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"Schauen Sie doch, was los ist mit dem Volk"

Mit dem Sturm auf Verwaltungsgebäude in mehreren Städten Süd-Kirgisiens begannen die Unruhen in der ehemaligen Sowjet-Republik. Demokraten und Oppositionelle sahen sich durch die friedliche Revolution in der Ukraine ermutigt. Der Wiederstand in Kirgisien ist aber in offene Gewalt umgeschlagen. In Bischkek stürmten Demonstranten das Regierungsgebäude. Die Regierung wurde abgesetzt.

von Robert Baag | 25.03.2005
    In dieser Woche war es soweit. Der berühmte Tropfen war in das sprichwörtliche Fass gefallen und hatte es zum Überlaufen gebracht. Von Süd nach Nord, vom Rand des Fergana-Tals bis schließlich nach oben in die Hauptstadt Bischkek loderte die Unzufriedenheit in der zentralasiatischen Republik Kirgistan auf. Die Empörung gegen die jüngsten Wahlfälschungen, als ein neues Parlament gewählt werden sollte, schlugen in landesweite Proteste um. Wieder kam es – nach Georgien, und nach der Ukraine – in einer ehemaligen Sowjet-Republik zu Unruhen. Diesmal sogar mit Toten und Verletzten. Dabei waren auch hier Stimmen der Vernunft zu hören, wie noch zu Wochenmitte in der südkirgisischen Stadt Osch, einem Zentrum des Widerstands gegen Präsident Askar Akajev von Anbeginn an:

    "Ich kann nicht so einfach ruhig sitzen bleiben. Ich bin gekommen, um den Menschen zu erklären, dass sie hier nicht außer Rand und Band geraten sollen, nicht Steine oder Knüppel in die Hand nehmen sollen. Wir müssen alle gemeinsam freundschaftlich zusammenstehen, uns an den Händen fassen…
    Sehr verehrter, teurer Präsident Askar Akajevitsch! Fünfzehn Jahre haben Sie auf Ihrem Posten gesessen, wir haben’s hingenommen. Aber schauen Sie doch, was los ist mit dem Volk, mit dem Land! – Bitte! Gehen Sie! Lassen Sie die Menschen in Frieden ein neues Parlament wählen!"

    Dann aber eskalierte die Situation und gewann beinahe stündlich an Dynamik und Dramatik. Die Staatsmacht, eingeschworen auf Präsident Askar Akajew, regierte hilflos. Präsidentensprecher Segisbajev noch gestern Vormittag:

    "Jetzt, im Augenblick, ist einfach nicht klar, mit wem Gespräche geführt werden können. Wenn irgendwelche Forderungen erhoben werden sollten, wird dies natürlich auch von Regierungsseite geschehen. Aber ob die andere Seite überhaupt solche Forderungen erfüllen könnte – da taucht ein Problem auf. Die Opposition, die behauptet, die Situation im Süden zu kontrollieren, täuscht etwas vor. Denn das trifft nicht zu. Dort haben verschiedene kriminelle Gruppen die Macht in Händen. So ist das."

    Das sahen die protestierenden Menschen in Osch allerdings anders. Für sie war die Regierung in Bischkek einfach kein Partner mehr. Einer der Wortführer auf dem Flughafen von Osch machte das vor russischen Fernsehkameras klar:

    "Mit unserer Regierung, dem Premierminister Tanajev, werden wir keine Gespräche führen! Den setzen wir einfach in den Hubschrauber und schicken ihn zurück", versicherte der Mann"

    Dann erreichte die Protestwoge auch die Hauptstadt Bischkek, zu sowjetischen Zeiten "Frunse" nach einem roten Bürgerkriegshelden genannt.
    Der Sturm auf den Regierungssitz begann. Von Präsident Akajev war nichts mehr zu sehen oder zu hören, wie schon in den Stunden zuvor. Gerüchte, er habe das Land verlassen, kamen auf, nach Russland oder nach Kasachstan sei er geflohen, machten die Runde. Einstweilen aber drohte noch sein Innenminister Djushebaev den Demonstranten mit Gewalt:

    "Um die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen, sind wir in der Lage alle vom Gesetz erlaubten Mittel anzuwenden: Physische Gewalt und Schusswaffen. – Auf friedliche, gesetzestreue Menschen, Frauen , Alte Kinder werden wir – ich wiederhole das – nie schießen."

