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Scheidung auf südafrikanisch

Der ANC in Südafrika wird ein halbes Jahr vor der nächsten Wahl von einem Machtkampf zwischen Zumas Anhängern und denen des früheren ANC-Vorsitzenden und Ex-Präsidenten Thabo Mbeki zerrüttet. Lekota, ein altgedienter ANC-Politiker und ehemaliger Häftling auf der Gefängnisinsel Robben Island, droht mit der Gründung einer Oppositionspartei.

Von Corinna Arndt |
    Es war ein historischer Moment, als der ehemalige südafrikanische Verteidigungsminister Musiora Lekota Anfang Oktober vor die Presse trat, um dem altehrwürdigen Afrikanischen Nationalkongress (ANC) den Kampf anzusagen. Oder wie Lekota sich ausdrückte: die Scheidung einzureichen.

    "It seems as we we are serving divorce papers today..."

    Dabei war die Ehe zwischen ihm und dem ANC schon längst zu Bruch gegangen. Lekota, ein altgedienter ANC-Politiker und ehemaliger Häftling auf der Gefängnisinsel Robben Island, gilt als loyaler Anhänger Thabo Mbekis. Der wurde gerade abgesetzt, wenige Monate vor Ende seiner Amtszeit als Präsident - abberufen von der neuen Führungsriege des ANC um Jacob Zuma. Bereits als Zuma auf dem ANC-Parteitag 2007 Thabo Mbeki den Parteivorsitz abjagte, war Lekota, der die Versammlung leitete, zur Zielscheibe wütender Delegierter geworden - niedergeschrieen und niedergesungen, von Parteidisziplin keine Spur.

    Jetzt, zehn Monate später, droht Lekota mit der Gründung einer Oppositionspartei, sollte der ANC unter Zuma nicht umgehend zu den Werten und Leitlinien der Partei zurückkehren.

    "Wir sind der wirkliche ANC, weil uns die Prinzipien der Partei am Herzen liegen. Anderen offensichtlich nicht! Deswegen bringen wir unsere Sorgen jetzt formal auf den Tisch. Sollte sich die neue Parteiführung weiter so arrogant verhalten, dann werden wir einen nationalen Kongress abhalten, um über unser weiteres Vorgehen zu entscheiden."

    Dieser Kongress wird morgen in Johannesburg stattfinden. Doch der nächste Schritt ist eigentlich schon beschlossen: Mitte Dezember soll die formale Gründung der neuen Partei folgen. Unklar ist, wer sie führen wird, welches Programm sie hat und wie sie heißen wird. Wenn es nach den Wünschen Lekotas geht, wird sie nächstes Jahr zur Wahl antreten. Eine Spaltung des ANC - der ewige Albtraum der ehemaligen Widerstandsbewegung - könnte damit wahr werden. Bisher hat der ANC noch in jeder Wahl Stimmen dazu gewonnen. 2004 lag er bei knapp 70 Prozent. Die Frage ist: Entsteht jetzt eine ernstzunehmende Oppositionspartei, die potentiell das Machtmonopol des ANC brechen könnte - oder haben wir es mit einer Eintagsfliege zu tun, die, wie Zuma vorhersagt, in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wird? Ein Blick auf die Motive der Abtrünnigen.

    "Die neue ANC-Spitze zeigt, dass sie nicht wirklich ANC sind, wenn sie ethnische Slogans toleriert. Das ist unsere größte Gefahr, die laut ANC-Verfassung bekämpft werden muss. Und dann diese Lieder, die zur Gewalt aufrufen, wenn wir für Frieden und Entwicklung kämpfen sollten!"

    "Bring mir mein Maschinengewehr", das ist Zumas Markenzeichen, ein altes ANC-Kampflied, zu dem er zugleich singt und tanzt. Zumas Kritiker werfen ihm vor, damit seine Gegner einschüchtern zu wollen.

    "Die interne Demokratie im ANC ist verschwunden. Ich wurde auf dem Parteitag als Aussätziger behandelt! Es geht nur noch darum, ob eine bestimmte Person Präsident wird oder nicht. Wie kann man sagen: "Wir werden für diese Person töten"?! Wo bleibt da das Recht auf demokratische Freiheit? Und jetzt noch die Angriffe auf die Justiz. Plötzlich sind Richter "Konterrevolutionäre". Was ist mit der dritten Gewalt?"

    Diese Vorwürfe richten sich vor allem gegen einen: Julius Malema, Chef der ANC-Jugendliga und stets der erste, wenn es darum geht, radikale Töne beizusteuern. Prompt skandierten ANC-Mitglieder auf einer Kundgebung neulich: "Tötet Lekota". Und nachdem ein Johannesburger Richter im September den Korruptionsprozess gegen Jacob Zuma abgeblasen hat, brüstete sich Malema, die Jugendliga könne jetzt sogar die Justiz beeinflussen. Solche Entgleisungen treiben vielen Südafrikanern die Schamesröte ins Gesicht. Phillip Mhlanga, ANC-Mitglied aus der Provinz KwaZulu-Natal gehört dazu.

