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Schattenseiten des Ökostroms

Seit der Abschaltung mehrerer AKWs gibt es im Süden Deutschlands einen latenten Strommangel. Dieser wird bereits jetzt mit Windstrom aus Norddeutschland ausgeglichen. An Tagen mit starkem Stromaufkommen allerdings weicht diese Energie automatisch ins polnische Netz aus - und führt dort zu Überlastungen.

Von Henryk Jarczyk | 05.11.2012
    Krzysztof Zmijewski spricht gerne in Bildern. Vor allem, wenn es um komplexe Sachverhalte geht. Mit Analogien, sagt der Energiewissenschaftler, ließe sich die Problematik immer leichter erklären. Physikalische Gesetze, Stromflüsse, Hochspannungsleitungen – all das vergleicht der Professor also am liebsten mit dem Straßenverkehr. Damit auch jeder versteht, worum es geht:

    "Wenn die Einwohner von Stettin und Breslau einander besuchen wollen, dann fahren sie nicht auf den schlechten Straßen in Polen, sondern nutzen dafür die deutschen Autobahnen entlang der Grenze. Die deutschen Autobahnen sind bequemer und leicht zugänglich. Das gleiche geschieht mit Elektroenergie. Nur diesmal umgekehrt. Wenn in Norddeutschland Windgeneratoren mal wieder viel Strom nach Süddeutschland schicken müssen, dann ist es für die deutschen Stromerzeuger bequemer, hierzu die Leitungen auf polnischer Seite zu nutzen."

    Leuchtet ein und erscheint unproblematisch, ist es aber nicht. Denn sobald deutscher Strom über das Hochspannungsnetz östlich der Oder gejagt wird, haben die Polen ein Problem. Und zwar ein gewaltiges:

    "Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Leitungen auf polnischer Seite leider nicht so breit sind, wie die deutschen Autobahnen. Sprich, sie werden mit dem Strom aus Deutschland vorübergehend verstopft. In Konsequenz bedeutet das: Überall wo der deutsche Strom fließt, kann der polnische nicht fließen."

    Die daraus resultierende Netzüberlastung, erläutert der Energiewissenschaftler, lasse sich nicht vorhersehen. Fest stünde nur eines: Auf diese Weise habe der Ökostrom auch seine Schattenseiten:

    "Das Problem steigt zunehmend mit den Investitionen, die in die Windenergie im Norden Deutschlands fließen. Solange es die Windkraftwerke nicht gab, gab es auch keine Schwierigkeiten mit Netzüberlastungen. Je mehr Windkraftleistung, umso größer ist das Problem."

    Verantwortlich dafür, sagt Professor Zmijewski, seien physikalische Gesetze, die Bürokraten weder in Brüssel noch Politiker in Warschau oder Berlin umgehen könnten. Was deutsche Stromerzeuger allerdings wenig kümmert, polnische dafür aber umso mehr ärgert.

    "Die Verluste auf polnischer Seite, die damit entstehen, wurden durch einen absolut objektiven Experten ausgerechnet. Von einem Finnen, der für die Europäische Kommission arbeitet. Seiner Ansicht verlieren polnische Stromerzeuger aufgrund dieser Praxis über 40 Millionen Euro pro Jahr."

    Verluste, die von Deutschland allerdings den Polen nur zum Teil rückerstattet werden. Denn die Tatsache, dass Polen wegen vorübergehender Netzüberlastung seine Kraftwerke teilweise abschalten lassen muss, interessiert westlich der Oder niemanden. Ungewöhnlich ist diese Situation keineswegs. Auch andere EU-Länder haben damit Probleme. Vor allem jene, die an den Atomstromgiganten Frankreich grenzen. Hier wird das Problem allerdings mithilfe eines Phasenschiebers geregelt.

    "Die Geräte ermöglichen, das Netzt ein bisschen zu verwalten. Ich sage ein bisschen, denn der wichtigste Netzverwalter bleibt weiterhin der Entdecker der hier herrschenden Gesetzmäßigkeiten, der Physiker Kirchhoff. Sein Gesetz lässt sich nicht austricksen. Wenn es auf einer Seite mehr elektrische Leistung gibt und auf der anderen weniger, dann muss die Energie von der stärkeren Seite auf die schwächere fließen."

    So einfach ist das. Doch gleichgültig, ob sich Kirchhoffs physikalische Gesetze austricksen lassen oder nicht. Untätig wollen die Polen keineswegs bleiben. Der staatliche Netzbetreiber PSE plant deshalb eine Stromsperre, einen Phasenschieber also an der Grenze zu Deutschland aufzustellen. Und das, obwohl die Investitionen hier im zweistelligen Millionenbereich liegen - Euro, nicht Zloty.

    "Da es uns stört, und nicht die Deutschen, müssen wir in die Tasche greifen. Wobei die Phasenschieber nur unser Problem lösen werden und nicht das deutsche. Denn dann wird der norddeutsche Windstrom ins deutsche Netz fließen."

    Und dann eben auf deutscher Seite das Stromnetz verstopfen und entsprechend für Kapazitätsengpässe sorgen. Die einzige Lösung des Problems: neue Leitungen. Doch die sind kostspielig und erfreuen sich bei jenen, die in ihrer Nähe leben müssen, nicht wirklich großer Beliebtheit.

    "Man kann weder die Deutschen zwingen, neue Hochspannungsleitungen zu bauen, noch die Polen, auf die Phasenschieber zu verzichten. Beide Seiten haben das Recht, so zu handeln, wie sie es für richtig halten."

    Es werde noch lange dauern, davon ist der polnische Energieexperte Professor Zmijewski überzeugt, bis in Europa gemeinsam Energiepolitik betrieben werde. Was wiederum den Ausbau von Ökostrom irgendwie derzeit ad absurdum führt. Denn solange es keine neuen Netze gibt, gilt das physikalische Recht des Stärkeren. Noch liegt es auf deutscher Seite. Wenn allerdings 2014 östlich der Oder der Phasenschieber in Betrieb geht, dann wird es auf polnischer Seite liegen.