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Schauspiel im relativen Frieden

Auf dem Festival Theater Exposure wird präsentiert, was die Bühnen Israels an Stücken, Stilen und Themen zu bieten haben. Das internationale Publikum konnte unter anderem eine Renaissancekomödie von Niccolò Machiavelli, offensiv unpolitisches Theater von Yael Rasooly oder eine dadaeske Naziparodie sehen.

Von Christian Gampert |
    Den Paukenschlag gab’s gleich zu Beginn des Festivals: "La Mandragola" am Beit Lessin Theatre in Tel Aviv ist eine so unverschämt auf Pointe und Entertainment getrimmte Renaissancekomödie von Niccolò Machiavelli, der ja eigentlich für ganz Anderes bekannt ist, dass dem auswärtigen Zuschauer die Spucke wegbleibt. Ein ältlicher reicher Gatte vermag mit seiner begehrenswert jungen Frau kein Kind zu zeugen, und der hinzugezogene Kurpfuscher empfiehlt einen Zaubertrank, "La Mandragola". Schwanger wird die Gattin freilich von ihrem Liebhaber, und auch die bigotte katholische Kirche mischt kräftig mit. Während man sich auf der Bühne mit Tanz- und Gesangsnummern durch das Stück frozzelt und den Katholizismus veralbert, herrscht im eher jugendlich besetzten Zuschauerraum eine Stimmung wie beim Fußball. Das muss man erstmal hinkriegen.

    Vor allem aber hat diese Satire auf die Medici überhaupt nichts mit Israel zu tun, das politisch auf der Stelle tritt, sich derzeit aber militärisch in relativer Sicherheit wähnt. Auch einige der theatralisch perfektesten freien Produktionen sind ganz offensiv unpolitisch und eskapistisch, zum Beispiel die tolle Solonummer "Paper Cut" von Yael Rasooly über eine schräge Sekretärin, die sich singend in ein erotisches Universum aus Hollywood-Filmen träumt, oder das virtuose Clowntrio Ish mit seinem "Odysseus Chaoticus". Andererseits verliert sich gerade die freie Szene noch sehr oft in merkwürdigem Puppentheater oder computergestützten Exkursen zur israelischen Geschichte, die die etablierten Theater mit ihren besucherfreundlichen Well-Made-Plays oft besser erzählen, sagt der Theaterwissenschaftler Gad Kaynar.

    "Von den theatralischen Erzählweisen gibt es hier eine Kluft zwischen dem gut gebauten Stück, das ist eine Tradition im israelischen Theater, die angelsächsische Tradition, und dem Beginn des postdramatischen Theaters. Das ist noch in den Anfängen, aber das spüren wir schon."

    Wer mit der Theatre Exposure quer durch Tel Aviv und manchmal auch quer durchs ganze Land reiste, der setzte sich auch diesmal den widersprüchlichsten Erfahrungen aus. In Israel ist man beunruhigt über die arabischen Revolutionen, deren Richtung unklar ist; man ist aber auch beschämt über die desolate Lage der Palästinenser, für die zumindest die Linke sich verantwortlich fühlt. All das führt auf der Bühne auch zu radikaler Selbstkritik mit ästhetisch meist nicht gerade avantgardistischen Mitteln.

    "Thematisch würde ich sagen gibt es hier eine große Diskrepanz zwischen dem kommerziellen Theater, weil leider Gottes die Subventionen sehr sehr niedrig sind, und deshalb müssen die Theater auch für das große Publikum spielen. Und einer Auseinandersetzung, wie man auch in diesem Festival sehen kann, mit den moralischen Aspekten der politischen Lage. Und es wird immer heftiger, und das Theater bildet eine Opposition, sagen wir, zu der Regierungspolitik."

    Am Stadttheater in Haifa etwa sind gleich zwei sehr gelungene Arbeiten zu sehen: unter dem Titel "Flufenbach und Zufenheim" eine dadaeske Naziparodie, die mit einem verballhornten Esperanto-Deutsch arbeitet und die Rituale von SA und HJ an die Rituale israelischer Organisationen anschließt. Das ist schon starker Tobak, aber eben auch szenisch schön ausagierter Nonsense. Ganz anders dann Gilad Evrons "Ulysses on Bottles", von Ofira Hennig eher still in Szene gesetzt: Ein verrückter Peacenik versucht, auf einem Teppich von Plastikflaschen durch das Meer nach Gaza zu schwimmen, um die dortige, von der Hamas in Unmündigkeit gehaltene Bevölkerung in russischer Literatur zu unterrichten. Der weltfremde politische Utopist, der im Gefängnis sitzt, wird mit einer israelischen Oberschicht aus Anwälten und Wohlstandsgattinnen konfrontiert, wobei Letztere deutlich den Kürzeren ziehen – allerdings ist der von Itcho Avital grandios gespielte Anwalt eine wunderbar gebrochene Figur.

    Das Khan-Theater in Jerusalem ("Eating" von Yaakov Shabtai) zoomt biblische Geschichte sehr pädagogisch auf den Nahostkonflikt herunter, das Gesher-Theater in Jaffa ("Pigeon and a Boy" von Meir Shalev) macht Kunstgewerbe mit einer Love-Story aus dem Befreiungskrieg, und "Samira", eine freie Produktion mit der israelischen Starschauspielerin Anat Barzilay, erkundet das Seelenleben einer Selbstmordattentäterin. Dieses kleine Stück, von Elinor Agam unaufwendig inszeniert, versucht immerhin, die Perspektive des politischen Gegners einzunehmen – eine Haltung, die im kriegsmüden Israel immer mehr aus der Mode kommt. Die Bevölkerungsmehrheit hat einfach genug von diesem ewigwährenden Konflikt