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Schatzkästlein aus Zitaten

"Prinz Friedrich von Homburg " ist ein sperriges Werk, das letzte vor Heinrich von Kleists Selbstmord 1811. Immer wieder wurde es nationalistisch missbraucht, aber immer wieder war es auch Grundlage legendärer Inszenierungen. In Frankfurt am Main hat sich Armin Petras an der Schlacht von Fehrbellin anno 1675 versucht.

Von Karin Fischer |
    Regen-Schlacht in Frankfurt - Armin Petras inszeniert Kleists "Prinz Friedrich von Homburg"
    Autorin: Karin Fischer
    Kultur heute am 22.12.2006

    Diese Inszenierung ist das perfekte Amalgam. Das jüngere Regietheater ästhetisiert sich selbst auf der Bühne jenes Stadttheaters, das es einst inspirierte. Ein gewisser, auf Berliner Groß- und Volksbühnen erfolgreich kultivierter Stil samt gewisser, auf Hamburger und Berliner Großbühnen erfolgreicher Schauspieler wird via Koproduktionstheater nun auch in Frankfurt am Main verfügbar gemacht. Armin Petras, inzwischen Intendant am Berliner Gorki-Theater, kommt von hier, das macht die Sache plausibel.

    Die Inszenierung kann "bedrückend" und "modern" genannt werden, eine traurige Parabel über das Soldaten-Elend, über eine Gesellschaft im Krieg - wenn man ihr denn glaubte; doch glaubt hier überhaupt noch jemand an irgend etwas? Was Kritikern so ermüdend bekannt, ja abgenutzt, vorkommt - das Repertoire der müden Gesten, das monothematische, letztlich 'chice' Bühnenbild, eine Gottscheffartige Figurenführung, der Thalheimersche Musik-Einsatz - darf man doch nicht ernsthaft gegen die Regie ins Feld führen, das wäre bestimmt total unfair! Der Theaterzirkus funktioniert halt so, schließlich hießen die Schausteller früherer Zeiten nicht zufällig "fahrendes Volk".

    Der Bühnenbildnerin Katrin Brack kann man sowieso nichts vorwerfen; sie wurde kürzlich erst für ihren Volksbühnen-"Iwanow" - eine Gotscheff-Inszenierung - mit dem deutschen Theaterpreis "Der Faust" ausgezeichnet und ist neben Anna Viebrock als eine der wenigen erfolgreichen Frauen in dem Geschäft eben auch Marke geworden. Katrin Brack stellt keine möblierten Räume, sondern mentale Versuchsanordnungen her. In Frankfurt ist das ein Regen-Raum. Es regnet unaufhörlich, etwas zwischen Sprüh- und Schnürlregen, die Scheinwerfer malen prismatische Farben auf die Wasserwand, wir sehen: eine dunkle schimmernde Welt im nassen Schleier, und hinten an der Wand: Videoschnipsel-Negative mit Bildern, die ganz doll assoziieren lassen. Das Bühnenbild ist Teil des groß angelegten und im Theater ebenfalls überaus angesagten Experiments, wie Bühne, Mensch und Drama durch massive Zusätze von außen wie Musik oder Wasser verändert werden können. Nach zwanzig Minuten sind Alle komplett durchnässt, jede Aktion wird zur Rutschpartie oder Schlitterorgie; erstes Ergebnis des Experiments: Wo der Sinn des Dramas ans Bühnenbild delegiert wird, muss konsequenter Körpereinsatz jedes womöglich echte Gefühl ersetzen.

    Peter Kurth ist als Gast dabei, er spielt den Kurfürsten als durchs lange Soldatenleben angekränkelten, doch integren Herrscher mit Bodenständigkeit, Herz und Überzeugungen. Seine beiden Damen, die Kurfürstin Susanne Buchenberger und Sandra Bayrhammer als Prinzessin Natalie von Oranien tragen hoffentlich gummierte Unterwäsche - sie müssen mit ihren langen Puffärmelkleidchen immerzu im Wasser hocken. Dass dies trotz historisierender Zitate im Outfit Menschen von heute sein sollen, beweisen Natalie durch teeniehaftes Kieksen und Umsichschlagen und der Kurfürst durch zwei ziemlich lange Küsse auf Nataliens Mund. Bei soviel Menschelei auf Herrscherseite bleibt für Robert Kuchenbuch alias Prinz Friedrich von Homburg nur noch der verzückte Blick in die Ferne des Zuschauerraums, den er oft und gerne bemüht. Liebe, Logik, Lorbeerkranz, die Fein- und Feinstmechanik des toll austarierten Kleistschen Sprachgeflechts, seine entzückende Zeichensetzungen - der Brief!, der Handschuh! -, alles weggespült. Der Regen hat dem Soldatischen seinen Glanz, dem Sieg gegen die Schweden seine Glorie und dem Drama alles Heldische genommen; Armin Petras zeigt den Rest, den Kampf von vermeintlichem Gefühl gegen das vermeintliche Recht, als Kampf von Losern. Der Krieg hat viel zu lange schon gedauert, das allerdings ist ein Ansatz, auf den man sich gern einigt. In dem Augenblick, in dem Prinz Friedrich den Urteilsspruch angenommen hat und gerne in den Tod geht, hört es für Augenblicke auf zu regnen. Ein schönes Signal, aber eben ein Signal, wie alles an dieser Inszenierung.

    Armin Petras hat früher für neue Gesten und aufregende Gefühle auf dem Theater gesorgt. Mit dieser Inszenierung hat er dem Regietheater ein Schatzkästlein aus Zitaten gebaut. Wenn er soviel Selbstironie besitzt: Chapeau. Wenn nicht, muss gelten: steter Tropfen hölt auch den geduldigsten Zuschauer.