Und auch in den Büchern tummeln sich die Schmetterlinge. Vor allem - wen wundert's? - in den Jugendbüchern!
Meine Eingeweide sind weg", sagte ich.
Mir wurde so schwindlig, dass ich auf Zehenspitzen gehen musste.
Ein Schauer der Erregung durchrieselte Tycho, als hätte diese Berührung, diese Hand etwas in ihm aktiviert, etwas angefacht, das Glühen in seinem Gesicht verstärkt, das Klopfen in seinem Hals ausgelöst, ihm eine Gänsehaut über den ganzen Körper gejagt.
Wer kann unregelmäßige Verben beugen, wenn das Blut kocht und der Körper verglüht, wenn der Kopf rauscht und knackt und man die Füße unterm Stuhl nicht still halten kann?
Liebe ist das, was den Körper verrückt spielen lässt.
" Es gibt körperliche Signale, und die sind auch sehr schön. Es gibt es oft, dass Jugendliche fragen, wie kann ich das denn wegkriegen. Dass ich immer stottern muss oder rot werde oder so. .. Es ist schön, wenn man sagen kann, ich nehme das als schöne Signale meines Körpers die mir sagen: ah, da ist was! Das ist eigentlich ein schönes Zeichen, dass gar nicht unbedingt wegzukriegen ist. Wie das dann genau sich auswirkt, ist ganz unterschiedlich. Manchen schlägt das auf den Magen, manche haben diesen berühmten Kloß im Hals und andere fangen
an zu zittern."
Elisabeth Raffauf muss es wissen. Sie hat mit zahllosen Jugendlichen über die Liebe gesprochen und diese Gespräche in ihrem Aufklärungsbuch "Only for Girls" verarbeitet. Sein Untertitel: "Alles über Liebe und Sex". Doch beide Titel sollte man nicht allzu ernst nehmen. Denn: "Only for Girls" ist nicht nur für Mädchen! Auch Jungen interessieren sich brennend für das, was da anscheinend hinter verschlossener Tür verhandelt wird. Für das, was Mädchen fühlen und sich wünschen, für ihre Probleme mit sich selbst und dem ersten Freund. Für Tipps, was Küssen und Kuscheln, Sex und Verhütung betrifft. Wie ja auch viele Mädchen das entsprechende Buch "Only for Boys" von Manne Forsberg neugierig verschlungen haben.
Und alles über Liebe und Sex, wie der Untertitel verspricht, kann - und will - Elisabeth Raffauf auch nicht bieten,
"denn es lässt sich nicht alles erklären und nicht alles vorausberechnen, schon gar nicht, wenn es um Körper und Seele geht ... Liebe und Sex sind glücklicherweise nicht wie ein Film, den man schon tausend Mal gesehen hat und bei dem man jedes Wort mitsprechen kann. Das Drehbuch wird immer wieder neu geschrieben und neu inszeniert."
Was Elisabeth Raffauf Mädchen und Jungen in "Only for Girls" erzählt, ist nicht wirklich neu. Wie sollte es auch? Unzählige Bücher mit ähnlichen Themen sind auf dem Markt. Besonders ist aber der Ton.
Pleiten, Pech und Pannen gehören dazu, und wenn was schief geht, hat das nichts mit mangelndem Talent zu tun. Am besten drüber lachen und noch einmal probieren. Auch Küssen will gelernt sein. Und das beste Mittel, um Küssen zu lernen, ist, immer wieder zu küssen.
Elisabeth Raffauf spricht ihre Leser direkt an. Redet mit ihnen so locker, als säßen sie ihr gegenüber am Küchentisch. Doch sie biedert sich nicht an, verschont ihre Leser aber auch mit wissenschaftlichen Termini und zu viel Faktenwissen. Und betont: Es gibt ganz viele Facetten der Liebe und ganz verschiedene Formen des Sex. Nichts ist "unnormal", alles ist richtig, solange es niemandem weh tut. Und: Du bist o.k. so wie Du bist!
Elisabeth Raffauf dockt direkt an den Gefühlen, Wünschen, Sehnsüchten und Fragen der Jugendlichen an.
"Das heißt: Aufregung, Wärme, Angst, Unsicherheit, Verlangen - alles was damit ist. Gucken, wie war das, wie ist das in dem Alter mit den Gefühlen."
In ihrem Buch "Only for Girls" begleitet Elisabeth Raffauf ihre jungen Leser auf der Achterbahnfahrt nicht nur der ersten Verliebtheit. Und uns begleitet sie heute auf einem Streifzug durch vier Jugendromane über die Liebe. Zusammen mit Friedrich Ani, der im Frühjahr seine "total wahren und überhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb" vorgelegt hat. Natürlich nicht seine eigenen, sondern die von Simon. Oder vielleicht doch ein wenig auch die eigenen?
Um das klarzustellen: Ich bin kein Filmstar, und ich bin minusprominent. Aber was ich erlebt habe, ist wahr, und ich will, dass die Leute mir glauben. .. Denn wenn man einen Herzkasperl im Kopf hat, dann ist alles wahr, was ist, auch wenn keiner das glaubt.
"Der Simon hat ein großes Erlebnis hinter sich, die Begegnung mit einem Mädchen. Das Problem daran: dass der Simon erst elf ist ... und dieses Gefühl, das ihm beim Anblick des Mädchens durch Mark und Bein geht, das kennt er nicht. Und deswegen ist er verwirrt. Der Simon ist ein komplett durch und durch verwirrter Junge."
Liebe ist das, was die Gefühle total verwirrt
Nicht nur Friedrich Anis Simon leidet unter der Verwirrung der Gefühle. Auch Fanny in Katarina von Bredows "Zum Glück allein", Mina und Ysrael in An Nas Jugendroman "Minas Lied" oder Tycho und Oliver in Edward van de Vendels Geschichte "Die Tage der Bluegrass Liebe". Aber vielleicht ist niemand von ihnen so verwirrt wie Simon. Er ist nicht nur hochsensibel und eher ein Eigenbrötler, ihn trifft der Schlag auch wie aus heiterem Himmel, nämlich zum allerersten Mal. Simon weiß einfach nicht, wie und was ihm geschieht, er ist so voll, dass er fast platzen könnte. Kein Wunder, dass er buchstäblich die Sprache verliert. Die Liebe macht ihn sprachlos, weil er für das, was er da fühlt, keinen Namen hat.