    "Wir sagen uns, meine Güte, wir können doch nicht einfach zusehen, wenn irgend so ein Junge, der nicht mal ein ordentliches Abitur hat, die Führer unserer Revolution derart attackiert! Nein! Wir werden zu diesem nationalen Kongress gehen, und unsere Bewegung wieder auf den richtigen Weg bringen."

    All das sind ehrbare Forderungen. Und doch müssen sich die neuen ANC-Kritiker vorwerfen lassen, unliebsame Wahrheiten systematisch auszublenden. Julius Malema etwa spricht nicht für die Führung des ANC. Im Gegenteil: Präsident Kgalema Motlanthe hat ihn wiederholt mit scharfen Worten zur Ordnung gerufen. Zur Vernunft zwingen kann er ihn nicht. Weder Zuma selbst noch ein anderer hochrangiger ANC-Politiker hat sich in den radikalen Chor eingereiht. Dennoch besteht kein Zweifel: Der politische Ton in Südafrika ist rauer geworden. Angesichts der Krise des ANC schwankt die Parteiführung zwischen Ärger und Panik. Hunderten von Mitgliedern, die Lekota folgen wollen, droht der Rauswurf aus der Partei, doch in den meisten Fällen verabschieden sich die Kritiker freiwillig. Landauf, landab werfen sie auf Lekota-Kundgebungen ihre Mitgliedsausweise in Schuhkartons, hier und da trampeln sie auch schon mal auf einem ANC-Poster herum. Genaue Zahlen von Überläufern gibt es nicht. Doch angesichts von 600.000 aktiven ANC-Mitgliedern könne von einem Auseinanderbrechen der Partei noch lange keine Rede sein, sagt ANC-Generalsekretär Gwede Mantashe:

    "Es gibt keinen Riss durch die Mitte. Es gibt abweichende Meinungen - und allenfalls eine Splittergruppe, die sich abspaltet."

    Ein Großteil des Konflikts dreht sich um Personen, nicht um Inhalte. Die, die dem ANC jetzt den Kampf ansagen, sind bis auf wenige Ausnahmen diejenigen, die mit dem Ende des Mbeki-Regimes Macht und Posten verloren. Doch die Kulisse für das Drama sind fundamentale Probleme, die aus der Mbeki-Ära entsprungen sind. Jeremy Cronin ist Vizechef der Kommunistischen Partei Südafrikas, SACP:

    "Die Arbeitslosigkeit ist schlimmer geworden, und wo sie sich stabilisiert hat, dann auf einem katastrophalen Niveau. Und dafür ist nicht zuletzt die Wirtschaftspolitik Thabo Mbekis verantwortlich, die neo-liberalen Reformen, Exportorientierung usw. All das hat dazu geführt, dass wir eine Million Arbeitsplätze verloren haben."

    Das und Mbekis autoritärer Führungsstil waren der Grund dafür, dass die ANC-Linke seit mindestens drei Jahren daran arbeitete, die Partei - die Seele des ANC - zurückzuerobern. Morris Nogabe, Kommunist und ANC-Mitglied im Kapstädter Township Imizamo Yethu erklärt, wie das aussah.

    "Wir haben dafür gesorgt, dass die Ortsvereine gestärkt wurden, die Strukturen, die Frauenliga, die ANC-Veteranen usw. Wir haben uns auf den Parteitag letztes Jahr lange vorbereitet. Wenn man jahrelang intern Kritik äußert und nie gehört wird, dann ist das der einzige Weg: die Strukturen der Partei nutzen, um die Parteiführung abzusetzen. Am Ende haben wir den ANC zurückerobert und werden nun dafür sorgen, dass er seinen Wurzeln und den Wählern gerecht wird."

    Für Lekota und seine Mitstreiter hat Nogabe nicht viel übrig. Nach einem Jahrzehnt an der Regierung seien sie die letzten, die sich darüber beklagen dürften, dass der ANC seinen Weg verloren habe.

    "Sie waren es doch, die gescheitert sind und den ANC verraten haben. Nicht die Partei hatte den Weg verloren, sondern sie selbst! Wir haben das gesehen und haben dagegen gekämpft. Wenn Personen solche Fehler machen, dann werden sie abberufen - wie das mit Mbeki geschehen ist."

