Maja Ellmenreich: Aber erst einmal geht es um wenig Geld, Abend-, Nacht- und Wochenendschichten, unsichere Arbeitsverträge und obendrauf noch Konkurrenzdruck unter den Kollegen. Kein Wunder, dass die abgedroschene Warnung "Kind, mach Dich und mich nicht unglücklich" noch immer zu hören ist, wenn besagtes Kind seinen Herzenswunsch äußert, nämlich Schauspielerin beziehungsweise Schauspieler werden zu wollen. Und tatsächlich entpuppt sich für so manchen der Traumberuf zum Albtraum. Immer mehr arbeiten für das wenige Geld und nicht wissen, ob der Vertrag verlängert wird beziehungsweise woher das nächste Engagement überhaupt kommen soll.Für bessere Arbeitsbedingungen und fairere Entlohnung auch von Dramaturgen und Regieassistenten setzt sich seit einem Jahr das "Ensemble-Netzwerk" ein. Heute beginnt in Bonn die erste bundesweite Ensemble-Versammlung und mit von der Partie ist Lisa Jopt. Sie ist Mitbegründerin des "Ensemble-Netzwerk" und Schauspielerin am Oldenburgischen Staatstheater. - Frau Jopt, dass Sie keine Gewerkschaft gegründet haben, das haben Sie von Anfang an ganz deutlich gemacht. Was ist denn dann das "Ensemble-Netzwerk", ein Think Tank oder eine Selbsthilfegruppe?
Lisa Jopt: Das "Ensemble-Netzwerk" ist eine Bewegung und unser Interesse ist eigentlich, die aktuelle Mentalität zu verändern, also die Mentalität, die sich bei verschiedenen Institutionen und Theaterschaffenden breitgemacht hat. Die einen haben viel Angst, die anderen möchten nicht am Stuhl gesägt bekommen, die nächsten sagen, aber wir engagieren uns doch schon, ihr müsst in die Gewerkschaft eintreten, dann wird ja alles besser, dass immer so die Schuld hin und hergeschoben wird. Wir sind eine Bewegung, die da für Rückgrat sorgt, für Mündigkeit, für Mut, für Transparenz und vor allem - mein Lieblingswort in letzter Zeit - lösungsorientiert. Es nützt uns nichts, wenn wir immer nach hinten gucken, wer ist irgendwie schuld an der Misere, sondern wenn wir nach vorne gucken, wie können wir es denn jetzt lösen: Was sind die Bedürfnisse der Schauspielerinnen und Schauspieler, weil danach hat bisher eigentlich keiner gefragt. Die Schauspielerinnen und Schauspieler haben es auch nicht gesagt. Die haben immer nur in den Kantinen gesessen und gemosert und gemosert. Ja, und darüber möchten wir jetzt in Bonn mal sprechen.
"Die Gewerkschaft hat die Künstler verloren"
Ellmenreich: Und wer ist schuld an der Misere und wer kann was ändern?
Jopt: Kombination aus verschiedenen Sachen. Zum einen ist es eine Gewerkschaft, die die Künstler verloren hat, Künstler, die sich da nicht vertreten fühlen. Es ist der Bühnenverein, der in den letzten Jahren nicht dafür gesorgt hat, dass sich die soziale Lage der Künstler verbessert. Und es sind die Schauspieler, die bisher nicht den Mumm in den Knochen hatten, sich zu formulieren und aufzustehen und sich zu zeigen, und zwar in einer charmanten Art und Weise und nicht mit einem Beschwerdeton oder mit dem Gestus "der sich engagiert, der hat seine Karriere wohl einfach nicht geschafft, deswegen ist er so frustriert und kann sich engagieren". Denn hier in Bonn geht es mitnichten um die prekären Arbeitsverhältnisse in der Provinz, sondern darum, was wir alle gemeinsam an verschiedenen, aber auch an gleichen Nennern haben.
Ellmenreich: Sie glauben daran, mit Charme in der Stimme nur bitten und plädieren zu müssen und dann wird sich was ändern?
Jopt: Bitten und plädieren? - Nein! Aufklären, zeigen, vermitteln - das ist es, glaube ich. Meine Erfahrung ist: Wenn man Intendanten, vor denen meistens Schauspieler sehr großen Respekt haben, auch Regisseure, wenn man die an die Hand nimmt und sagt, ich will das gar nicht kritisieren, lasst uns doch gucken, wie wir es gemeinsam verbessern können, dass das wirklich Wunder wirkt, wenn starke Fronten sich verhärten.
Ellmenreich: Das ganze Drumherum ist ja klar. Die öffentlichen Haushalte haben weniger Geld. Das erhöht dann in vielfältiger Hinsicht den Druck auf die Kulturinstitutionen und dieser Druck wird weitergereicht, bis es das künstlerische Personal, in Ihrem Fall also die Schauspieler erreicht.
Jopt: Richtig!
"Es gibt viele unwissende Kulturpolitiker"
Ellmenreich: Was für eine konkrete Lösung haben Sie denn für das Problem? Die öffentlichen Haushalte werden Sie wahrscheinlich auch mit Charme nicht dazu bewegen, dass sie voller sind und dass das Geld fließt.
Jopt: Die öffentlichen Haushalte werden ja von Menschen geregelt, die entweder sich für Kultur interessieren, oder die es nicht tun. Hier in Bonn wird eine Aktion, über die ich leider noch nicht sprechen kann, geplant, die damit zu tun hat, dass sich die Bühnenkünstler an die Politiker wenden. Denn es gibt viele unwissende Kulturpolitiker, die schnell das Streichen beim Theater machen, weil es da am einfachsten ist, was natürlich irre ist, wenn wir uns überlegen, dass die deutsche Theaterlandschaft auf der Liste fürs immaterielle Kulturerbe und so steht.
Ellmenreich: Und Sie, Frau Jopt, Sie sind seit zwei Jahren festes Ensemble-Mitglied am Oldenburgischen Staatstheater, und dort, so sagen Sie, werden die Schauspieler sehr ernst genommen. Was kann man von Oldenburg lernen?
Jopt: Man kann lernen, dass man hochwertige, arbeitsintensive, leidenschaftliche Produktionen auf die Bühne kriegt, die auch ohne sechs Mal am Samstag Proben auskommen, sondern nur mit zweimal am Samstag Proben. Man kann lernen, dass man als Leitung ein angenehmeres Klima hat, wenn man seine Schauspieler fragt, ob die mal bei einem Liederabend mitmachen wollen oder nicht. Man kann lernen, dass Drehtage nach Möglichkeit immer versucht werden, eingerichtet zu werden für die Schauspieler, weil da verdient man auf jeden Fall mehr Geld und der eine oder andere interessiert sich auch einfach sehr fürs Drehen. Man kann eigentlich lernen, wie man leiten kann mit flachen Hierarchien.
Ellmenreich: Lisa Jopt vom "Ensemble-Netzwerk". Vielen Dank! - Bis Sonntag findet in Bonn die erste bundesweite Ensemble-Versammlung statt.
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