So verwirrt wie an diesem Freitag im Juli war ich noch nie. Und so viel Angst hatte ich auch noch nie gehabt. Eigentlich hatte ich gar keine Angst. Das war keine richtige Angst, das war was total anderes.
Keines von Friedrich Anis Jugendbüchern ist komischer, keines ist leichter und spielerischer geschrieben als die Geschichte des kleinen Simon, der mit der großen Liebe ringt wie David mit Goliath. Der total peinlich berührt und sprachlos ist und zugleich wie beschwipst vor Glück! Dieses Buch ist so schön traurig und zugleich herrlich fröhlich, dass man dem Autor sogar die Figur der Nymphe Echo verzeiht. Die stellt er Simon zur Seite, um ihm - und vielleicht auch seinen Lesern - die Liebe zu erklären. Doch diese phantastische Konstruktion bremst den Erzählfluss nur und nimmt der Geschichte ein wenig den Witz und die Spannung.
Auch die 16jährige Mina aus An Nas Jugendroman "Minas Lied" steckt mitten im Gefühlschaos. Sie lebt mit ihrer Familie in Kalifornien, und immer, wenn sie aus der Schule kommt, müssen sie und ihre zehnjährige Schwester Suna den Eltern in deren Reinigungsgeschäft helfen. Die koreanische Einwandererfamilie arbeitet bis zum Umfallen und hat viele Sorgen, doch Mina soll trotzdem nach dem Abschluss an der High School nach Harvard gehen. Ihre Mutter besteht darauf. Was die Mutter aber nicht weiß ist, dass Minas Noten dazu gar nicht ausreichen. Seit Jahren traut Mina sich nicht, die Wahrheit zu sagen und verstrickt sich immer tiefer in einem Gespinst aus Lügen. Erst durch Ysrael, der vorübergehend in der Reinigung jobbt, begreift sie, dass sie ihr Leben ändern muss.
Jemand hüstelte hinter mir. Ich fuhr herum. Ysrael hielt ein gebügeltes Hemd hoch ... und dieses Mal waren seine Augen nicht gesenkt, sondern auf mich geheftet ...
Manchmal gibt es solche Augenblicke, die im Gedächtnis verweilen. So etwas lässt sich nicht erklären. Warum zu diesem Zeitpunkt und nicht zu einem anderen? Warum gerade dieser Blick und nicht ein anderer? Es ist einfach so ... Und in diesem Augenblick, in dieser schrecklichen Hitze, hätte ich ihm am liebsten alles erzählt. Die Last meiner Lügen von den Schultern gleiten lassen. Aber ich konnte nichts anderes tun, als ihm das Hemd abzunehmen und "Danke" zu flüstern.
Liebe ist das, was einem die Worte im Hals festklebt.
Ob Simon oder Mina, klein oder groß, Junge oder Mädchen, homosexuelle oder heterosexuelle Partner:
"Fühlen tun die sich nicht unterschiedlich. Die haben alle Ängste und Sorgen und Verletzlichkeiten und Sehnsüchte. Also sie gehen erst mal an die Beziehung gar nicht so unterschiedlich ran, die Art Kontakt aufzunehmen ist unterschiedlich, und was man auch weiß, aus Studien, dass der erste Sex bei Jungen häufiger ist mit Mädchen, die sie nicht so gut kennen. Und bei Mädchen häufiger mit Jungs, die sie schon besser kennen. "
Die Liebe kann der Himmel auf Erden sein, aber auch die Hölle. Das klingt trivial, ist aber trotzdem so. Besonders für Jugendliche, die so vieles zum ersten Mal erleben: die erste Verliebtheit, die erste Berührung, den ersten Kuss. Gerade der erste Kuss, den man sich vielleicht so sehnlich gewünscht hat, kann schal schmecken. Aber auch wunderbar aufregend und zart. Wie bei Mina. Oder bei Simon.
Annalena stand da. Ihr Gesicht sah total verschmiert aus. Sie schlang die Arme um mich und küsste mich irgendwohin. Ich legte meine Arme auf ihren Rücken. Und weil sie nicht wegging, drückte ich fester zu. Und sie drückte sich noch fester an mich.
Das pure Glück ist, sich selbst erlebt zu haben. Zu spüren, man ist vollkommen am Leben. Und ich glaube, das ist das, was dem Simon im Wesentlichen widerfährt. Dass er ein totales Empfinden fürs Am-Leben-Sein hat. Das hatte er vorher nicht.
Liebe ist das, was einem beim Küssen passiert
Er berührt ihre Wange und sie schmiegt sich in seine Handfläche, in die Hand, die ihr Gesicht umfasst. Und er führt dieses Gesicht an seines heran, bis sie sich an den Stirnen berühren. Die Lippen flüstern. Er streichelt ihr Gesicht mit dem Handrücken, fährt mit den Fingerknöcheln den sanften Bogen ihrer Kinnlade, ihres Halses entlang. Sie senkt den Kopf, sodass die langen Haare nach vorn fallen. Er küsst sie auf die Stirn, die Brauen, die Schläfe. Langsam hebt sie das Gesicht zu seinem empor und ihre Lippen berühren sich. So sacht wie Blütenblätter, die zu Boden fallen.
"Minas Lied" ist eine bewegende Familiengeschichte, eine spannende Entwicklungsgeschichte und eine zarte Liebesgeschichte zugleich. Im Mittelpunkt stehen Mina und Suna, die beiden ungleichen Schwestern. Und Ysrael, den sie beide lieben. An Na erzählt im Wechsel aus Minas und Sunas Perspektive, hier selbstsicher in der Ich-Form, dort träumerisch in der 3.Person. Und so wie Mina und Suna sich verstehen - ohne große Worte, nur in Gesten und Andeutungen - so erzählt auch An Na ihre Geschichte in tastenden Sätzen, einfachen Gesten und poetischen Bildern. Vieles deutet sie nur an, lässt der Fantasie des Lesers Raum, sich zu entfalten. Besonders in jenen Szenen, in denen die Musik eine wichtige Rolle spielt. Denn Mina möchte Sängerin werden und Ysrael wird Musik studieren. Er schreibt ihr ein Liebeslied, weil Musik mehr sagen kann als Worte.
