möglichkeit hat, nach 60 Monaten, das sind fünf Jahre, wenn sie vorher im Rat ein Konzept, eine Stadtplanung beschlossen hat, dann auch Eigentum erwerben oder mit Investoren entwickeln kann. Es ist so gedacht, dass ein Wertgutachten erstellt wird, das neutral ist, das den reellen Wert ermittelt. Damit kann dann eine Kommune nach 60 Monaten das Gebäude kaufen unter der Voraussetzung, dass eine Planung da ist, die auch realisierbar ist."

    Noch vor der Bundestagswahl, so hoffen die betroffenen Kommunen, soll die Baurechtsänderung auf den Weg gebracht werden. In Bingen und in vielen anderen Städten gibt es bereits sehr konkrete Ideen, was mit den leerstehenden Hertie-Kaufhäusern geschehen könnte. Oft geht es gar nicht um Abriss, sondern um Modernisierung und Weiternutzung für den Einzelhandel. Im April gibt es das nächste Treffen der 30 "Hertie-Städte". Nicht in Bingen am Rhein, sondern im westfälischen Kamen am Ost-Rand des Ruhrgebiets. Auch dort ist das leerstehende Kaufhaus längst ein Klotz am kommunalen Bein.

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