Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Schattenbericht Armut
Wenn der Job nicht zum Leben reicht

Der Anteil der Working Poor an den Erwerbstätigen stieg in den letzten zehn Jahren von 4,8 auf 9,6 Prozent. Das ermittelte die Nationale Armutskonferenz - ein Zusammenschluss von mehr als 15 Verbänden und Organisationen - in ihrem "Schattenbericht Armut". Zentrale Forderung: eine höhere Grundsicherung.

Von Volker Finthammer | 17.10.2018
    Ein Mann mit einem Kind auf dem Arm und einem an der Hand wirft einen Schatten auf eine mit bunten Handabdrücken bemalte Wand einer Kindertagesstätte.
    Alleinerziehende und ihre Kinder sind in Deutschland nach wie vor überdurchschnittlich stark von Armut bedroht. (Peter Kneffel/dpa )
    Das Besondere an der Nationalen Armutskonferenz ist nicht nur der Zusammenschluss von mehr als 15 Verbänden und Organisationen, die gemeinsam die Armutsentwicklung in Deutschland bekämpfen wollen, sondern das hier auch versucht wird, den von Armut Betroffen eine Stimme zu geben. So sagte Erika Biehn, die Vorsitzende des Verbandes Alleinerziehender Mütter und Väter, die selbst auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen ist, zu der heute erneuerten Forderung nach höheren Regelsätzen in der Grundsicherung:
    "Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Für kurze Zeit kann man davon vielleicht tatsächlich leben. Aber wenn man über lange Zeit von dem wenigen Geld leben muss, dann fällt das immer schwerer. Insbesondere mit den Mieten ist das noch mal ein zusätzliches Problem."
    16,2 Prozent der Menschen in Deutschland sind von Armut betroffen. Ein Wert, der kaum noch bestritten wird, doch die Armutskonferenz beklagt, dass die Bekämpfung der Armut von der Bundesregierung nach wie vor sträflich vernachlässigt wird. Zwar geht die Arbeitslosigkeit seit Jahren zurück, aber gleichzeitig steigen die prekären Beschäftigungsverhältnisse und der Niedriglohnbereich, betont Barbara Eschen, die Sprecherin der nationalen Armutskonferenz.
    "In Deutschland hat sich die Erwerbsarmut in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Der Anteil der Working Poor an allen Erwerbstätigen stieg von 4,8 auf 9,6 Prozent."
    Prekär Beschäftigte sind schneller von Armut betroffen
    Aber prekär Beschäftigte sind auch - anders als regulär Beschäftigte - schneller von Armut bedroht. Deshalb müssten unsichere Jobs in sichere umgewandelt werden. Daneben fordert die Armutskonferenz einen höheren Mindestlohn und höhere Regelsätze in der Grundsicherung. Vor allem für Kinder und Jugendliche müsse mehr getan werden.
    "Wir brauchen eine Grundsicherung für alle Kinder, die dafür sorgt, dass Kinder aus Hartz IV komplett rauskommen. Dass der Familienausgleich so gesichert ist, dass gar kein Kind mehr irgendwie in Hartz IV auftaucht."
    Mit der geplanten Kindergelderhöhung und den Steuerfreibeträgen sei da nichts gewonnen.
    Als dramatisch beschreibt der Schattenbericht auch die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt. Nicht nur die 860.000 Wohnungslosen in Deutschland würden deutlich machen, dass bezahlbarer Wohnraum fehle, sagte die stellvertretende Sprecherin Werena Rosenke. Seit 1990 sei der Bestand an Sozialwohnungen um gut 60 Prozent gesunken und allein in den kommenden beiden Jahren würden 170.000 weitere Wohnungen aus der Sozialbindung fallen.
    "Die nationale Armutskonferenz fordert daher den Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr, davon mindestens 150.000 preiswerte Wohnungen und Sozialwohnungen."
    Außerdem sollten die Sozialwohnungen dauerhaft der Preisbindung unterliegen. Und nicht zuletzt müssten in der Grundsicherung angemessene Wohnkosten ermittelt und Preisentwicklungen dauerhaft berücksichtigt werden.