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Schattenseiten des Joggings

Medizin - Nach wie vor gilt Ausdauersport als Maßnahme schlechthin, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Aber immer mehr Menschen trainieren zu viel, was dem Herzen eher schadet als nutzt. Auf dem europäischen Herzrhythmus-Kongress in Berlin haben Herzspezialisten dazu ihre neuesten Forschungsergebnisse vorgestellt.

Von Marieke Degen | 23.06.2009
    "Well I think it is common sense that you can have too much of a good thing.""

    Manchmal sei es eben einfach zuviel des Guten, sagt Luis Mont, Herzspezialist an der Uniklinik in Barcelona: Zu viel Training schadet dem Herzen, und das gilt nicht nur für Leistungssportler.
    ""Es kamen viele Männer mittleren Alters zu uns in die Sprechstunde, die an Herzrhythmusstörungen litten, meistens an Vorhofflimmern – und die schon seit Jahren laufen gingen oder Rad fuhren. Vorhofflimmern tritt normalerweise bei älteren Menschen auf, oder bei Patienten mit Bluthochdruck oder anderen Herzerkrankungen. Aber bei gesunden, noch relativ jungen Menschen ist das sehr selten. Also haben wir nach Zusammenhängen gesucht."

    Wer regelmäßig joggt oder Rad fährt, bringt sein Herz regelmäßig auf Hochtouren. das passt sich der Belastung an: Der Herzmuskel wächst, das ganze Organ wird also größer, auch die Vorhöfe des Herzens. Dieses so genannte Athletenherz ist eigentlich nicht gesundheitsgefährdend. Wenn sich der Sportler zur Ruhe setzt, bildet es sich wieder zurück. Doch größere Vorhöfe kommen offenbar leichter aus dem Rhythmus: die Folgen sind Herzrasen und Schlappheit. Die Sportler würden die Symptome oft ignorieren, sagt Mont, weil sie nicht im Training auftreten, sondern nachts. Im Gegensatz zum Kammerflimmern ist Vorhofflimmern auch nicht unmittelbar lebensbedrohlich. Doch es erhöht das Schlaganfallrisiko, und es kann in einigen Fällen zum plötzlichen Herztod führen. Luis Mont und sein Team wollten wissen, ob das Herzgewebe durch Sport allein dauerhaft geschädigt werden kann. Dafür schickten sie zwanzig Ratten aufs Laufband, eine Stunde pro Tag, fünf Tage die Woche, vier Monate lang.

    "Wenn die Ratte während des Trainings keine Lust mehr hatte, dann hat sie einen kleinen Stromschlag bekommen, so dass sie weiterlaufen musste. Wir haben mehrere Laufbänder nebeneinander aufgestellt, so dass wir auch immer fünf Ratten gleichzeitig trainieren konnten. Eine Stunde Training pro Ratte und Tag kostet schließlich viel Zeit."

    Anschließend haben sie die Rattenherzen genauer untersucht. Das Ergebnis: Die Herzen waren vergrößert, wie bei menschlichen Athleten. Aber nicht nur das: Das Herzgewebe war vernarbt.

    "Das war definitiv nicht mehr normal. Im Herzmuskel haben wir Bindegewebe gefunden, Narben also, offenbar als Folge von kleinen Verletzungen. Durch das Training hat sich die Struktur des Herzens verändert."

    Die Narben machen den Herzmuskel steifer, er kann sich nicht mehr so gut zusammenziehen. Das kann zu Vorhofflimmern führen. Die Frage war nun: Wenn die Ratten aufhörten zu trainieren, und wenn sich das Athletenherz wieder normalisierte, würde sich das Herzgewebe dann ebenfalls erholen?

    "In der Tat: Nach einigen Woche Ruhe haben sich die Schäden im Rattenherz zum großen Teil zurückgebildet. Wir haben allerdings nicht untersucht, wie lange das möglich ist. Bei anderen Krankheiten wie zum Beispiel Bluthochdruck ist das Herz ab einem bestimmte Punkt einfach dauerhaft geschädigt, egal wie intensiv man es behandelt. Wir haben allerdings auch herausgefunden, dass sich das Herzgewebe beim Sport von vorneherein schützen lässt, wenn die Ratten blutdrucksenkende Medikamente bekamen."

    Möglicherweise könnten auch menschliche Patienten ihre Herzrhythmusstörungen loswerden, wenn sie aufhören zu trainieren. Und wahrscheinlich könnten Blutdrucksenker Sportlern dabei helfen, das Herzgewebe vor Vernarbungen zu schützen. Doch Luis Mont bleibt vorsichtig. Man habe gerade erst angefangen, die Mechanismen zu verstehen, und die Risikofaktoren für Herzrhythmusstörungen bei Sportlern zusammenzutragen. Offenbar sind hauptsächlich Männer gefährdet, und zwar große Männer, die von Natur aus schon ein großes Herz haben, und die nicht einmal extrem viel Sport treiben, dafür aber jahrelang. Für generelle Empfehlungen, sagt Mont, sei es aber zu früh.

    "Ich persönlich würde jedem raten, sich erst einmal gründlich auf Herzkrankheiten untersuchen zu lassen, bevor er mit Ausdauersport anfängt, und sich bei Bedarf behandeln zu lassen. Außerdem sollten Sportler auf ihr Alter Rücksicht nehmen. Es ist ein großer Unterschied, ob man 20 oder 60 Jahre alt ist. Heute sehen wir immer mehr ältere Menschen, die genauso oft trainieren wie früher. Und das ist wahrscheinlich zu viel."

    Ältere Patienten sollten seiner Meinung nach lieber auf gemächlichere Sportarten umsteigen, Tennis zum Beispiel, oder Golf.