In Düsseldorf hat das Forum Freies Theater (FFT) zwei Spielstätten, die Kammerspiele und das Juta, das ehemalige Junge Theater in der Altstadt. Aber wenn man ein Ticket kauft, heißt das nicht unbedingt, dass man eine davon wirklich so richtig von innen sieht.
"Vom richtigen Leben" beispielsweise war eine Art Schnitzeljagd, bei der man zu zweit jemanden in seiner Wohnung besucht hat, im Parkhaus in ein Auto gestiegen ist oder sich plötzlich in einem Entlassungsgespräch wiederfand. Es ging um die Arbeitswelt, von "matthaei & konsorten" erforscht auf ethnologische Weise - viel zu dicht, um nichts an sich ranzulassen: kein Aufwühlen, keine Belehrungen, eher ein Darstellen, das einen tieferen Blick ermöglicht als den alltäglichen.
Das Projekt "Eure gefährlichen Orte" entstand in Zusammenarbeit mit einer Gesamthauptschule in Oberbilk - und in diesen Stadtteil wurde das Publikum geführt: Street-Basketball, Prüfungsaufgaben und eine Führung durch die Jugendberufshilfe inklusive.
Das kommt einem nicht immer wie Kunst vor, aber was, bitte, versteht man unter "Kunst"? Es ist kein erhebendes Gefühl, mit dem man die "Inszenierung" verlässt, aber ein neues: Wir haben eine Expedition in Lebensmöglichkeiten und Lebenswelten unternommen, die sich direkt um uns herum abspielen, in Entscheidungen oder Zwänge, die anders sein können als das, was wir für selbstverständlich halten, und trotzdem nicht so weit von uns entfernt sind. Die Verschiebung macht nachdenklich, aber auf eine spielerische Art und Weise, ohne belehrenden Zeigefinger.
Es ist diese Wahrnehmungsverschiebung, die den Reiz eines quasi-dokumentarischen Theaters ausmacht, wie es etwa auch die Gruppe "Rimini Protokoll" vertritt. Auch die niederländische Gruppe "Space" spielt mit der Gleichzeitigkeit von Realität und Abbildung, von Leben und Inszenierung – und dem sich daraus ergebenden Verfremdungseffekt. "Heimat – The Place Where We Belong" erzählt die Geschichte einer "Migrantin" aus Ungarn, die nach 17 Jahren ihr Leben im Gastland in Frage zu stellen beginnt. In Düsseldorf blickt das Publikum durch die großen Scheiben des Medienzentrums Rheinland auf den Bertha-von-Suttner-Platz, wo Beáta Nagy als "Migrantin" ein großes Port-Mikrofon trägt und mit den Zuschauern und dem "Deutschen Ehemann" verbunden ist. Ihn kann sie um Rat fragen, er dirigiert sie auch von oben. Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Passanten auf sie einlassen, und selbst aus der Höhe heraus baut sich eine große Nähe auf. Über Kopfhörer hört man Klaviermusik und ihre Erinnerungen an, ihre Überlegungen zu dem Prozess, als Ungarin in Deutschland leben zu wollen: Bemühung, Belustigung, Befremden, Zweifel.
Zu welchem Zweck die Fernseher im Medienzentrum auch noch Bilder übertragen, kann man sich allerdings schon fragen: Lieber sieht man entspannt aus dem Fenster und trainiert wie nebenher eine tiefere Reflexion des Alltag-Erlebens.
Am FFT finden Experimente statt, die durchaus auch mal nicht perfekt ausgehen können: Vielleicht dauert eine der Stadttouren länger, vielleicht verläuft man sich und muss die Telefonnummer anrufen, die man seit Beginn mit sich trägt, vielleicht wirkt ein Tanztheaterstück etwas unausgegoren.
Für Kathrin Tiedemann, seit August 2004 künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des FFT, ist das Theater "ein öffentlicher Ort, der durch die an ihm Beteiligten genau dann entsteht, wenn ein Problem gemeinsam dargestellt wird". Und trotz der Koproduktionen und des Gastbetriebes kann man sagen, dass es genau das ist, was das FFT ausmacht: Es ist ein "vernünftiges", erforschendes Theater, das sich spielerischer Mittel bedient. Es macht Angebote, greift in die Wahrnehmung ein und erweitert den Horizont emotional und intellektuell gleichzeitig - und das mit großer Leichtigkeit.
Die zeichnet auch zwei Arbeiten des belgischen Choreografen Ives Thuwis aus, die das FFT produziert hat. Tanztheater, das in den besten Momenten wie scheinbar hingeworfen wirkt. Herausragend war die Produktion "adieu" mit Düsseldorfer Jugendlichen. Selten ist auf dem Theater leichthändiger über Tod und Abschied reflektiert worden, in einem Stück voller Tiefe, kraftvoller oder leiser Schönheit und Humor. Viele kleine Geschichten spielen sich gleichzeitig ab, dann wieder tanzen sie in der Gruppe, finden sich und sprengen auseinander, tun so, als gäbe es kleine Pannen oder Missverständnisse - sehr geschickt - und tanzen somit eigentlich zwei Ebenen gleichzeitig. In "adieu" kommt man sich nicht vor, als sähe man Laien zu – das Stück hat völlig zu Recht den Preis der Jugendjury beim NRW-Festival "Theaterzwang 2006" erhalten.
