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Schau über Verschleierung
Kritik an der Kunstfreiheit

Die Dokumentarfotografin Selina Pfrüner hat vollverschleierte Frauen in Deutschland porträtiert. Ihre Multimediainstallation wurde in Köln eröffnet. Erneut gab es Proteste, Kunst wirke an der Unterdrückung von Frauen mit.

Von Jörg Biesler | 22.06.2019
Selina Pfrüner ist Dokumentarfotografin. Sie porträtiert Prominente für Hochglanzmagazine, illustriert Reportagen in "Spiegel", "Brigitte" oder "Wirtschaftswoche" zu Themen wie Sport mit Handicap, Wandern mit Eseln oder lebenslängliche Haftstrafen.
Vor zwei Jahren stellte sie sich die Frage, warum sich muslimische Frauen in Deutschland verschleiern und fing an zu recherchieren. Das Ergebnis ist jetzt in der Kölner Ausstellung zu sehen. Fotos, Videos und Audios zeigen Frauen in Vollverschleierung und dokumentieren Gespräche über deren Lebenswelten.
"Ich bin ja Porträtfotografin und Menschen in Vollverschleierung von außen zu porträtieren fühlt sich unbefriedigend an. Daher habe ich nach Wegen gesucht, wie kann ich jemanden beschreiben, wie kann ich jemanden abbilden, ohne dass ich nur ein Foto mache von allen."
Auf Augenhöhe begegnen
Lebensgroße Videoprojektionen stellen den Besuchern nun sechs Frauen gegenüber, von denen außer den wehenden Gewändern kaum mehr zu sehen ist als die Augen. Es war schwer, erzählt Selina Pfrüner, die Musliminnen davon zu überzeugen, sich fotografieren zu lassen.
"Aber manche haben eben verstanden, was ich damit bezwecken möchte, dass ich eben von einer anderen Welt erzählen möchte, von einer anderen Sichtweise, von einer Innensicht und dafür ist es wichtig, diese Erzählungen zu haben und diese Bilder zu haben. Mein Versuch ist immer, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und das habe ich hier, glaube ich, auch gemacht, ohne eben zu werten, finde ich das alles richtig oder finde ich das falsch, sondern der Mensch soll für sich selber sprechen und die Geschichten kann jeder Betrachter entscheiden, wie er das einordnet."
Lautstarker Protest
Der Kunst von Selina Pfrüner steht vor der Eröffnung die von Solmaz Yakilpour gegenüber. Die iranische Aktionskünstlerin steht nackt und mit roter Farbe übergossen mit rund 40 anderen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Für sie alle ist schon die bloße Beschäftigung mit vollverschleierten Frauen falsch. Niqab und Burka sind für sie Instrumente religiös-patriarchalischer Unterdrückung. Davor sei sie aus ihrem Heimatland geflohen, ruft Solmaz Yakilpour ins Mikrofon.
Die Stimmung ist aufgeheizt, die Empörung groß. Es gab zuvor schon scharfe Angriffe im Internet und einen offenen Brief von 60 Frauen an das nordrhein-westfälische Kulturministerium und das Kulturamt der Stadt Köln, die die Ausstellung unterstützen, in der aus Sicht der Demonstrantinnen und Demonstranten die Verschleierung verharmlost, gar normalisiert wird. Achtarin Pertro hat den Protest mitorganisiert.
"Man bekommt eine Sympathie für solche Frauen mit Schleier. Es wird normalisiert in der Gesellschaft. Wir haben Erfahrungen in islamischer Republik. Bis heute sehen wir, wenn eine Frau in iranische Gesellschaft, Kopftuch so ein bisschen nach hinten ruckt, wir auf der Straße geschlagen und gepeitscht und festgenommen und in Gefängnis. Wir kennen das. Leider die deutsche Gesellschaft diese Erfahrung hat nicht, wir kennen das und wir warnen diese Gesellschaft, aber keiner hört uns zu."
Das kann man an diesem Abend nicht sagen. Der Protest ist lautstark, die Polizei ist da, viele Journalisten und ein Sicherheitsdienst bewacht den Eingang der Ausstellung. Es war nämlich nicht abzusehen, wer noch alles kommen würde, um zu protestieren, die Angriffe kamen aus mehreren Richtungen, so Kuratorin Janine Koppelmann.
Legitime Kritik und legitime Kunst
"Dieser offene Brief hat wie ein Lauffeuer losgetreten. Es waren einfach Behauptungen, dass wir für den Islam werben, dass wir Propaganda für die Vollverschleierung machen, dass wir es gutheißen, dass Frauen in Vollverschleierung rumrennen und sie ihrer Würde beraubt werden. Das ist einfach nicht wahr."
Der Abend endet dann entspannter als befürchtet, auf der Straße wird der Lautsprecher genutzt, um Musik zu spielen, es wird getanzt und im Ausstellungsraum läuft die Eröffnung halbwegs normal ab. Beides sei legitim, sagt Bezirksbürgermeister Josef Wirges, der Protest draußen und die Arbeit von Selina Pfrüner drinnen. Eine Position, auf die man sich sicher einigen kann. Spurlos gehen die Anfeindungen an der Künstlerin aber nicht vorbei.
"Das war schon massiv, was auf Facebook und Twitter sehr breit gestreut wurde und irgendwie auch Fake News, wenn man ne Ausstellung rezensiert, die man nicht gesehen hat, weil sie noch nicht existierte. Da kam schon ziemlich viel Schmodder hoch, so viel Frust und Anklage, das kann ich gar nicht alles ausgelöst haben, da bin ich schon so‘n Online-Punchingball. Ich hab da einen Nerv mit getroffen, das muss ich jetzt irgendwie aushalten."