Ich kann ein wenig von deinem Gesicht
In diesen Sternen sehen
Ich kann ein wenig von deiner Stimme
Im Rauschen der Bäume hören
Ich kann ein wenig von deinem Mund
Auf meinen Lippen schmecken
"Ich kann dazu auch nur sagen, dass Musik die Gefühle direkt anspricht. Das geht direkt ins Herz und nicht über den Kopf. Das ist einfach das, was man empfindet - da ist der Kopf belegt. Da ist nur die Person drin, in die man verliebt ist, und sonst ist alles voll. Speicherplatz besetzt. Und da ist eben Musik eine gutes Transportmittel für diese Gefühle, da fehlen einem vielleicht selber die Worte, und da kann man ganz viel finden, was da ausgedrückt wird."
Liebe ist das, was in und um einen musiziert
Mit "Minas Lied" ist aber nicht nur der Song gemeint, den Ysrael für Mina komponiert hat. Minas Lied, das ist auch Minas innere Melodie, Minas Lebensmelodie, ihr Weg in ihr eigenes Leben. Egal, ob solo oder im Chor der Familie.
Wie ein basso continuo liegt die Musik nicht nur unter Minas und Ysraels Beziehung. Auch für Tycho und Oliver hat sie große Bedeutung. Die beiden achtzehnjährigen Jungen in Edward van de Vendels Jugendroman "Die Tage der Bluegrass Liebe" lernen sich in einem Sommercamp in den USA kennen und verlieben sich ineinander. Für sie, die aus verschiedenen Ländern kommen, ist die Musik etwas wie eine gemeinsame Sprache, reißt sie mit, bezaubert sie, bringt sie in Fahrt 0'55
So eine Musik hatte Tycho noch nie gehört. Musik? Es war die Hitze selbst. Die rasend schnellen Rhythmen und das explodierende Banjo waren wie die Wärmewellen rund um das Grillfeuer, die zum Klingen gebracht wurden. Angenehme Wellen. Tycho glühte. Vom Feuer, von der Hitze ... und den glänzenden Gesichtern seiner Camp-Genossen, Freunde waren es, Freundinnen, sie alle, und Oliver, sein Oliver, die grünen Augen (die ihn sahen) und die kleine, gerade Nase (die er heute Abend spüren würde - diese Nase auf seiner), der schöne Mund (den er heute Abend ... ) - das war es, das alles, alles zusammen, gesteigert und angeheizt durch die Musik, als würde durch sie jedes Gefühl, jede Empfindung nochmals um eine Stufe verstärkt.
Für Tycho, den Ich-Erzähler, sind diese Gefühle ganz neu und darum total verwirrend. Edward van de Vendel schildert alle Stadien der sich entwickelnden Beziehung, von der ersten zaghaften Verliebtheit über die Gespräche der beiden Jungen, ihre langsam sich steigernde Zärtlichkeit und Erregung bis zum ersten Sex.
Ihre Münder fanden sich und ihre Zungen kreisten umeinander. Sie schmeckten Feuer und Wasser, Ebbe und Flut und Meer und Himmel. Sie rückten näher zusammen und beide klammerten ihre Hände um den verlängerten Rücken des anderen. Ab und zu hob der eine den anderen hoch, als wolle er ihn auf diese Art in sein Herz hieven. Und die Nacht fing an.
Ebenso direkt wie dezent beschreibt Edward van de Vendel diese homosexuelle Beziehung, spiegelt die Gefühle der Jungen in vibrierenden Dialogen und poetischen Bildern. Er lässt dabei offen, ob die beiden wohl für immer gleichgeschlechtliche Partner haben werden. Und er lässt auch offen, ob es ihm über die literarische Aufarbeitung eines immer noch problematischen Themas hinaus auch um Aufklärung geht. Vielleicht sogar darum, jungen Männern und Frauen Mut zu machen, sich zu ihrer Liebe zu bekennen.
Liebe ist das, was kompliziert ist und trotzdem gut tut
"Natürlich brauchen Menschen, die schwul oder lesbisch werden, da eine ganz besondere Stützung oder Stärkung. Auch eben, dass sie das Gefühl haben, ja, ich bin trotzdem richtig, und meine Gefühle sind nicht falsch, weil sie das gleiche Geschlecht betreffen. Insofern brauchen die da was!"
Doch nicht nur schwule und lesbische junge Leser brauchen Bücher, in denen ihre Probleme verhandelt werden. Jedem, der verliebt ist, tut es gut, festzustellen, dass andere Menschen, und seien es literarische Figuren, die eigenen Sehnsüchte oder Ängste teilen. Darum schreiben manche Autoren auch mit dem ganz klaren Ziel, ihre Leser ein wenig auf das vorzubereiten, was vor ihnen liegt. Wie Friedrich Ani.
"Das ist ja eine Wunschvorstellung von mir ... dass Jungs mein Buch lesen und versuchen, mit diesem Buch irgendwie durch die Liebe zu kommen. An die Liebe ranzukommen. Das wär toll! Insofern könnte dieses Buch auch ein Ratgeber sein."
Solch einen Ratgeber in Liebesdingen könnte auch die achtzehnjährige Fanny sehr gut brauchen, die Ich-Erzählerin in Katarina von Bredows Roman "Zum Glück allein". Ihr Freund Johan, wegen seines blendenden Aussehens und seiner Coolness von allen "Mr. Perfect" genannt, verhält sich seit Wochen irgendwie merkwürdig. Und dann er belügt sie sogar. Fanny wird misstrauisch. Sie zweifelt an seiner Treue und ihrer eigenen Liebe, ist hin- und her gerissen zwischen Wut und Schuldbewusstsein. Bis Johan ihr gesteht, dass er sie betrogen hat. Doch seine Ehrlichkeit macht alles noch viel schlimmer. Traurig ist Fanny, wütend, enttäuscht, eifersüchtig, verzweifelt. Und am schlimmsten: Sie weiß nicht mehr, was sie glauben soll, auch nicht, als Johan sich für sie entscheidet.
Ich sage mir immer wieder, dass er sich für mich entschieden hat. Wie ein Mantra. Er hat sich für mich entschieden. Er hat sich für mich entschieden. Mich liebt er. Mich. Sie bedeutet ihm nichts. Das hat er gesagt. Aber geht man wirklich so oft mit jemandem ins Bett, der einem nichts bedeutet? .. Das geht über meinen Horizont ... Andererseits fällt es mir gar nicht schwer, mir vorzustellen, dass ich Johan nicht genüge ... Er ist Mister Perfect. Und ich bin ich. Fanny Wallin. Mit dem Namen fängt es schon an ... There's nothing funny about Fanny.
