Archiv


Schauder und Idylle

Anfang der 90er Jahre in einer Reformuniversität in Norddeutschland: Studenten sitzen in einem Vorführraum und betrachten einen Film. Durch eine Masse von Menschen, die in exakt ausgerichteten Reihen stehen, schreitet ein Mann auf die Tribüne zu. "Wir wollen, daß dieses Volk einst gehorsam ist, und ihr müßt euch in dem Gehorsam üben. Wir wollen, daß dieses Volk einst friedliebend, aber auch tapfer ist, und ihr müßt friedfertig sein." Die Studenten sehen "Triumph des Willens" von Leni Riefenstahl, den berüchtigten Film über den Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP von 1934. Sie, die alle lange nach 1945 geboren sind, können sich der Wirkung der Bilder nicht ganz entziehen, wie sie später berichten. Die Inszenierung, die Massen, die Musik, der perfekte Ablauf und das Gemeinschaftsgefühl verfehlen ihre Wirkung nicht.

Thomas Kleinspehn |
    Nachdem die Leinwand wieder dunkel ist, dreht sich die Diskussion fast ausschließlich um die Frage, was die Faszination des Films ausmacht: Die innovative Ästhetik gewiß, aber schließlich fragen sich einige, ob sie sich nicht auch deswegen so angesprochen fühlen, weil sie durchaus ähnliche Wünsche und Gefühle haben wie die Menschen im Deutschland der 30er Jahre. Derartige Überlegungen stellten eher eine Ausnahme in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus dar, der gleich nach 1945 zu einer Angelegenheit der Nazis erklärt wurde, zu denen die meisten Deutschen nicht mehr gehörten. Die Münchner Sozialpsychologin Gudrun Brockhaus, versucht nun mit diesen Verdrängungen aufzuräumen. In ihrem bemerkenswerten Buch "Schauder und Idylle" geht sie der Frage nach, warum sich so viele Menschen in den 20er und 30er Jahren von den Nationalsozialisten haben beeindrucken lassen und was davon bis in unsere Tage beinahe ungebrochen überlebt hat.

    Dabei geht sie nicht, wie viele andere Faschismus-Forscher, davon aus, daß die Deutschen von Hitler und seiner Partei mehr oder weniger direkt verführt worden seien. Vielmehr stellt sie den Populismus der NSDAP in den Mittelpunkt, die Fähigkeit der Partei, genau auf die Wünsche und Erwartungen der meisten Deutschen einzugehen. Die Nazi-Partei hat nach Ansicht der Autorin weitaus weniger ihre Ziele diktatorisch durchgesetzt oder mit großen ideologischen Kampagnen propagiert, denn sie als großes Erlebnisangebot inszeniert. Mit ihnen fing das Regime vorhandene Ängste auf. Gudrun Brockhaus nennt hier vor allem drei Bereiche, die zur breiten Akzeptanz beitrugen: die außenpolitischen Erfolge, die Ordnungspolitik und der Autobahnmythos. Alle drei Ebenen trugen zu dem bei, was das Gemeinschaftsgefühl des Dritten Reiches zementiert: ein Gefühl, das 1945 überdauert hat und sich in Bilder von den kollektiven Leistungen beim Autobahnbau ebenso wiederfindet wie in den noch immer lebendigen Vorstellungen von Authentizität, Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit oder schließlich in den Liedern der Zeit, die oft nur mit wenig modifizierten Texten auch in den 50er und 60er Jahren geschmettert wurden. In ihrer auf das Kollektiv gerichteten Ideologie stellten sie auch nach 1945 ein Korrektiv dar zu der Isolierung und den vermeintlich fehlenden Zielen in der Bundesrepublik. Mit Rückgriff auf die großen Studien über den "autoritären Charakter" und über die Wurzeln des Antisemitismus der Frankfurter Schule oder der Untersuchung Klaus Theweleit über die Phantasien soldatischer Männer versucht die Münchner Autorin, das nationalsozialistische Deutschland vor allem aus der Schwäche und der Niederlage des Ersten Weltkriegs heraus zu verstehen. Diese "Schmach" führte zu Gefühlen, durch alles Fremde bedroht, eigentlich Opfer zu sein. Mit ihren politischen Angeboten, die stets eine große Erlebnisqualität besaßen, den inszenierten Aufmärschen, Fackelzügen und Medienereignissen behob die Nazi-Partei einen Mangel, der sich zudem noch durch die Massenarbeitslosigkeit verstärkt hatte. Die Spannung zwischen den vorhandenen Insuffizienzgefühlen und den eigentlichen Größenphantasien wurden in der Ästhetisierung des gesamten Lebens aufgelöst. Sie stellten nach Ansicht der Autorin ein Angebot zur kollektiven Identitätsbildung dar - zwischen Selbstentwertung und Harmoniebedürfnis. Wie sich das im einzelnen innerhalb des Systems geäußert hat, analysiert Gudrun Brockhaus unter anderem anhand des Frauenbildes im NS-Frauenroman, Unterhaltungsfilmen von Veit Harlan oder den Bildern von Sexualität, Leben und Tod in Unterhaltungsliteratur und den Äußerungen der NS-Größen. Dabei modifiziert sie in erhellender Weise manche Klischees der herkömmlichen Forschung. Entgegen überkommener Vorstellungen galten beispielsweise die Frauen im Dritten Reich keineswegs nur als schwach und abhängig. Vielmehr weist das ambivalente Frauenbild durchaus auch Elemente von Autonomie, von Stärke, Stolz und Überlegenheit auf, die als Angebot verstanden werden können, die Bedeutung von Frauen höher zu achten. Ähnlich differenziert untersucht die Autorin etwa auch die Bilder von Sexualität und Gewalt, in denen sie die Widersprüche zwischen den Wünschen nach der Befreiung von Kontrolle und dem Wunsch nach Symbiose hervorhebt.

    Mit ihrem Buch gelingt es Gudrun Brockhaus vor allem, differenziert aufzuzeigen, wo mögliche Motive für die große Akzeptanz des Regimes liegen. Die Autorin hat sich aber ein großes Programm vorgenommen, denn gleichzeitig hatte sie auch den Anspruch, die Kontinuität der Erlebnismuster in der Nachkriegszeit aufzuzeigen: die Begeisterung für die Nazi-Lieder ebenso wie die Begeisterung für saubere und gestärkte Blusen, wollene Unterhosen und die Idylle der Landschaft. Die Münchner Sozialpsychologin belegt hier vieles bekenntnishaft mit eigenen Beispielen und ihrer eigenen Verstricktheit als Angehörige der zweiten Generation der Täter. Doch damit überfrachtet sie das Buch allzu sehr. Die Analyse der Nachkriegszeit bleibt fragmentarisch. Hier wäre mindestens eine intensive Auseinandersetzung mit der Situation der 50er bis 80er Jahre notwendig gewesen - einschließlich der Frage, worin sich die Erlebnisangebote des NS-Regimes von denen der medialen Erlebnisgesellschaft unserer Tage unterscheiden und welche Rolle dabei Gewalt und Vernichtung spielen. Ein Buch über "Schauder und Idylle" in der Bundesrepublik müßte noch geschrieben werden. Die Studie von Gudrun Brockhaus könnte dafür jedoch ein guter Ausgangspunkt sein.