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Scheidung auf Raten

Seit rund 300 Jahren gehört Grönland zu Dänemark, doch an diesem Wochenende gewinnt die größte Insel der Welt ein großes Stück Selbstständigkeit zurück. Abgesehen von der Außen- und Sicherheitspolitik können die Grönländer künftig nahezu jeden Verwaltungsbereich von Kopenhagen übernehmen. Die Grönländer werden als eigenes Volk anerkennt, dürfen über die Ressourcen und Bodenschätze im Lande und vor den Küsten selbst verfügen, und Grönländisch wird offizielle Landsprache.

Von Marc-Christoph Wagner | 19.06.2009
    Das Büro des grönländischen Regierungschefs ist noch kahl. Erst vor einer Woche wurden Kuupik Kleist die Regierungsgeschäfte übertragen. Am 2. Juni hatten er und seine linkssozialistische Partei die vorgezogenen Parlamentswahlen mit mehr als 40 Prozent der Stimmen gewonnen. Nun, wenige Tage danach, soll der neue Regierungschef ein neues Kapitel im Verhältnis zu Dänemark aufschlagen:

    "Es ist eine neue Beziehung. Sie ist sehr viel gleichberechtigter. Jetzt ist es nicht mehr alleine die Frau, die daheim alles bestimmt. Nun hat auch der Mann ein Wörtchen mitzureden. Ich denke, alles in allem tut die Selbstverwaltung dem Verhältnis zwischen Grönland und Dänemark sehr gut."

    Auch Kleist ist klar: Noch ist Grönland auf Kopenhagen angewiesen. Knapp 500 Millionen Euro, etwa die Hälfte des grönländischen Haushalts, überweist die dänische Regierung pro Jahr nach Nuuk. Die sozialen Probleme innerhalb der Gesellschaft sind enorm.

    Nur wenn massiv etwa in den Bildungsbereich investiert wird, können die knapp 60.000 Grönländer hoffen, die zentralen Stellungen innerhalb ihrer eigenen Gesellschaft zu besetzen, die heute immer noch vor allem von Fachkräften aus Dänemark wahrgenommen werden. Der Schlüssel für die unabhängige Zukunft Grönlands liegt vor den Küsten und unter der dicken Eisdecke des Landes. Hier werden massive Vorräte an Öl, Gas und Mineralrohstoffen vermutet.

    "Tatsache ist doch, dass wir schon im kommenden Jahr eine weitere Bohrung nach Öl durchführen werden. Das weltweite Interesse an Grönland ist enorm, sowohl was das Öl, aber auch die anderen Bodenschätze betrifft. Schon heute gibt es 80 aktive Lizenzen für Mineralien und zahlreiche Lizenzen für Ölfelder. Irgendwann wird sich das rentieren, ob in zehn oder in 15 Jahren. Ich jedenfalls bin ziemlich sicher, dass ich noch in meiner Lebenszeit eine lukrative Rohstoffindustrie hierzulande erleben werde."

    Doch eben diese Aussicht weckt Sorge - vor allem unter Dänen, die die Loslösung Grönlands von ihrem Land kritisch beäugen. Jahrzehntelang, so Sören Espersen, Grönlandbeauftragter der Dänischen Volkspartei und Mitglied in der dänisch-grönländischen Selbstverwaltungskommission, habe Dänemark Geld nach Grönland überwiesen. Ergo müsse Dänemark auch an den potenziellen Reichtümern beteiligt werden. Falls, so Espersen, es diese überhaupt gibt und sich am Ende nicht alles als große Illusion herausstellt.

    "Im Augenblick ist das Öl eine Taube auf dem Dach. Und selbst wenn es in so großen Mengen vorhanden ist, wie man vermutet, dann ist doch noch gar nicht gesagt, dass man es in 20, 25 Jahren noch braucht. Wir alle reden über den Klimawandel, über neue und effizientere Technologien und wer weiß, ob das Öl zu dieser Zeit überhaupt noch etwas wert ist. Man sollte nicht Politik betreiben, indem man der Taube auf dem Dach nachjagt."

    Doch davon möchte man in den Straßen Nuuks nichts wissen.

    "Wir haben viele Probleme, aber können sie auch selber lösen", sagt dieses junge Mädchen. Eine Aussage, die man immer wieder hört. Am Wochenende jedenfalls werden die Grönländer den Beginn eines neuen Kapitels in ihrer Geschichte ordentlich feiern:

    "Als ich auf die Welt kam, war ich dänische Staatsbürgerin. Am Sonntag aber werden wir als eigenständiges Volk anerkannt, mit einer eigenen Sprache. Für mich ist das ein bewegender Augenblick. Endlich weiß die Welt, dass wir existieren. Und wenn sich Grönland und Dänemark gleichberechtigt gegenübertreten, dann - davon bin ich überzeugt - wird auch die Kooperation zwischen beiden sehr viel besser."