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Schauspiel Köln
Kafka mit Puppen

Das Schauspiel Köln zeigt "Amerika" von Franz Kafka, gespielt von Puppen. Regisseur Moritz Sostman, gelernter Puppenspieler, gelingt damit ein unterhaltsamer, gelungener Abend zwischen Schau- und Puppenspiel und Groteske.

Von Christiane Enkeler |
    Ein roter Samtvorhang über einem breiten Podest. Vorn ein antiquiert wirkendes Mikrofon. Dann betritt ein Mann die Bühne und spricht Play-back.
    "Das große Theater von Oklahoma ruft euch. Es ruft nur heute, nur einmal. Wer jetzt die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für immer. Verflucht sei, wer uns nicht glaubt!"
    Hinter ihm erscheint eine Hand im Vorhangspalt, die im Takt der Schritte auf ein Mikrofon klopft. Aha! Da ist also jemand, der das Ganze lenkt!
    Hinter dieser Hand schält sich der ganze nächste Mensch auf die Bühne:
    "Das große Theater von Oklahoma ruft euch. Es ruft nur heute, nur einmal. "
    Das große Theater von Oklahoma ruft ziemlich oft „nur einmal“...
    Schließlich kommt ein Dritter.
    "Verflucht sei, wer uns nicht glaubt."
    Dann fällt der Vorhang mit einem Dampfertuten, und dahinter ist erst mal: nichts. Aber außen am Bühnenrand sitzt Karl Roßmann, die 16-jährige Hauptfigur aus Kafkas Fragment gebliebenem Roman: „Amerika“. Karl ist in Amerika angekommen. Im Hintergrund zeigt das ins Bühnenbild integrierte Video von Hannes Hesse die Freiheitsstatue. Sie erscheint riesig. Die Kamerafahrt von oben nach unten beginnt bei einem hoch aufgereckten Schwert statt der tatsächlichen Fackel. Karl dagegen ist eine etwa zwei Ellen hohe Handpuppe, zart gestaltet von Hagen Tilp.
    "Der Senator legte die rechte Hand unter Karls Kinn, hielt ihn fest an sich gepresst und streichelte ihn mit der linken Hand."
    Die Hände und Füße der Puppe bewegen die vier Darsteller per Handanlegen.
    Den Kopf und damit den Blick von Karl lenkt jeweils eine Schauspielerhand innerhalb des Puppenschädels.
    "Karl fasste den Onkel, mit dessen Knien die seinen sich fast berührten, genauer ins Auge. Und es kamen ihm Zweifel, ob dieser Mann ihm jemals werde den Heizer ersetzen können."
    Der Kölner Hausregisseur Moritz Sostmann, ein gelernter Puppenspieler, macht Karl so zum Inbegriff des menschlichen In-die-Welt-geworfen-Seins. Es hat etwas Rührendes, wenn dieser Karl distanziert erstaunt die Regungen zu betrachten scheint, die seinen puppenhaften Körper bewegen. Wenn er sich behaupten will gegen eine Welt, deren tieferer Sinn ihm verschlossen bleibt. Die Filme und Projektionen im Hintergrund zeigen Straßenszenen und Pläne von Städten und Bauten und Maschinen, ein komplexes glühendes Gewerk in ständiger Bewegung. In großer Bewegung auch die vier Darsteller in bester Grotesken-Spiellaune.
    Bruno Cathomas ist der Heizer und die Oberköchin, die Karl nach dem Rausschmiss bei seinem Onkel im Hotel aufnimmt, und schließlich auch die dicke Opernsängerin, die seine beiden zweifelhaften Kumpane aushält. Er spielt sie puppenhaft, lässt den Heizer tumb aus dem Bühnenboden brechen oder die Oberköchin sich unablässig drehen und die Arme dabei schwenken. Manchmal wird das ein bisschen zu viel und Klamauk, aber das Gleichgewicht zwischen Kunstfigur und Wiedererkennungswert solcher Personentypen hält er dabei ganz faszinierend.
    Am Ende schließt das Naturtheater von Oklahoma seinen Vorhang. Was bei Kafka eine Episode ist, ist bei Sostmann und seiner Dramaturgin Sibylle Dudek zum sinnfälligen Rahmen geworden. Denn nun geht die Vorstellung erst recht los:
    Im raschen Wechsel treten Figuren aus unterschiedlichsten Epochen und Stilen vor den Vorhang und spielen chargenhaft mit einer noch kleineren Karl-Roßmann-Puppe, die keine Hand als Rückgrat mehr stützt. Amerika ist überall, und die ganze Welt ist eine Bühne.
    Man kann das banal finden. Es ist aber auch einfach ein unterhaltsamer, gelungener Abend zwischen Schau- und Puppenspiel und Groteske.