    Jetzt wollen die Mbeki-Leute wieder an die Macht, aber ohne für ihre Position innerhalb des ANC zu kämpfen. Das nimmt Morris Nogabe ihnen übel. Und das ist auch der Grund, warum viele ANC-Mitglieder ihnen nicht folgen werden, obwohl auch sie mit dem jetzigen Kurs der Partei unzufrieden sind und der Parteispitze die Absetzung Mbekis so schnell nicht verzeihen werden. Einer, der dieser Entwicklung mit Interesse und Sorge zuschaut ist Denis Goldberg. Der heute 75-Jährige wurde gemeinsam mit Nelson Mandela 1964 im Rivoniaprozess verurteilt. Er verbrachte 22 Jahre in Haft, bevor er ins Exil ging, um dort für den ANC zu arbeiten. Goldberg lässt sich auf seine alten Tage keinem politischen Lager mehr zuordnen. Er hielt Mbeki für einen exzellenten Präsidenten und traut Zuma dasselbe zu. Seine Partei, die frühere Befreiungsbewegung, sei dabei, sich in eine normale politische Partei zu wandeln. Das überrasche ihn nicht, sagt er.

    "Innerhalb des politischen Spektrums hat der ANC traditionell eine Mittel- oder Mitte-Links-Position eingenommen. Klar gegen Krieg, gegen die wirtschaftliche Benachteiligung der Entwicklungsländer usw. Aber innerhalb der Partei gab es schon immer eine nationalistische Tendenz, dazu eine linke, marxistische Strömung und schließlich ein kapitalistisches Lager. Und all das zusammengehalten von einer Organisation, die sich auch noch über alle Klassengrenzen hinwegsetzte. Zu Zeiten des Unabhängigkeitskampfs war das einfach. Man hatte ein gemeinsames Ziel: das Ende der Apartheid."

    Mehr als ein Jahrzehnt später sind die ideologischen Gräben unübersehbar aufgebrochen. Allerdings geht es bei den rhetorischen Schlammschlachten bisher um alles andere als konkrete politische Inhalte und Alternativen.

    "Es fehlt nicht nur an Substanz. Sie beschimpfen auch noch die jetzige ANC-Führung als unehrlich und bezichtigen sie der Korruption. Dabei waren sie bis vor kurzem selbst an der Macht! Scheinheilig ist das! Welche Alternativen bieten sie? Keine bisher. Keine!"

    Tatsächlich beschränken sich die inhaltlichen Ideen bisher auf ein absolutes Minimum: darunter eine Direktwahl des Präsidenten und eine Reform des Wahlsystems: Auch Parlamentarier sollen in ihrem Wahlkreis künftig direkt gewählt werden. Es ist nicht ohne Ironie, dass die, die jetzt solche Forderungen stellen, noch bis vor wenigen Wochen Teil des Mbeki-Systems waren, das genau diese Reformen immer wieder blockiert hat. Zudem wollen sie nun die Unabhängigkeit der Justiz retten, die sie nach dem Urteil eines Richters selbst systematisch untergraben haben. Schließlich stehe das Erbe der "Freedom Charter” auf dem Spiel, der Bibel des ANC, die unter Mbeki reichlich Staub angesetzt hat, obwohl sie einst maßgeblich die südafrikanische Verfassung inspiriert hat. Offiziell sollen die politischen Inhalte auf der anstehenden Konferenz geklärt werden. Klar ist in jedem Fall, dass die Anführer der neuen Bewegung - bis auf wenige Ausnahmen - ein persönliches Hühnchen zu rupfen haben: entweder mit Zuma selbst oder mit der ANC-Linken, die Mbekis System so eindrucksvoll aus dem Weg geräumt hat. Denis Goldberg hält das für ziemlich ehrenrührig und ihre Vorwürfe für überzogen.

    "Für Mbeki als Präsident galt dasselbe, was etwa für den britischen Premierminister gilt: Wenn er das Vertrauen seiner Partei verliert, dann wird ihn die Partei absetzen. Das ist doch normal. Aber sollen persönliche Animositäten jetzt das Leben in unserem Land bestimmen? Unsere Politiker sind nicht anders als Politiker überall auf der Welt. Nur können wir uns in Südafrika solche Spielchen nicht leisten. Wir haben dafür weder das Geld noch die Zeit."