    An dieses Versprechen hielt sich die alte Macht - soweit bekannt. Geholfen hat es ihr indes nicht. Nicht lange und die Demonstranten hatten das Gebäude gestürmt und Askar Akajevs Büro besetzt. "Das Volk hat gesiegt", ruft ihr Anführer begeistert. Allerdings ging dieser Triumph am Ende doch nicht ohne Blutvergießen aus. Es gab Tote und Verletzte. Es kam zu Plündrereien. Der Mob mischte sich unter jene, die eine gelbe, eine Tulpen-, eine Narzissen-Revolution wollten, um einen weiteren post-sowjetischen Autokraten von seinem Thron zu stürzen, so wie in den Wochen zuvor die Macht in Georgien und in der Ukraine auf Druck von unten hatte weichen müssen.
    Die Exzesse, zu denen es gestern und heute Nacht in Bischkek gekommen ist, riefen in Moskau sofort Reaktionen auf den Plan. Am deutlichsten äußerte sich Dmitri Rogosin, Chef der links-national angehauchten Partei "Rodina" – zu deutsch: "Heimat".

    "Das was in Bischkek passiert ist, ist identisch mit dem Szenario in Kiew und in Georgien. Allerdings mit einer kleine Besonderheit, so ein asiatisches Element, nicht wahr… Das heißt: Ohne Ausschreitungen, ohne Blutvergießen , ohne Gebäudesturm war so etwas nicht zu machen…
    Wahr ist: Es gibt innere Probleme dort. Zwischen Führung und Opposition in Kirgisien gab’s keinen Dialog. Und daraus entstand eine radikale Opposition. Und die beherrschte die Straßen…"

    Ähnlich äußerte sich auch der Ultranationalist Wladimir Shirinovskij:

    "Das Szenario ist ein analoges: Wahlergebnisse zum Parlament wurden nicht anerkannt. Es gibt viel Armut in Kirgisien, das zwar schon über 14 Jahre ein unabhängiger Staat ist, aber keinerlei Probleme zu lösen im Stande ist. Fladenbrot und Tee, Fladenbrot und Tee, morgens, mittags, abends – und das in zerlöcherten Gewändern: So lebt dort das Volk. wie lange kann man das ertragen?"
    Das offizielle Moskau hingegen gab sich bedeckt, zurückhaltend und diplomatisch – wie zum Beispiel gestern noch Parlamentspräsident Boris Gryzlov:

    "Die Bürger Kirgisiens müssen selbst die entstandene Situation bereinigen. Eine Einmischung jedwelcher Art von außen ist nicht wünschenswert. Das Wichtigste: Es darf nicht zu Blutvergießen kommen. Beide Seiten müssen zusammenkommen, um die Lage auf dem Gesprächsweg zu normalisieren."

    Heute Nachmittag indes wollen Agenturen erfahren haben, dass Moskau und Moskaus Verbündete im Rahmen des "Vertrages über kollektive Sicherheit" Präsident Akajav militärische Unterstützung angeboten haben sollen. Dies habe jener aber abgelehnt. – Dass die russischen Streitkräfte, die von der Dynamik des kirgisischen Protestes wahrscheinlich ebenso überrascht worden waren, besonders aufmerksam nach Südosten blicken, machte zur Wochenmitte Verteidigungsminister Sergej Ivanov deutlich:

    "Wir erhalten regelmäßig Bericht aus unserem kirgisischen Stützpunkt Kant. Die Lage dort ist völlig ruhig. Alles ist dort normal. - Wie sich die innenpolitische Situation in Kirgisien weiterentwickelt, beunruhigt mich allerdings. Kirgisien ist unser Verbündeter im Rahmen des Vertrags über kollektive Sicherheit. Das sollte man nicht vergessen. – Aber ich denke, daß die so genannte Opposition, die dort aber wohl schon lange nichts mehr kontrolliert, genug Klugheit und Kraft aufbringt, um die Situation zu beruhigen."

