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Schaukeln aus heiterem Himmel

Technik. - Manche Seilbahnen können noch bei 50 Stundenkilometer Seitenwind Schifahrer auf schneesichere Alpengipfel transportieren. Wiener Techniker haben jetzt mit einem patentierten Mess-System nachgewiesen, dass es oft kleine Windgeschwindigkeiten sind, die eine Seilbahn und ihre Benutzer in Gefahr bringen können.

Von Franz Zeller |
    "Starke Windböen haben am Nachmittag die Seilbahn am Rettenbachferner in Tirol außer Betrieb gesetzt. 80 Schifahrer mussten mehrere Stunden in den Gondeln verbringen. Die meisten sind mittlerweile geborgen."

    Eine Nachricht vom November 2004. Eine "Potenzierung von Schwingungen", wie es später heißt, schlägt ein Steuerkabel weg und lässt eine leere Gondel abstürzen.

    "Durch die Sorgfalt des Betriebspersonals ist nichts passiert, weil man eben sehr vorsichtig agiert. Deshalb auch der Wunsch, genauere Kenntnisse zu haben, welche Schwingungen wirklich auftreten können unter gewissen Windbelastungen."

    Klaus Hoffmann vom Institut für Konstruktionswissenschaften und Technische Logistik an der TU Wien hat sich seinen Wunsch auch gleich erfüllt: mit einem Messsystem, das feine Windbelastungen und ihre Effekte an Seilbahnen misst. Und er hat dabei überraschende Entdeckungen gemacht. Hoffmann:

    "Wir haben bei diesen Untersuchungen festgestellt, und das ist auch vom Betriebspersonal schon beobachtet worden, dass es Situationen gibt, wo kein Wind geht, also bei Windstelle, wo die Bahn zum Schwingen anfängt. Und zwar fangen die Gondeln oder Sesseln in der Querrichtung zum Schwingen an, ohne ersichtliche Windeinwirkung."

    Es liegt also nicht nur an der Windstärke, ob eine Seilbahn gefährlich ins Pendeln kommt. Messbar werden diese Phänomene erst, seitdem Klaus Hoffmann und sein Team die Windbewegungen direkt an Sesseln und Gondeln zwei- beziehungsweise dreidimensional messen - mit Hilfe von Ultraschallsensoren, mechanischen Windmessern und Sensoren, die die Lage im Raum aufzeichnen. Standardmäßig sind auch auf den Liftstützen Windsensoren angebracht - sie sagen allerdings nichts über das Gesamtverhalten der Seilbahn aus. Wie die Techniker von der TU-Wien gemessen haben, trägt einerseits die Böigkeit, also der Wechsel in der Windstärke, zu Pendelphänomen bei, andererseits die Geländebeschaffenheit. Das Gelände erzeugt unter Umständen aus einem kleinen Lüfterl einen erheblichen Wirbel, der im besten Fall nur unangenehm ist für die Liftbenützer. Vor allem Gondeln in Zylinderform beginnen durch kleinste Verwirbelungen - selbst bei Windstille - unter Umständen heftig zu schaukeln. Hoffmann:

    "Das wurde auch vom Betriebspersonal schon festgestellt, bei 4er oder 6er-Sesselbahnen, bei denen Abdeckhauben, so genannte Bubbles, vorhanden sind. Und dort tritt das interessanterweise sehr häufig bei Rückwärtsfahrten auf, so dass die Strömungsgeschwindigkeit von der Rückseite auf diesen Sessel auftrifft."

    Selbst wenn ein leichter Wind in Richtung der Seilbahn weht, können Gondeln quer zur Fahrtrichtung auspendeln - immer mit der Gefahr, mit einer Liftstütze zu kollidieren. Auch hier sind feine Verwirbelungen die Auslöser für den plötzlichen Bewegungsdrang der Seilbahn. Hoffmann:

    "Eine interessante Geschichte ist auch, dass die normalen Fahrgeschwindigkeiten solcher Bahnen bei vier bis sechs Meter pro Sekunde liegen, während dieses Aufschaukeln, das wir durch Messungen schon dokumentiert haben, schon bei Fahrgeschwindigkeiten zwischen zwei und drei Meter pro Sekunde auftritt. Und das ist genau dieser Bereich, wo die Eigenfrequenz mit der Wirbelanregungsfrequenz übereinstimmt Also nicht, wie man erwarten würde, bei der vollen großen Geschwindigkeit, sondern eher bei kleineren Geschwindigkeiten."

    Im Windkanal kann man solche Phänomene übrigens nicht testen: realistische Schwingungs-Ergebnisse bekommt man nur, wenn Gondeln und Sesseln am langen Seil hängen. Vielleicht tragen gerade Mess-Systeme wie jenes von Klaus Hoffmann dazu bei, dass Seilbahnen zu den sichersten Transportmitteln der Welt gehören. An den meisten Unfällen sind die Passagiere selber schuld - sie verletzen sich beim Ein- und Aussteigen. Laut Statistik muss man eine Seilbahn immerhin 1,6 Millionen Mal benutzen, um einen Unfall zu erleiden. Hoffmann:

    "Also ich möchte dazu nur sagen, dass nicht nur aufgrund der neuen europäischen Sicherheitsnormen das Sicherheitsniveau von Seilbahnen extrem hoch ist - das Sicherste wäre die Weltraumfahrt - und gleich danach kommen die Seilbahnen."