Archiv


Schanett Riller: Funken für die Freiheit. Die U.S.-amerikanische Informationspolitik gegenüber der DDR von 1953 bis 1963

"Eine freie Stimme der freien Welt" – jeder erwachsene Berliner, der nicht "zugezogen" ist, kennt diesen Satz – und auch die Mehrzahl der Menschen in der Ex-DDR wird ihn noch immer sofort mit einer Rundfunkanstalt verbinden, die seit 1994 Bestandteil von DeutschlandRadio ist: mit RIAS Berlin. Für die DDR war RIAS der bestgehasste Feindsender überhaupt, ein Vierteljahrhundert lang bekämpfte sie ihn sogar mit Störsendern – erfolglos. RIAS hatte bei einem großen Teil der DDR-Bevölkerung ein positiveres Ansehen als die eigenen-staatlich gelenkten-Medien. Dass der RIAS jahrzehntelang als "Rundfunk im amerikanischen Sektor" direkt aus Washington finanziert wurde, lieferte der SED-Propaganda allzeit die Erklärung für seine angebliche wahre Zweckbestimmung – eine Agentenzentrale, getarnt durch einen Rundfunksender. Das amerikanische Engagement bezüglich des RIAS in der Zeit zwischen 1953 und 1963 ist Gegenstand einer wissenschaftlichen Studie, die nun auch in Buchform erschienen ist. Karl Wilhelm Fricke hat sie für Sie gelesen.

Von Karl Wilhelm Fricke |
    Pausenzeichen. .. (und Ansage:)
    "Hier ist RIAS Berlin – eine freie Stimme der freien Welt.


    Viele Menschen in Berlin und der ehemaligen DDR werden sie noch im Ohr haben – das Pausenzeichen und die Standardansage des einstigen Rundfunks im amerikanischen Sektor von Berlin. RIAS Berlin hatte seine Hörerschaft, zumal in den Hoch-Zeiten des Kalten Krieges. Und genau diese Zeit, das dramatische Jahrzehnt von 1953 bis 1963, ist Gegenstand einer Dissertation, die Schanett Riller nun als Buch unter dem Titel "Funken für die Freiheit" vorgelegt hat. Am Beispiel des Senders RIAS Berlin will die Autorin die US-amerikanische Informationspolitik speziell gegenüber der DDR exemplarisch machen. Ihre Thematik ist eingebettet in die Fragestellung, inwieweit die Informationspolitik der USA neben Diplomatie, Militär- und Wirtschaftspolitik zu einem eigenständigen Medium außenpolitischer Zielsetzungen avancierte, und zwar namentlich unter den Präsidenten Dwight D. Eisenhower und John F. Kennedy. Neben der "Stimme Amerikas", "Radio Free Europe" und "Radio Liberation" war der RIAS "einer von vier Sendern, die das Rundfunk-Instrumentarium der amerikanischen Außenpolitik bildeten" - konstatiert die Autorin, um danach ein wenig anzüglich zu fragen:

    Welche Aufgabe kam dem RIAS innerhalb dieses Gefüges zu? Was sendete der RIAS für Ostdeutschland? War er eine altruistische Einrichtung, wie einige seiner ehemaligen Mitarbeiter heute glauben machen, oder versuchte die amerikanische Regierung, über den RIAS die ostdeutsche Bevölkerung im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen?

    Und dazu die Hypothese von Schanett Riller:

    Wäre der RIAS als Instrument der amerikanischen Außenpolitik genutzt worden, wäre damit zugleich belegt, dass Informationspolitik kein begleitendes Beiwerk einer ansonsten auf Diplomatie beruhenden Außenpolitik war, sondern ein ihr gleichgestelltes Mittel.

    Nach einer informativen Einleitung, in der die Autorin ihre Fragestellung, den Forschungsstand, die Quellenlage und den Aufbau ihrer Arbeit erörtert, gliedert sich das Buch in zwei knapp gehaltene Kapitel zur "Informationspolitik als vierter Dimension der Außenpolitik" und zum "Rundfunk als Mittel internationaler Politik". Sie bereiten die eigentliche Thematik theoretisch und historisch auf. Den Hauptteil des Buches macht das anschließende, ungleich ausführlichere Kapitel aus. Überschrift: "Der Rundfunk im amerikanischen Sektor – RIAS". Zitat:

    Im Februar 1946 wurde der Drahtfunk im amerikanischen Sektor (DIAS) als eine Sendeanstalt der amerikanischen Besatzungsmacht für die Berliner Bevölkerung gegründet und konnte das erste halbe Jahr über das Telefonnetz tatsächlich auch nur im amerikanischen Sektor der Stadt empfangen werden (...) Im September 1946 erfolgte über einen ersten Mittelwellenwender der Ausbau des DIAS zum RIAS (...) Ab Herbst 1948 (war der RIAS) sowohl in ganz Berlin als auch in großen Teilen der sowjetischen Besatzungszone zu hören.