"Vom richtigen Leben" beispielsweise war eine Art Schnitzeljagd, bei der man zu zweit jemanden in seiner Wohnung besucht hat, im Parkhaus in ein Auto gestiegen ist oder sich plötzlich in einem Entlassungsgespräch wiederfand. Es ging um die Arbeitswelt, von "matthaei & konsorten" erforscht auf ethnologische Weise - viel zu dicht, um nichts an sich ranzulassen: kein Aufwühlen, keine Belehrungen, eher ein Darstellen, das einen tieferen Blick ermöglicht als den alltäglichen.
Das Projekt "Eure gefährlichen Orte" entstand in Zusammenarbeit mit einer Gesamthauptschule in Oberbilk - und in diesen Stadtteil wurde das Publikum geführt: Street-Basketball, Prüfungsaufgaben und eine Führung durch die Jugendberufshilfe inklusive.
Das kommt einem nicht immer wie Kunst vor, aber was, bitte, versteht man unter "Kunst"? Es ist kein erhebendes Gefühl, mit dem man die "Inszenierung" verlässt, aber ein neues: Wir haben eine Expedition in Lebensmöglichkeiten und Lebenswelten unternommen, die sich direkt um uns herum abspielen, in Entscheidungen oder Zwänge, die anders sein können als das, was wir für selbstverständlich halten, und trotzdem nicht so weit von uns entfernt sind. Die Verschiebung macht nachdenklich, aber auf eine spielerische Art und Weise, ohne belehrenden Zeigefinger.
Es ist diese Wahrnehmungsverschiebung, die den Reiz eines quasi-dokumentarischen Theaters ausmacht, wie es etwa auch die Gruppe "Rimini Protokoll" vertritt. Auch die niederländische Gruppe "Space" spielt mit der Gleichzeitigkeit von Realität und Abbildung, von Leben und Inszenierung – und dem sich daraus ergebenden Verfremdungseffekt. "Heimat – The Place Where We Belong" erzählt die Geschichte einer "Migrantin" aus Ungarn, die nach 17 Jahren ihr Leben im Gastland in Frage zu stellen beginnt. In Düsseldorf blickt das Publikum durch die großen Scheiben des Medienzentrums Rheinland auf den Bertha-von-Suttner-Platz, wo Beáta Nagy als "Migrantin" ein großes Port-Mikrofon trägt und mit den Zuschauern und dem "Deutschen Ehemann" verbunden ist. Ihn kann sie um Rat fragen, er dirigiert sie auch von oben. Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Passanten auf sie einlassen, und selbst aus der Höhe heraus baut sich eine große Nähe auf. Über Kopfhörer hört man Klaviermusik und ihre Erinnerungen an, ihre Überlegungen zu dem Prozess, als Ungarin in Deutschland leben zu wollen: Bemühung, Belustigung, Befremden, Zweifel.
Zu welchem Zweck die Fernseher im Medienzentrum auch noch Bilder übertragen, kann man sich allerdings schon fragen: Lieber sieht man entspannt aus dem Fenster und trainiert wie nebenher eine tiefere Reflexion des Alltag-Erlebens.
Am FFT finden Experimente statt, die durchaus auch mal nicht perfekt ausgehen können: Vielleicht dauert eine der Stadttouren länger, vielleicht verläuft man sich und muss die Telefonnummer anrufen, die man seit Beginn mit sich trägt, vielleicht wirkt ein Tanztheaterstück etwas unausgegoren.
Für Kathrin Tiedemann, seit August 2004 künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des FFT, ist das Theater "ein öffentlicher Ort, der durch die an ihm Beteiligten genau dann entsteht, wenn ein Problem gemeinsam dargestellt wird". Und trotz der Koproduktionen und des Gastbetriebes kann man sagen, dass es genau das ist, was das FFT ausmacht: Es ist ein "vernünftiges", erforschendes Theater, das sich spielerischer Mittel bedient. Es macht Angebote, greift in die Wahrnehmung ein und erweitert den Horizont emotional und intellektuell gleichzeitig - und das mit großer Leichtigkeit.
Die zeichnet auch zwei Arbeiten des belgischen Choreografen Ives Thuwis aus, die das FFT produziert hat. Tanztheater, das in den besten Momenten wie scheinbar hingeworfen wirkt. Herausragend war die Produktion "adieu" mit Düsseldorfer Jugendlichen. Selten ist auf dem Theater leichthändiger über Tod und Abschied reflektiert worden, in einem Stück voller Tiefe, kraftvoller oder leiser Schönheit und Humor. Viele kleine Geschichten spielen sich gleichzeitig ab, dann wieder tanzen sie in der Gruppe, finden sich und sprengen auseinander, tun so, als gäbe es kleine Pannen oder Missverständnisse - sehr geschickt - und tanzen somit eigentlich zwei Ebenen gleichzeitig. In "adieu" kommt man sich nicht vor, als sähe man Laien zu – das Stück hat völlig zu Recht den Preis der Jugendjury beim NRW-Festival "Theaterzwang 2006" erhalten.