Liebe ist das, was uns in Frage stellt
Selbstzweifel gibt es für Fanny auch im Verhältnis zu ihrer Mutter. Die trinkt seit der Trennung von Fannys Vater zu viel. Als die Situation eskaliert, weiß das junge Mädchen nicht, wieweit sie die Verantwortung übernehmen kann und muss - für sich und ihre Mutter. Katarina von Bredow packt ihre schwierigen Themen offensiv an. Anfangs einfühlsam, später immer drastischer schildert sie die Alkoholabhängigkeit der Mutter und Fannys Zerrissenheit zwischen Angst und Ekel, Liebe und Wut. Auch mit dem Thema Sex geht die Autorin sehr offen um, zum Beispiel, wenn Fanny sich in einer Mischung aus Traurigkeit und Selbstironie an ihren ersten Freund Marcus erinnert.
Wir waren nur elf Tage lang zusammen, an denen es die meiste Zeit darum ging, wann ich mich endlich trauen würde, mit ihm zu schlafen. Am Schluss gab ich nach, legte mich auf den Rücken und machte die Beine breit. Es hat irgendwie geschnalzt, als er in mich reinkam, ungefähr so, wie wenn ein Gummiband reißt. Danach hat es ein bisschen gebrannt und das Laken bekam ein paar Blutflecken ab. Traumatisch war es nicht unbedingt, aber auch nichts, wofür ich durch Feuer gehen würde, um es noch mal zu erleben. Markus war, glaube ich, auch nicht begeistert. Drei Tage später hat er mit mir Schluss gemacht.
Was sicher kein Verlust war für Fanny - außer dem Verlust einer schönen Illusion, die von fast allen Medien ja nach besten Kräften unterstützt wird. Behutsamkeit, Zärtlichkeit, ein erfüllter Orgasmus, und der, bitte schön, gleichzeitig - das sind die Bilder und Erwartungen, die Jugendliche aus Fernseh- und Videofilmen mitnehmen. Gut, dass Katarina von Bredow da ehrlich zeigt, dass es häufig anders ist: Sex ist für Fanny anfangs enttäuschend, später ist er sogar schlichtweg langweilig. Wird zur gemütlichen Gewohnheit in der Werbepause beim Fernsehen. Und danach verfällt Mr. Perfekt, auf der Couch in Tiefschlaf. Erst mit Finn erlebt Fanny eine erfüllte körperliche Liebe und ein kurzes, intensives Glück.
"Auf jeden Fall ist es ja so, dass man ganz viel üben muss. Auch die Art, miteinander umzugehen. Und das ist auf jeden Fall steigerungsfähig, insofern ist es auch schön, wenn man Zeit hat, sich kennen zu lernen und sich gegenseitig seine Bedürfnisse mitzuteilen. Und auch das Zusammensein aufeinander abzustimmen. Dann kann das noch viel schöner sein als am Anfang."
Das heißt, Liebe kann und muss sich entwickeln. Und Liebe fordert einen auch dazu heraus, sich selbst zu entwickeln. Simon muss Annalena "Auf Wiedersehen" sagen, weil sie mit ihren Eltern abreist. Mina entscheidet sich, Ysrael nicht sofort nach San Francisco zu folgen und erst noch einmal zu Hause zu bleiben. Tycho verlässt Oliver, weil er spürt, dass der ihn im Augenblick nicht braucht. Und Fanny kann ihre Liebe mit Finn nicht leben, weil der verheiratet ist. Alle müssen sie Entscheidungen treffen und wachsen damit ein Stück - werden er-wachsen. Und alle Beziehungen bleiben offen, ein Happyend findet in keinem dieser Bücher statt. Wie könnte es denn auch aussehen? Ein Happyend wäre zu schön, um wahr zu sein. Oder zu trivial. Wäre eben Film, nicht Wirklichkeit.
Die Tage waren schön. Die Sonne schien viel, und doch wurde es nicht heiß. Sie trugen T-Shirts und kurze Hosen, und ein leichter Wind sorgte dafür, dass sie nicht den ganzen Tag schweißnass herumliefen. Sie waren genauso viel im Haus wie hinten im Garten. Sie spielten und schmusten. Die Stunden auf der Uhr verschwanden ungezählt.
Wenn es auch kein Happyend gibt, so aber doch Augenblicke des vollkommenen Glücks. Für Tycho und Oliver, und auch für Mina und Ysrael.
Liebe ist das, was die Zeit stillstehen lässt
Ysrael suchte meinen Blick und sah nicht weg. Er holte tief Luft und hielt seine Augen auf mich geheftet. So verharrten wir. Eine Sekunde. Eine Minute. Ein ganzes Leben lang.
"Glück ist ja immer etwas sehr Flüchtiges. Aber zumindest, wenn man so ein Grundgefühl hat, ja, wir lieben uns gegenseitig, und wir gehören zusammen. Das ist ein schönes Gefühl. Von dem kann man dann auch gut ausgehen."
Liebe ist im Jugendbuch so vielfältig wie in der Wirklichkeit. So kindlich und so komisch, so lustvoll und so schmerzhaft, so berührend und so beglückend. Und sie berührt und beglückt auch den Leser. Was aber nicht heißen muss, dass er dadurch besser gewappnet wäre fürs Leben. Friedrich Ani ist da zumindest skeptisch.
"Ich hab die Erfahrung gemacht im Laufe meines nun schon viele Jahre anhaltenden Lebens, dass es nicht wahnsinnig viel nutzt, wenn man über die Liebe liest. Man muss die Liebe schon immer wieder selber erfinden. .. Ich glaube, wenn man wirklich verliebt ist, hat man sowieso keine Zeit, Bücher zu lesen."
Besprochene Bücher:
Friedrich Ani: Meine total wahren und überhaupt nicht peinlichen Memoiren,
Hanser Verlag, 122 Seiten, ab 10. 12,90 Euro.
Katarina von Bredow: Zum Glück allein,
Verlag Beltz & Gelberg, 178 Seiten, ab 14. 14,90 Euro.
An Na: Minas Lied,
Verlag Sauerländer, 188 Seiten, ab 13. 14,90 Euro.
Edward van de Vendel: Die Tage der Bluegrass Liebe,
Carlsen Verlag, ab 14. 12.- Euro.
Elisabeth Raffauf: Only for Girls. Alles über Liebe und Sex.