    Auch hier fiel wieder das Stichwort "Vertrag über kollektive Sicherheit" innerhalb der GUS-Republiken. – Die räumliche Nähe Kirgistans zu Afghanistan, zu den potentiellen Krisenpunkten
    Ferganatal, an das Kirgisien und Usbekistan angrenzen, so wie zum keineswegs stabilen Tadshikistan und Afghanistan. All das lässt – vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse – die Alarmglocken im Kreml schrillen. Nicht zu vergessen: Auch die USA haben seit einigen Jahren im Rahmen der Afghanistan-Mission Soldaten in Kirgisien stationiert. Diese Besorgnisse unterfüttert Andrej Grozyn vom Mittelasien-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften:

    Wir haben Informationen, sagt Grozyn, dass die usbekische und uighurische Minderheit im Süden Kirgisiens inzwischen Selbstschutz-Abteilungen gebildet haben, um bereit sein, wenn sich der Konflikt ausweitet… - Und der Politologe Aleksander Konovalov will sogar – als so genanntes "worst-case"-Szenario - folgende Entwicklung nicht mehr ausschließen:

    "Wenn die Situation nicht rasch unter Kontrolle kommt, könnte eine dritte Kraft auftauchen, die für niemanden angenehm sein wird, nicht die USA, nicht Russland, nicht das benachbarte Usbekistan: Das – werden dann radikale Islamisten sein! Und diese Kraft kann dann sowohl eine zerstrittene Opposition als auch übrig gebliebene Akajev-Strukturen hinwegfegen."

    Deshalb kann der Standpunkt von Dmitrij Margelov, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Internationale Beziehungen beim Russischen Föderationsrat, dem Oberhaus des Parlaments also, nicht wirklich überraschen:

    "Für uns ist es sehr wichtig, dass Kirgisien ein weltlicher Staat bleibt und es nicht zulässt, dass islamistisch-fundamentalistische Kräfte dort an die Macht kommen. Kräfte, die einen Staat errichten könnten, der vergleichbar wäre mit Afghanistan, als dort die Taliban ans Ruder kamen."

    Angeblich – so melden heute Nachmittag die Agenturen – hat der einstweilen entthronte Präsident Akajev – keineswegs die Absicht, die Macht abzugeben. Er spricht von einem Staatsstreich. Allenfalls vorübergehend wolle er sich im Ausland aufhalten.


    Robert Baag:
    Über die Perspektiven Kirgistans nach dem Machtwechsel möchte ich mich jetzt mit der Kaukasus- und Zentralasien-Expertin Eva-Maria Auch von der Universität Bonn unterhalten. Frau Auch, dieses Klammern an die Macht, wie ist das zu bewerten – Altersstarrsinn von Askar Akajew oder hat er realistische Chancen die Macht in Kirgisien zurückzugewinnen?

    Eva-Maria Auch:
    "Ich glaube, dass Herr Akajev, der ja fast 15 Jahre an der Macht bereits war und doch mit zu den ältesten Präsidenten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gehört natürlich Ambitionen hat weiterhin an der Macht zu bleiben. Aber hier in diesem Fall sondert er sich auch etwas aus, aus dieser Gruppe der doch sehr autoritären Nachbarstaaten und der Herrscher dort in diesen anderen Nachbarländern. In sofern, dass er eigentlich mit Gorbatschow damals an die Macht kam, und Kirgistan in der ersten Regierungsperiode vor allen Dingen doch auf einen Kurs der Demokratisierung gebracht hat, und damals eigentlich galt als einer, der doch fortschrittsorientiertesten Präsidenten in den GUS Staaten. Das hat sich in der zweiten Periode, also vor allen Dingen in den letzten fünf Jahren dann doch verschärft und da sind ihm autoritäre Züge, also auch Züge der Korruption unterstellt worden bzw. gibt es ja tatsächlich exakte Hinweise, dass zunehmend ein ganzer Klan, sein Familienklan sich in Machtpositionen gedrängt hat, und er auch die Privatisierung des Landes zu Gunsten seiner Familie betrieben hat."


    Robert Baag:
    Das führt mich aber zurück zu meiner Eingangsfrage, die sagt, da hat er realistische Chancen, sich noch mal sozusagen an die Macht zurückzubewegen. Sind die Strukturen, die er in den 15 Jahren schaffen konnte, so verinnerlicht und so rigide, dass sich die Opposition, die sich ja ausmalt, jetzt an der Macht zu sein, sich die Zähne daran ausbeißen könnte?