    14 Jahre nach Ende der Apartheid lebt ein Großteil des Volkes noch immer in Armut. 38 Prozent haben keinen Job, in vielen Townships ist die Arbeitslosenquote doppelt so hoch. Fünf Millionen Menschen hausen in Wellblechhütten - Tendenz steigend. Und ein Drittel aller Abiturienten fällt jährlich durch die Reifeprüfung. Die Südafrikaner sind geduldig, sie wissen, dass sich die systematische Unterdrückung und Benachteiligung der Apartheidzeit nicht in zehn Jahren rückgängig machen lassen. Zwar ist die Zahl derer, die sich vom ANC im Stich gelassen fühlen, stetig gewachsen. Doch bis jetzt hat sich dieser Vertrauensverlust nie in geringeren Wahlgewinnen für den ANC niedergeschlagen, sondern in einer wachsenden Zahl von Nichtwählern. Elizabeth Nyawula aus dem Township Imizamo Yethu beschreibt ihr Dilemma:

    "Wenn ich sehe, dass sie irgendwas für mich tun, dann werde ich wählen gehen. Sonst nicht. Ich kann doch nicht jemanden wählen, der jeden Tag Reis isst, wenn ich selbst nichts zu essen habe und keinen Job. Sogar meinen Waschzuber hier muss ich mir von Freunden ausleihen. Ich werde nicht für eine andere Partei stimmen... ich bin ANC, ich bin keine Lügnerin, ich habe ein Rückgrat. Aber ich sage dem ANC, dass ich nicht glücklich bin."

    Könnte die neue Partei dem ANC Wähler wie Elizabeth Nyawula abspenstig machen, und zwar en masse, dann hätte sie zwar den politischen Jackpot geknackt, müsste aber plötzlich Politik für die unzufriedenen Armen machen. Alternativ könnte sie die aufstrebende schwarze Mittelklasse ins Visier nehmen und aktiv Investoren und Geschäftsleute umwerben - das wäre eine Art südafrikanische FDP. Doch in einem Land voller Armut lässt sich damit keine Wahl gewinnen. Für den Moment scheinen Lekota und Co. vor allem auf die Stimmen all derer zu hoffen, die sich zu den Verlieren des Siegeszugs von Jacob Zuma zählen. Auf dem ANC-Parteitag vor knapp einem Jahr sprachen sich immerhin 40 Prozent der Delegierten für Mbeki und gegen Zuma aus. Das entspricht rund 240.000 ANC-Mitgliedern. Doch Mbeki selbst hat diese Woche erklärt, er wolle weiterhin ein loyales Mitglied des ANC bleiben. Bisher sieht es so aus, als wollten sich Lekota & Co. rechts neben dem ANC aufstellen und den Wählern eine konservativ-liberale, klar anti-kommunistisch und anti-sozialistische Alternative bieten. Was sie dabei von anderen Oppositionsparteien unterscheidet ist, dass sie dafür auch unter schwarzen Wählern Unterstützung finden könnten. Die mit 15 Prozent im Parlament bisher größte Oppositionspartei "Demokratische Allianz" gilt für die Masse der schwarzen Südafrikaner als Partei der weißen Männer und damit als unwählbar, zumindest auf nationaler Ebene. Eine tragfähige Oppositionspartei, darüber sind sich die Politikwissenschaftler schon lange einig, kann nur aus dem ANC selbst entstehen. In diesem Sinne könnte die neue Partei potentiell nicht nur dem ANC lästig werden, sondern auch die Demokratie in Südafrika stärken und die Menschen wieder an die Wahlurnen locken. Noch einmal Denis Goldberg

    "Ich denke, in Südafrika gibt es Raum für eine konservative Partei, für eine sozialdemokratische Partei und für eine kommunistische Partei. Wir sehen jetzt die Anfänge dieser Aufspaltung."

    Nach den verbissenen Kämpfen innerhalb des ANC, nach dem ermüdenden Justizkrieg um Jacob Zumas Korruptionsverfahren und nach der überraschenden Absetzung Thabo Mbekis steht dem Land also die nächste Hürde bevor: Die Parlamentswahl im Frühjahr 2009. Ist die südafrikanische Demokratie stark genug, wirkliche Konkurrenz im Wahlkampf aushalten zu können? Wie werden die Anhänger beider Parteien miteinander umgehen? Denn eines ist sicher: Die politische Temperatur wird steigen. Die Abtrünnigen wissen, worauf sie sich einlassen - und sie können sich auch eine politische Niederlage leisten. Finanziell haben die meisten von ihnen längst ausgesorgt: mit Weingütern, Aktien und lukrativen Verträgen aus ihrer Zeit auf den Korridoren der Macht. Mbhazima Shilowa etwa, ehemaliger Ministerpräsident der Provinz Gauteng und eines der Gesichter der neuen Partei, hat eine aussichtsreiche Karriere im ANC in den Wind geschlagen, um sich ganz der Oppositionspolitik zu verschreiben. Er ist überzeugt: Südafrika braucht eine neue Partei.

    "Ich tue all das im Wissen, dass mich Menschen dämonisieren und beleidigen werden, die mich bisher respektiert haben. Aber eine Reise von hundert Meilen beginnt mit einem ersten Schritt."