Verlag Beltz & Gelberg, 264 Seiten, ab 12. 12,90 Euro.
Meine Eingeweide sind weg", sagte ich.
Mir wurde so schwindlig, dass ich auf Zehenspitzen gehen musste.
Ein Schauer der Erregung durchrieselte Tycho, als hätte diese Berührung, diese Hand etwas in ihm aktiviert, etwas angefacht, das Glühen in seinem Gesicht verstärkt, das Klopfen in seinem Hals ausgelöst, ihm eine Gänsehaut über den ganzen Körper gejagt.
Wer kann unregelmäßige Verben beugen, wenn das Blut kocht und der Körper verglüht, wenn der Kopf rauscht und knackt und man die Füße unterm Stuhl nicht still halten kann?
Liebe ist das, was den Körper verrückt spielen lässt.
" Es gibt körperliche Signale, und die sind auch sehr schön. Es gibt es oft, dass Jugendliche fragen, wie kann ich das denn wegkriegen. Dass ich immer stottern muss oder rot werde oder so. .. Es ist schön, wenn man sagen kann, ich nehme das als schöne Signale meines Körpers die mir sagen: ah, da ist was! Das ist eigentlich ein schönes Zeichen, dass gar nicht unbedingt wegzukriegen ist. Wie das dann genau sich auswirkt, ist ganz unterschiedlich. Manchen schlägt das auf den Magen, manche haben diesen berühmten Kloß im Hals und andere fangen
an zu zittern."
Elisabeth Raffauf muss es wissen. Sie hat mit zahllosen Jugendlichen über die Liebe gesprochen und diese Gespräche in ihrem Aufklärungsbuch "Only for Girls" verarbeitet. Sein Untertitel: "Alles über Liebe und Sex". Doch beide Titel sollte man nicht allzu ernst nehmen. Denn: "Only for Girls" ist nicht nur für Mädchen! Auch Jungen interessieren sich brennend für das, was da anscheinend hinter verschlossener Tür verhandelt wird. Für das, was Mädchen fühlen und sich wünschen, für ihre Probleme mit sich selbst und dem ersten Freund. Für Tipps, was Küssen und Kuscheln, Sex und Verhütung betrifft. Wie ja auch viele Mädchen das entsprechende Buch "Only for Boys" von Manne Forsberg neugierig verschlungen haben.
Und alles über Liebe und Sex, wie der Untertitel verspricht, kann - und will - Elisabeth Raffauf auch nicht bieten,
"denn es lässt sich nicht alles erklären und nicht alles vorausberechnen, schon gar nicht, wenn es um Körper und Seele geht ... Liebe und Sex sind glücklicherweise nicht wie ein Film, den man schon tausend Mal gesehen hat und bei dem man jedes Wort mitsprechen kann. Das Drehbuch wird immer wieder neu geschrieben und neu inszeniert."
Was Elisabeth Raffauf Mädchen und Jungen in "Only for Girls" erzählt, ist nicht wirklich neu. Wie sollte es auch? Unzählige Bücher mit ähnlichen Themen sind auf dem Markt. Besonders ist aber der Ton.
Pleiten, Pech und Pannen gehören dazu, und wenn was schief geht, hat das nichts mit mangelndem Talent zu tun. Am besten drüber lachen und noch einmal probieren. Auch Küssen will gelernt sein. Und das beste Mittel, um Küssen zu lernen, ist, immer wieder zu küssen.
Elisabeth Raffauf spricht ihre Leser direkt an. Redet mit ihnen so locker, als säßen sie ihr gegenüber am Küchentisch. Doch sie biedert sich nicht an, verschont ihre Leser aber auch mit wissenschaftlichen Termini und zu viel Faktenwissen. Und betont: Es gibt ganz viele Facetten der Liebe und ganz verschiedene Formen des Sex. Nichts ist "unnormal", alles ist richtig, solange es niemandem weh tut. Und: Du bist o.k. so wie Du bist!
Elisabeth Raffauf dockt direkt an den Gefühlen, Wünschen, Sehnsüchten und Fragen der Jugendlichen an.
"Das heißt: Aufregung, Wärme, Angst, Unsicherheit, Verlangen - alles was damit ist. Gucken, wie war das, wie ist das in dem Alter mit den Gefühlen."
In ihrem Buch "Only for Girls" begleitet Elisabeth Raffauf ihre jungen Leser auf der Achterbahnfahrt nicht nur der ersten Verliebtheit. Und uns begleitet sie heute auf einem Streifzug durch vier Jugendromane über die Liebe. Zusammen mit Friedrich Ani, der im Frühjahr seine "total wahren und überhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb" vorgelegt hat. Natürlich nicht seine eigenen, sondern die von Simon. Oder vielleicht doch ein wenig auch die eigenen?
Um das klarzustellen: Ich bin kein Filmstar, und ich bin minusprominent. Aber was ich erlebt habe, ist wahr, und ich will, dass die Leute mir glauben. .. Denn wenn man einen Herzkasperl im Kopf hat, dann ist alles wahr, was ist, auch wenn keiner das glaubt.
"Der Simon hat ein großes Erlebnis hinter sich, die Begegnung mit einem Mädchen. Das Problem daran: dass der Simon erst elf ist ... und dieses Gefühl, das ihm beim Anblick des Mädchens durch Mark und Bein geht, das kennt er nicht. Und deswegen ist er verwirrt. Der Simon ist ein komplett durch und durch verwirrter Junge."
Liebe ist das, was die Gefühle total verwirrt
Nicht nur Friedrich Anis Simon leidet unter der Verwirrung der Gefühle. Auch Fanny in Katarina von Bredows "Zum Glück allein", Mina und Ysrael in An Nas Jugendroman "Minas Lied" oder Tycho und Oliver in Edward van de Vendels Geschichte "Die Tage der Bluegrass Liebe". Aber vielleicht ist niemand von ihnen so verwirrt wie Simon. Er ist nicht nur hochsensibel und eher ein Eigenbrötler, ihn trifft der Schlag auch wie aus heiterem Himmel, nämlich zum allerersten Mal. Simon weiß einfach nicht, wie und was ihm geschieht, er ist so voll, dass er fast platzen könnte. Kein Wunder, dass er buchstäblich die Sprache verliert. Die Liebe macht ihn sprachlos, weil er für das, was er da fühlt, keinen Namen hat.