    Eva-Maria Auch:
    "Einmal ist Akajev ein Mann, der eben nicht autoritär absolut herrschte. Bisher in seinem Schatten konnten sich eben oppositionelle Politiker profilieren. Das darf man nicht unterschätzen. Er hat also Spielraum gelassen und ich würde ihm durchaus zumuten und zutrauen, dass er wirklich einen Dialog, eine Übergabe der Macht sucht. Er hat ja nicht zur bewaffneten Gewalt gegriffen, und er hat in diesem ganzen Prozess, es wird ihm als Schwäche unterstellt jetzt von andern, aber er hat also nicht auf Gewalt gesetzt seitens des Staates. Dass er also bereit ist, über Dialog eine Machtbeteiligung zu erhalten die eine Variante und das andere ist natürlich, die Machthungrigkeit, die ja doch, wenn man lange an der Macht ist, ist man immer trotzdem noch nicht satt. Und in der Zwischenzeit entscheidet er nicht nur für sich als Person, als Präsident, sondern für einen Klan."


    Robert Baag:
    Wie ist das eigentlich zu bewerten, diese neuen Männer, die an die Macht gekommen sind, eine Frau dabei, eine prominente Frau, Rosa Otunbaeva, die designierte Außenministerin, Felix Kulov, der bis vor kurzem noch im Gefängnis saß und der neue Interdimspräsident Bakijev, wie sind diese drei Gestalten einzuschätzen?

    Eva-Maria Auch:
    "Wenn man jetzt wirklich nach der zentralasiatischen Mentalität geht, würde man jetzt erst mal sagen, ein Mann kommt aus dem Süden, einer ist aus dem Norden. Das ist schon ein wichtiges Argument gewesen, dass also an der Verteilung jetzt auch der Posten, die dieses Verhältnis zwischen Süden und Norden ausgewogen berücksichtigt werden muss. Dass war ja die Gefahr bei den Parlamentswahlen, dass also hier nicht mehr der Süden sich genügend vertreten fand. Kulov ist ein Mann, der aus dem KGB stammt. Er ist also auch jemand, der die Sicherheitsstrukturen sehr gut kennt, und nicht umsonst auch beauftragt worden ist jetzt den Sicherheitsapparat zu übernehmen. Er ist empfohlen worden als der Beauftragte des Präsidenten. Man spricht ja noch nicht von Ministerposten, sondern als Beauftragter des Präsidenten für sämtliche Sicherheitsfragen, Miliz bis zur Armee. Und das ist natürlich auch die Frage, gelingt es ihm, man traut es ihm zu als ehemaliger KGB-Mann allerdings, dass sollte man nicht vergessen. Der anderen Bakijev, der als gemäßigter Politiker eingeschätzt wird. Beide können, zumindest in dieser Konstellation auch ihre politischen Erfahrungen des Ansehens in der Bevölkerung durchaus ein Tandem bilden, um stabilisierend auf die Verhältnisse einzuwirken."


    Robert Baag:
    Und auf Rosa Otunbaeva trifft das Klischee, oder die Bemerkung zu, sie könne nach der gängigen Farbenlehre als "linkszentristisch" eingeschätzt werden?

    Eva-Maria Auch:
    "Ja, doch, und sie hat selbst davon gesprochen, dass sie sich so sieht und sie spricht ja auch davon, dass sie selbst vom georgischen Virus infiziert worden sei. Und ich glaube schon, dass sie sich selbst erst einmal so sieht. Wie die Politik dann im Einzelnen aussieht, wird man abwarten müssen."


    Robert Baag:
    Dem entnehme ich auch, dass es auch für sie derzeit noch nicht ganz erkennbar ist, welche konkreten Vorhaben für die nächste Zukunft, von den politischen Strukturen vielleicht einmal abgesehen, dass es demokratische Strukturen sein sollen, aber inhaltlich programmatisch, welche Punkte dort herauszuarbeiten sind, können Sie uns da etwas weiterhelfen?

    Eva-Maria Auch:
    "Also unabhängig von der Undurchschaubarkeit momentan der einzelnen Personen, welches Lager sie vertreten ist erstmal festzuhalten, dass sich alle dazu bekannt haben, dass es wirtschaftlich auf jeden Fall zu einer Verbesserung der Lage kommen muss. Diese Übergriffe, die wir im Fernsehen beobachten, die ja auch blutig abgelaufen sind, und wir sprechen zur Zeit von über 300 Verwundeten, die Zahl der Toten ist nicht ganz bekannt. Hier haben alle betont, es kommt erst mal darauf an, die Verträge, die es mit dem Ausland gibt, an denen hält man weiter fest, aber das es zu einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation kommen muss. Die USA haben ja bereits auch schon erklärt, die 31 Millionen Dollar, die bewilligt sind, werden auch weiter bezahlt werden. Das ist zumindest ein Signal, unabhängig vom Machtwechsel wird also die wirtschaftliche Hilfe anhalten. Ähnlich hat man sich verständigt, auch in der Beziehung mit Russland und auch, obwohl Putin ja das Angebot gegenüber Akajew gemacht hat, ihn in Russland aufzunehmen,…"


    Robert Baag: …und sogar militärisch zu intervenieren?