    Und er wurde gehört – zum Missbehagen der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED, deren Informations- und Meinungsmonopol der RIAS nachhaltig durchbrach. Logischerweise wurde er daher von den Herrschenden als Feindsender begriffen und als solcher nicht nur in Agitation und Propaganda verunglimpft, sondern mit allen Mitteln auch bekämpft, legal und illegal. Störsender erschwerten den Empfang, planmäßige Desinformation sollte seine Glaubwürdigkeit untergraben, die Infiltration von Stasi-Spitzeln zielte auf die Verunsicherung seiner Mitarbeiter, und selbst Menschenraubaktionen gehörten zum Repertoire der Verfolgung – wie bei Schanett Riller nachzulesen ist. Höhepunkt des Anti-RIAS-Kampfes war ein Schauprozess vor dem Obersten DDR-Gericht gegen fünf Angeklagte aus dem Osten, die mit dem Sender in Verbindung gestanden hatten. Als am 27. Juni 1955 das Urteil erging – wegen vermeintlicher Spionage erhielt ein Angeklagter die Todesstrafe, die übrigen langjährige Freiheitsstrafen –, verstieg sich der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung zu folgendem Verdikt:

    Nach alldem ist mit Eindeutigkeit festzustellen, dass der deutschsprachige USA-Sender RIAS nicht nur ein vom USA-Außenministerium angeleiteter und finanzierter Hetzsender in Deutschland ist, sondern vor allem und in der Hauptsache eine amerikanische Spionage- und Sabotageorganisation. Er wird in den Händen von Kriegstreibern zur Organisation von Verbrechen gegen den Frieden, gegen das deutsche Volk sowie die Völker des Friedenslagers und zur Verhinderung der Herstellung der Einheit Deutschlands missbraucht.

    Die Realität war eine andere. Die Autorin macht das in ihrer aufwendig recherchierten Arbeit anschaulich. Verleumdung, Chauvinismus und Kriegshetze waren den Sendungen des RIAS fremd. Ob dagegen die offizielle US-amerikanische Informationspolitik wirklich zum Hauptträger der amerikanischen Außenpolitik gegenüber der DDR und den sowjetischen Satelliten-Staaten in Osteuropa ausgebaut wurde, wie Schanett Riller meint, ist kritisch zu hinterfragen. Zwar wäre RIAS Berlin ohne die US-amerikanische Informationspolitik nicht denkbar gewesen, aber wer die Geschichte des Senders im wesentlichen allein darauf zurückführt, vernachlässigt den historischen Kontext. Mit dem Wandel der amerikanischen Besatzungsmacht zur politischen Schutzmacht in West-Berlin neben den beiden anderen westlichen Besatzungsmächten änderten sich auch Selbstverständnis und Programmgestaltung des RIAS. Die Autorin selbst liefert in ihrer Analyse mehrerer hundert RIAS-Sendungen dafür den Beweis. Nachdem seit den frühen sechziger Jahren der RIAS überwiegend aus dem bundesdeutschen Haushalt finanziert wurde, war er faktisch zu einem deutsch-amerikanischen Sender mutiert. Das blieb er, bis er 1993 im DeutschlandRadio aufging.

    RIAS kriegte sein Geld zunächst aus Washington und später aus Bonn als ein Medium, das zur besseren Information der DDR-Bürger beitragen sollte.

    So der langjährige RIAS-Redakteur Manfred Rexin kurz und bündig. Unter dieser Voraussetzung flossen dem RIAS aus seiner Hörerschaft in der DDR bis zum 13. August 1961, bis zur Abriegelung West-Berlins, auch ungezählte Nachrichten und Berichte zu, die für DDR-Medien tabu waren. Dazu Egon Bahr, ein Jahrzehnt lang Bonner Korrespondent des RIAS und zeitweilig sein Chefredakteur:

    Die Menschen kamen aus der DDR, es gab ja noch keine Mauer, unbehindert, und haben uns mit interessanten Informationen versehen. Es war eben nicht in dem Sinne eine Agentenzentrale, dass wir ein Agentennetz aufgebaut hätten. Wir hatten unsere regelmäßigen, aber nicht systematisch über die ganze DDR verstreuten Mitarbeiter, informelle Mitarbeiter, wir hatten IM’s, aber wir hatten keine Stasi-Organisation.

    Natürlich waren sich die deutschen Mitarbeiter des RIAS bewusst , wo sie tätig waren, aber in ihren Sendungen befolgten sie nicht amerikanische Direktiven – die Autorin in ihrer Tagweite überschätzt -, sondern sie äußerten ihre eigene politische Meinung, wofür Namen wie Egon Bahr, Klaus Bölling, Heinz Frentzel, Klaus Harpprecht, Hanns-Peter Herz, Herbert Kundler, Gerhard Löwenthal und Hans-Georg Soldat stehen – Autoren und Redakteure des RIAS, die professionellen Rundfunk-Journalismus praktiziert haben. Ihre Beiträge zeichneten sich auch im Kalten Krieg durch eine realistische Einschätzung der Situation in der DDR oder, wie man früher sagte, "in der Zone" aus. Sendereihen wie "Berlin spricht zur Zone", "Aus der Zone – für die Zone", "Werktag der Zone" konnten ungeachtet aller Kritik an den Zuständen unter dem SED-Regime Glaubwürdigkeit für sich reklamieren. RIAS Berlin bot ein Vollprogramm für die ostdeutsche Bevölkerung, das außer Information und Meinung auch ein opulentes kulturelles Angebot umfasste, Wissenschaft und Bildung, Musik und Unterhaltung. Aus Richtlinien der US-Informationsagentur für den RIAS ist dies alles nicht erklärbar. Als störend wird mancher Leser im übrigen empfinden, dass die Autorin die zahlreichen Zitate aus amerikanischen Quellen in ihrem Buch nicht ins Deutsche übersetzt hat. Vermisst wird auch ein Personenregister. Alles in allem gleichwohl ein anregender, wissenschaftlich fundierter Beitrag zur Rundfunkgeschichte der Nachkriegszeit.

    Karl Wilhelm Fricke über Schanett Riller: Funken für die Freiheit. Die U.S.-amerikanische Informationspolitik gegenüber der DDR von 1953 bis 1963. Erschienen im Wissenschaftlichen Verlag Trier, 299 Seiten für 28 Euro und 50 Cent.