So verwirrt wie an diesem Freitag im Juli war ich noch nie. Und so viel Angst hatte ich auch noch nie gehabt. Eigentlich hatte ich gar keine Angst. Das war keine richtige Angst, das war was total anderes.
Keines von Friedrich Anis Jugendbüchern ist komischer, keines ist leichter und spielerischer geschrieben als die Geschichte des kleinen Simon, der mit der großen Liebe ringt wie David mit Goliath. Der total peinlich berührt und sprachlos ist und zugleich wie beschwipst vor Glück! Dieses Buch ist so schön traurig und zugleich herrlich fröhlich, dass man dem Autor sogar die Figur der Nymphe Echo verzeiht. Die stellt er Simon zur Seite, um ihm - und vielleicht auch seinen Lesern - die Liebe zu erklären. Doch diese phantastische Konstruktion bremst den Erzählfluss nur und nimmt der Geschichte ein wenig den Witz und die Spannung.
Auch die 16jährige Mina aus An Nas Jugendroman "Minas Lied" steckt mitten im Gefühlschaos. Sie lebt mit ihrer Familie in Kalifornien, und immer, wenn sie aus der Schule kommt, müssen sie und ihre zehnjährige Schwester Suna den Eltern in deren Reinigungsgeschäft helfen. Die koreanische Einwandererfamilie arbeitet bis zum Umfallen und hat viele Sorgen, doch Mina soll trotzdem nach dem Abschluss an der High School nach Harvard gehen. Ihre Mutter besteht darauf. Was die Mutter aber nicht weiß ist, dass Minas Noten dazu gar nicht ausreichen. Seit Jahren traut Mina sich nicht, die Wahrheit zu sagen und verstrickt sich immer tiefer in einem Gespinst aus Lügen. Erst durch Ysrael, der vorübergehend in der Reinigung jobbt, begreift sie, dass sie ihr Leben ändern muss.
Jemand hüstelte hinter mir. Ich fuhr herum. Ysrael hielt ein gebügeltes Hemd hoch ... und dieses Mal waren seine Augen nicht gesenkt, sondern auf mich geheftet ...
Manchmal gibt es solche Augenblicke, die im Gedächtnis verweilen. So etwas lässt sich nicht erklären. Warum zu diesem Zeitpunkt und nicht zu einem anderen? Warum gerade dieser Blick und nicht ein anderer? Es ist einfach so ... Und in diesem Augenblick, in dieser schrecklichen Hitze, hätte ich ihm am liebsten alles erzählt. Die Last meiner Lügen von den Schultern gleiten lassen. Aber ich konnte nichts anderes tun, als ihm das Hemd abzunehmen und "Danke" zu flüstern.
Liebe ist das, was einem die Worte im Hals festklebt.
Ob Simon oder Mina, klein oder groß, Junge oder Mädchen, homosexuelle oder heterosexuelle Partner:
"Fühlen tun die sich nicht unterschiedlich. Die haben alle Ängste und Sorgen und Verletzlichkeiten und Sehnsüchte. Also sie gehen erst mal an die Beziehung gar nicht so unterschiedlich ran, die Art Kontakt aufzunehmen ist unterschiedlich, und was man auch weiß, aus Studien, dass der erste Sex bei Jungen häufiger ist mit Mädchen, die sie nicht so gut kennen. Und bei Mädchen häufiger mit Jungs, die sie schon besser kennen. "
Die Liebe kann der Himmel auf Erden sein, aber auch die Hölle. Das klingt trivial, ist aber trotzdem so. Besonders für Jugendliche, die so vieles zum ersten Mal erleben: die erste Verliebtheit, die erste Berührung, den ersten Kuss. Gerade der erste Kuss, den man sich vielleicht so sehnlich gewünscht hat, kann schal schmecken. Aber auch wunderbar aufregend und zart. Wie bei Mina. Oder bei Simon.
Annalena stand da. Ihr Gesicht sah total verschmiert aus. Sie schlang die Arme um mich und küsste mich irgendwohin. Ich legte meine Arme auf ihren Rücken. Und weil sie nicht wegging, drückte ich fester zu. Und sie drückte sich noch fester an mich.
Das pure Glück ist, sich selbst erlebt zu haben. Zu spüren, man ist vollkommen am Leben. Und ich glaube, das ist das, was dem Simon im Wesentlichen widerfährt. Dass er ein totales Empfinden fürs Am-Leben-Sein hat. Das hatte er vorher nicht.
Liebe ist das, was einem beim Küssen passiert
Er berührt ihre Wange und sie schmiegt sich in seine Handfläche, in die Hand, die ihr Gesicht umfasst. Und er führt dieses Gesicht an seines heran, bis sie sich an den Stirnen berühren. Die Lippen flüstern. Er streichelt ihr Gesicht mit dem Handrücken, fährt mit den Fingerknöcheln den sanften Bogen ihrer Kinnlade, ihres Halses entlang. Sie senkt den Kopf, sodass die langen Haare nach vorn fallen. Er küsst sie auf die Stirn, die Brauen, die Schläfe. Langsam hebt sie das Gesicht zu seinem empor und ihre Lippen berühren sich. So sacht wie Blütenblätter, die zu Boden fallen.
"Minas Lied" ist eine bewegende Familiengeschichte, eine spannende Entwicklungsgeschichte und eine zarte Liebesgeschichte zugleich. Im Mittelpunkt stehen Mina und Suna, die beiden ungleichen Schwestern. Und Ysrael, den sie beide lieben. An Na erzählt im Wechsel aus Minas und Sunas Perspektive, hier selbstsicher in der Ich-Form, dort träumerisch in der 3.Person. Und so wie Mina und Suna sich verstehen - ohne große Worte, nur in Gesten und Andeutungen - so erzählt auch An Na ihre Geschichte in tastenden Sätzen, einfachen Gesten und poetischen Bildern. Vieles deutet sie nur an, lässt der Fantasie des Lesers Raum, sich zu entfalten. Besonders in jenen Szenen, in denen die Musik eine wichtige Rolle spielt. Denn Mina möchte Sängerin werden und Ysrael wird Musik studieren. Er schreibt ihr ein Liebeslied, weil Musik mehr sagen kann als Worte.