    Eva-Maria Auch:
    "…und zu intervenieren, wenn es notwendig wäre, dann eine militärische Hilfe, wie man das im Russischen immer so schön formuliert, diese Hilfsfunktion der Russen. Aber auch die Verständigung mit den europäischen Staaten, mit den westeuropäischen Staaten. Alle sind sich eigentlich einig, und OSZE schaltet sich ja hier ein, um zu sagen, gut wenn es auf eine Kurs der Demokratisierung geht, sind wir also auch bereit unsere wirtschaftliche Hilfe, unsere Hilfe bei der Demokratisierung zu verstärken."


    Robert Baag:
    Wir reden jetzt die ganze Zeit zwar erhellend aber trotzdem abstrakt. Wir reden von Demokratie. Nun gibt es nicht wenige Stimmen, die sagen, dass in einem Landstrich wie in Mittelasien, ähnlich ja wie auch in Asien an sich, der Begriff der Demokratie keineswegs die selben Inhalte haben muss wie hierzulande in Westeuropa oder in den Vereinigten Staaten. Wie ist das ihrer Ansicht nach, oder ihrer Kenntnis nach in Zentralasien um die Demokratie bestellt? Schlagen dort die traditionellen Klanstrukturen, mit einem klaren Führer an der Spitze und seiner Gefolgschaft, demokratische Auffassungen oder ist dort eine Modernisierung zu beobachten, die unter anderem zu solchen Ereignissen geführt haben könnte, wie jetzt in Kirgisistan?

    Eva-Maria Auch:
    "Also sicherlich ist die Frage "Demokratisierung" dann doch nicht zu vergleichen mit dem Prozess in der Ukraine oder in Georgien. Aber die Kirgisen selbst sprechen ja auch von einer "Stammesdemokratie". Das heißt also, es gibt ja auch eine traditionellen Begriff, ein traditionelles Verständnis von Demokratie und in der Zwischenzeit sind ja auch in der OSZE die Auffassungen so weit gereift, dass man sagt, unsere westlichen Demokratieverständnisse und auch die Inhalte sind nicht zu übertragen, sondern wir müssen etwas finden, dass wir das Traditionelle mit unserem Verständnis, mit unseren Kriterien in Übereinstimmung bringen können. Dann gibt es natürlich Dinge, ohne die Klanstrukturen zu berücksichtigen, zum Beispiel also jetzt bei der paritätischen Besetzung der Ämter, wird man nicht auf eine Mehrheit unter der Bevölkerung auch zurückgreifen können, bei der Regierung, in den Regierungsgeschäften."


    Robert Baag:
    Wird dies, was sie jetzt skizziert haben, möglich sein mit delikater, mit diskreter Hilfe des Westens, ohne dass sich Russland, zu dessen "nahem Ausland" in der Selbstdefinition Kirgisien ja immer noch gehört, auch als Paktmitglied in der kollektiven Sicherheit, wird dies möglich sein, ohne das Russland sich gestört fühlen wird und von Einmischung sprechen wird, wie das ja im Fall der Ukraine schon mal angeklungen ist?

    Eva-Maria Auch:
    "Also ich denke, in der Zwischenzeit sind die Erfahrungen im Umgang miteinander doch schon weit gediehen. Auch Russland hat Erfahrungen in den Strukturen der OSZE und ich denke, dass hier auch Kirgistan selbst, als eben nicht gas- und nicht erdölreiches Land, als mehr Problemfall, dass man in diesem Fall durchaus eine Großzügigkeit, vielleicht auch seitens Russlands erwarten kann, im Umgang, wenn man natürlich nicht massiv von amerikanischer Seite stärker, massiv hineingeht. Hier hat, denke ich, auch Westeuropa eine wichtige Funktion als Puffer zwischen Russland und den USA. Akajew hat ja eine ganz laue Politik gemacht, indem er Militärbasen sowohl Russlands als auch amerikanische zugelassen hat."