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Schaukeln zu Klängen von Bachs Wohltemperiertem Klavier

Der Schriftsteller Gerd Fuchs, Jahrgang 1932, ist bekannt für seine gesellschaftskritischen Romane; selbst wenn sie in historischem Gewand daherkommen, werfen sie immer auch ein Licht auf gegenwärtige Verhältnisse.

Vorgestellt von Sabine Peters | 06.05.2010
    Soeben ist sein neues Buch mit dem Titel "Heimwege" erschienen; hier erzählt der Autor ganz persönlich von Stationen seines eigenen Werdegangs.

    Jahrgang 1932: Die Generation von Gerd Fuchs hatte den Nationalsozialismus gewissermaßen mit der Muttermilch aufgesogen; man darf sich vorstellen, dass etwa ein Hitlerbild an der Wand zu den ersten selbstverständlichen Eindrücken für die Kinder gehörte. Gerd Fuchs erinnert sich, wie er als kleiner Junge im Bett seines Vaters auf dessen Kopfkissen stand und "in Zungen" redete, in einer selbst erfundenen Sprache: Er imitierte seinen Vater, der für die Nazis agitierte. Vielleicht ahmte das Kind aber auch gleich die Reden Hitlers nach, dessen Gebrüll im Radio es ja mitbekam.

    Daneben gibt es in diesem Buch natürlich gibt es auch Erinnerungen, die sich nicht am politischen Zeitgeschehen festmachen lassen. Da wird der kleine Junge im Stall auf einen Ackergaul gehoben, und dann heißt es: Er sitzt auf diesem wunderbar duftenden Muskelberg, ehrfürchtig und etwas besorgt - bis er wieder herabgehoben wird.

    Es sind oft kleine Episoden, die Gerd Fuchs schildert, und es liegt in der Natur der Sache, dass gerade die Kindheits- und Jugenderinnerungen so intensiv, besonders hell oder besonders düster leuchtend ausfallen: Denn die Kindheits- und Jugendzeit, das ist die Zeit des staunenden, unvorbereiteten Erlebens. 1949, der Besuch des pubertierenden Schülers Fuchs bei einer etwas älteren Cousine: Sie spießt ihn mit ihrem Blick auf, sie verwirrt ihn mit ihrem Zwitschern und Kichern, sodass er nicht mehr weiß, wohin mit sich und seiner Erregung.

    Eine Erinnerung setzt in diesem Buch die nächste frei. Es gibt eine lose Chronologie, aber der Leser wird nicht an der kurzen Leine durch ein Leben geführt. "Große" Ereignisse wie der Krieg und die Bombardierung stehen gleichwertig neben kleinen, der Freude etwa, mit der Schwester an einem Bach zu spielen. Auch das Heilige und das Profane liegen nicht weit auseinander: Eben erst hat die intensive Wahrnehmung eines weiß schäumenden Schlehenbuschs den Halbwüchsigen erotisiert; sie hat in ihm den Wunsch geweckt, Wörter für das als schön Empfundene zu finden – er beschließt, Schriftsteller, also ein Schöpfer zu werden. Praktisch im gleichen Moment erfolgt sein nächster feierlicher Entschluss: Er wird sich eine dieser schicken Badehosen kaufen, die er in einer zerfledderten Illustrierten sah, die neben dem Schlehenbusch lag.

    Schlaglichtartig geht es weiter: Der Student Gerd Fuchs fühlt sich als "möblierter Herr" teilweise so einsam, dass es ihn kurzfristig in die Arme einer Burschenschaft treibt. Er ist zwar bald irritiert über die pornografischen Gesänge und über den Kadavergehorsam der Jüngeren gegenüber den Älteren. Aber Fuchs war offensichtlich auch fasziniert vom Mensuren-Schlagen. Als angehender Schriftsteller liest er vor der Gruppe 47, und der Kommentar in seinem Buch zeigt, freundlich gesagt, dass die Rivalitäten unter den Autoren lange Schatten werfen. Da heißt es dann, einige seiner Kritiker hätten ihrerseits später entsetzliche Schreibergebnisse geliefert - er selbst indessen habe seinerzeit etwas gewagt. Solch ein Satz wiegt allerdings nicht schwer, weil er eingebettet ist in den Selbstzweifel. Und andere Autoren, man denke nur an Martin Walser und seinen Roman "Tod eines Kritikers", arbeiten sich sehr viel mordlustiger an ihren Konkurrenten und Kritikern ab.

    Noch einmal: Es sind weniger die großen Ereignisse und die bekannten Namen, die dieses Buch lesenswert machen, als das, was scheinbar nebensächlich ist. Die Erwähnung, mit Ulrike Meinhof auf einer Party gewesen zu sein, liest man achselzuckend – was heißt das für den Autor? Was sagt das mehr, als dass auch Meinhofs Leben nicht lediglich in ihrer Zeit bei der RAF bestand? Unter Gerd Fuchs selbst kann man sich allerdings gut etwas vorstellen, wenn einmal beiläufig gesagt wird: Noch als längst gestandener Autor habe er davon geträumt, auf dem Dachboden seines Hauses eine Schaukel anzubringen, auf der er dann zu den Klängen von Bachs Wohltemperiertem Klavier durch die Luft schwingen würde.

    Das Buch "Heimwege" legt es nicht darauf an, ein schlüssiges Selbstporträt zu entwerfen, wonach sich die Laufbahn als Schriftsteller oder die Wendung zur DKP sowie der Austritt aus dieser Partei folgerichtig erklären. Man ist dem Autor dafür dankbar: Hier wird nicht aus dem Rückblick alles besser gewusst. In den essayistischen Passagen, die unter anderem Eindrücke von Soldatenfriedhöfen mit den Toten des Ersten Weltkriegs reflektieren, zeigt sich zwar, dass es so etwas wie politisches Lernen gibt. Dieses Lernen endet aber nicht mit unumstößlichen Gewissheiten - und es schließt Gefühle nicht aus, das heißt, Fuchs harmonisiert die Widersprüche nicht.

    Zustände, Orte und Landschaften werden in den "Heimwegen" atmosphärisch dicht beschrieben, und die Skizzen von Freundinnen und Freunden vermitteln in aller Behutsamkeit doch ein Bild von diesen Weggefährten aus unterschiedlichen Lebensphasen. Das Buch endet etwa mit der Wendezeit; und man kann sich nur wünschen, dass Gerd Fuchs, wenn er nicht wieder an einem Roman arbeitet, auch mit den persönlichen Erinnerungen weiter macht.

    Gerd Fuchs: "Heimwege". Nautilus-Verlag, 256 Seiten, 19,90