Ich kann ein wenig von deinem Gesicht
In diesen Sternen sehen
Ich kann ein wenig von deiner Stimme
Im Rauschen der Bäume hören
Ich kann ein wenig von deinem Mund
Auf meinen Lippen schmecken
"Ich kann dazu auch nur sagen, dass Musik die Gefühle direkt anspricht. Das geht direkt ins Herz und nicht über den Kopf. Das ist einfach das, was man empfindet - da ist der Kopf belegt. Da ist nur die Person drin, in die man verliebt ist, und sonst ist alles voll. Speicherplatz besetzt. Und da ist eben Musik eine gutes Transportmittel für diese Gefühle, da fehlen einem vielleicht selber die Worte, und da kann man ganz viel finden, was da ausgedrückt wird."
Liebe ist das, was in und um einen musiziert
Mit "Minas Lied" ist aber nicht nur der Song gemeint, den Ysrael für Mina komponiert hat. Minas Lied, das ist auch Minas innere Melodie, Minas Lebensmelodie, ihr Weg in ihr eigenes Leben. Egal, ob solo oder im Chor der Familie.
Wie ein basso continuo liegt die Musik nicht nur unter Minas und Ysraels Beziehung. Auch für Tycho und Oliver hat sie große Bedeutung. Die beiden achtzehnjährigen Jungen in Edward van de Vendels Jugendroman "Die Tage der Bluegrass Liebe" lernen sich in einem Sommercamp in den USA kennen und verlieben sich ineinander. Für sie, die aus verschiedenen Ländern kommen, ist die Musik etwas wie eine gemeinsame Sprache, reißt sie mit, bezaubert sie, bringt sie in Fahrt 0'55
So eine Musik hatte Tycho noch nie gehört. Musik? Es war die Hitze selbst. Die rasend schnellen Rhythmen und das explodierende Banjo waren wie die Wärmewellen rund um das Grillfeuer, die zum Klingen gebracht wurden. Angenehme Wellen. Tycho glühte. Vom Feuer, von der Hitze ... und den glänzenden Gesichtern seiner Camp-Genossen, Freunde waren es, Freundinnen, sie alle, und Oliver, sein Oliver, die grünen Augen (die ihn sahen) und die kleine, gerade Nase (die er heute Abend spüren würde - diese Nase auf seiner), der schöne Mund (den er heute Abend ... ) - das war es, das alles, alles zusammen, gesteigert und angeheizt durch die Musik, als würde durch sie jedes Gefühl, jede Empfindung nochmals um eine Stufe verstärkt.
Für Tycho, den Ich-Erzähler, sind diese Gefühle ganz neu und darum total verwirrend. Edward van de Vendel schildert alle Stadien der sich entwickelnden Beziehung, von der ersten zaghaften Verliebtheit über die Gespräche der beiden Jungen, ihre langsam sich steigernde Zärtlichkeit und Erregung bis zum ersten Sex.
Ihre Münder fanden sich und ihre Zungen kreisten umeinander. Sie schmeckten Feuer und Wasser, Ebbe und Flut und Meer und Himmel. Sie rückten näher zusammen und beide klammerten ihre Hände um den verlängerten Rücken des anderen. Ab und zu hob der eine den anderen hoch, als wolle er ihn auf diese Art in sein Herz hieven. Und die Nacht fing an.
Ebenso direkt wie dezent beschreibt Edward van de Vendel diese homosexuelle Beziehung, spiegelt die Gefühle der Jungen in vibrierenden Dialogen und poetischen Bildern. Er lässt dabei offen, ob die beiden wohl für immer gleichgeschlechtliche Partner haben werden. Und er lässt auch offen, ob es ihm über die literarische Aufarbeitung eines immer noch problematischen Themas hinaus auch um Aufklärung geht. Vielleicht sogar darum, jungen Männern und Frauen Mut zu machen, sich zu ihrer Liebe zu bekennen.
Liebe ist das, was kompliziert ist und trotzdem gut tut
"Natürlich brauchen Menschen, die schwul oder lesbisch werden, da eine ganz besondere Stützung oder Stärkung. Auch eben, dass sie das Gefühl haben, ja, ich bin trotzdem richtig, und meine Gefühle sind nicht falsch, weil sie das gleiche Geschlecht betreffen. Insofern brauchen die da was!"
Doch nicht nur schwule und lesbische junge Leser brauchen Bücher, in denen ihre Probleme verhandelt werden. Jedem, der verliebt ist, tut es gut, festzustellen, dass andere Menschen, und seien es literarische Figuren, die eigenen Sehnsüchte oder Ängste teilen. Darum schreiben manche Autoren auch mit dem ganz klaren Ziel, ihre Leser ein wenig auf das vorzubereiten, was vor ihnen liegt. Wie Friedrich Ani.
"Das ist ja eine Wunschvorstellung von mir ... dass Jungs mein Buch lesen und versuchen, mit diesem Buch irgendwie durch die Liebe zu kommen. An die Liebe ranzukommen. Das wär toll! Insofern könnte dieses Buch auch ein Ratgeber sein."
Solch einen Ratgeber in Liebesdingen könnte auch die achtzehnjährige Fanny sehr gut brauchen, die Ich-Erzählerin in Katarina von Bredows Roman "Zum Glück allein". Ihr Freund Johan, wegen seines blendenden Aussehens und seiner Coolness von allen "Mr. Perfect" genannt, verhält sich seit Wochen irgendwie merkwürdig. Und dann er belügt sie sogar. Fanny wird misstrauisch. Sie zweifelt an seiner Treue und ihrer eigenen Liebe, ist hin- und her gerissen zwischen Wut und Schuldbewusstsein. Bis Johan ihr gesteht, dass er sie betrogen hat. Doch seine Ehrlichkeit macht alles noch viel schlimmer. Traurig ist Fanny, wütend, enttäuscht, eifersüchtig, verzweifelt. Und am schlimmsten: Sie weiß nicht mehr, was sie glauben soll, auch nicht, als Johan sich für sie entscheidet.
Ich sage mir immer wieder, dass er sich für mich entschieden hat. Wie ein Mantra. Er hat sich für mich entschieden. Er hat sich für mich entschieden. Mich liebt er. Mich. Sie bedeutet ihm nichts. Das hat er gesagt. Aber geht man wirklich so oft mit jemandem ins Bett, der einem nichts bedeutet? .. Das geht über meinen Horizont ... Andererseits fällt es mir gar nicht schwer, mir vorzustellen, dass ich Johan nicht genüge ... Er ist Mister Perfect. Und ich bin ich. Fanny Wallin. Mit dem Namen fängt es schon an ... There's nothing funny about Fanny.
Liebe ist das, was uns in Frage stellt
Selbstzweifel gibt es für Fanny auch im Verhältnis zu ihrer Mutter. Die trinkt seit der Trennung von Fannys Vater zu viel. Als die Situation eskaliert, weiß das junge Mädchen nicht, wieweit sie die Verantwortung übernehmen kann und muss - für sich und ihre Mutter. Katarina von Bredow packt ihre schwierigen Themen offensiv an. Anfangs einfühlsam, später immer drastischer schildert sie die Alkoholabhängigkeit der Mutter und Fannys Zerrissenheit zwischen Angst und Ekel, Liebe und Wut. Auch mit dem Thema Sex geht die Autorin sehr offen um, zum Beispiel, wenn Fanny sich in einer Mischung aus Traurigkeit und Selbstironie an ihren ersten Freund Marcus erinnert.
Wir waren nur elf Tage lang zusammen, an denen es die meiste Zeit darum ging, wann ich mich endlich trauen würde, mit ihm zu schlafen. Am Schluss gab ich nach, legte mich auf den Rücken und machte die Beine breit. Es hat irgendwie geschnalzt, als er in mich reinkam, ungefähr so, wie wenn ein Gummiband reißt. Danach hat es ein bisschen gebrannt und das Laken bekam ein paar Blutflecken ab. Traumatisch war es nicht unbedingt, aber auch nichts, wofür ich durch Feuer gehen würde, um es noch mal zu erleben. Markus war, glaube ich, auch nicht begeistert. Drei Tage später hat er mit mir Schluss gemacht.
Was sicher kein Verlust war für Fanny - außer dem Verlust einer schönen Illusion, die von fast allen Medien ja nach besten Kräften unterstützt wird. Behutsamkeit, Zärtlichkeit, ein erfüllter Orgasmus, und der, bitte schön, gleichzeitig - das sind die Bilder und Erwartungen, die Jugendliche aus Fernseh- und Videofilmen mitnehmen. Gut, dass Katarina von Bredow da ehrlich zeigt, dass es häufig anders ist: Sex ist für Fanny anfangs enttäuschend, später ist er sogar schlichtweg langweilig. Wird zur gemütlichen Gewohnheit in der Werbepause beim Fernsehen. Und danach verfällt Mr. Perfekt, auf der Couch in Tiefschlaf. Erst mit Finn erlebt Fanny eine erfüllte körperliche Liebe und ein kurzes, intensives Glück.
"Auf jeden Fall ist es ja so, dass man ganz viel üben muss. Auch die Art, miteinander umzugehen. Und das ist auf jeden Fall steigerungsfähig, insofern ist es auch schön, wenn man Zeit hat, sich kennen zu lernen und sich gegenseitig seine Bedürfnisse mitzuteilen. Und auch das Zusammensein aufeinander abzustimmen. Dann kann das noch viel schöner sein als am Anfang."
Das heißt, Liebe kann und muss sich entwickeln. Und Liebe fordert einen auch dazu heraus, sich selbst zu entwickeln. Simon muss Annalena "Auf Wiedersehen" sagen, weil sie mit ihren Eltern abreist. Mina entscheidet sich, Ysrael nicht sofort nach San Francisco zu folgen und erst noch einmal zu Hause zu bleiben. Tycho verlässt Oliver, weil er spürt, dass der ihn im Augenblick nicht braucht. Und Fanny kann ihre Liebe mit Finn nicht leben, weil der verheiratet ist. Alle müssen sie Entscheidungen treffen und wachsen damit ein Stück - werden er-wachsen. Und alle Beziehungen bleiben offen, ein Happyend findet in keinem dieser Bücher statt. Wie könnte es denn auch aussehen? Ein Happyend wäre zu schön, um wahr zu sein. Oder zu trivial. Wäre eben Film, nicht Wirklichkeit.
Die Tage waren schön. Die Sonne schien viel, und doch wurde es nicht heiß. Sie trugen T-Shirts und kurze Hosen, und ein leichter Wind sorgte dafür, dass sie nicht den ganzen Tag schweißnass herumliefen. Sie waren genauso viel im Haus wie hinten im Garten. Sie spielten und schmusten. Die Stunden auf der Uhr verschwanden ungezählt.
Wenn es auch kein Happyend gibt, so aber doch Augenblicke des vollkommenen Glücks. Für Tycho und Oliver, und auch für Mina und Ysrael.
Liebe ist das, was die Zeit stillstehen lässt
Ysrael suchte meinen Blick und sah nicht weg. Er holte tief Luft und hielt seine Augen auf mich geheftet. So verharrten wir. Eine Sekunde. Eine Minute. Ein ganzes Leben lang.
"Glück ist ja immer etwas sehr Flüchtiges. Aber zumindest, wenn man so ein Grundgefühl hat, ja, wir lieben uns gegenseitig, und wir gehören zusammen. Das ist ein schönes Gefühl. Von dem kann man dann auch gut ausgehen."
Liebe ist im Jugendbuch so vielfältig wie in der Wirklichkeit. So kindlich und so komisch, so lustvoll und so schmerzhaft, so berührend und so beglückend. Und sie berührt und beglückt auch den Leser. Was aber nicht heißen muss, dass er dadurch besser gewappnet wäre fürs Leben. Friedrich Ani ist da zumindest skeptisch.
"Ich hab die Erfahrung gemacht im Laufe meines nun schon viele Jahre anhaltenden Lebens, dass es nicht wahnsinnig viel nutzt, wenn man über die Liebe liest. Man muss die Liebe schon immer wieder selber erfinden. .. Ich glaube, wenn man wirklich verliebt ist, hat man sowieso keine Zeit, Bücher zu lesen."
Besprochene Bücher:
Friedrich Ani: Meine total wahren und überhaupt nicht peinlichen Memoiren,
Hanser Verlag, 122 Seiten, ab 10. 12,90 Euro.
Katarina von Bredow: Zum Glück allein,
Verlag Beltz & Gelberg, 178 Seiten, ab 14. 14,90 Euro.
An Na: Minas Lied,
Verlag Sauerländer, 188 Seiten, ab 13. 14,90 Euro.
Edward van de Vendel: Die Tage der Bluegrass Liebe,
Carlsen Verlag, ab 14. 12.- Euro.
Elisabeth Raffauf: Only for Girls. Alles über Liebe und Sex.
Verlag Beltz & Gelberg, 264 Seiten, ab 12. 12,90 Euro.