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Scheidung leicht gemacht

Bis dass der Tod uns scheidet? Für Briten gilt das wohl nicht, denn das Volk von der Insel gilt als Scheidungsweltmeister. Und so wundert es auch nicht, dass in diesen Tagen in London die Scheidungsmesse SOS stattfindet.

Von Ruth Rach |
    Weicher Teppichboden, weiche Sitzlandschaft, eine Ecke mit Kinderbüchern und Titeln wie "Kinder lassen sich nicht scheiden", "Als sich Mutti und Pappi trennten" und "Das Kofferkind".

    Im Eingangsbereich lädt ein netter, junger Mann zu einer Gratis-Yoga-Stunde; eine Dame verkauft Glitzerschmuck unter dem Motto "Eine neue Zukunft mit Silberglanz".

    SOS heißt das Spektakel, als "Scheidungsmesse" angekündigt. Aber SOS steht keineswegs für Hilferuf, sondern für Starting Over Show, kurz: Neubeginn.

    Rund zwei Dutzend Stände sind im Raum verteilt. Mit Informationen über Selbsthilfegruppen, Rechtsanwälte, Versicherungen.

    "Die Messebesucher sind entweder frisch geschieden oder sie denken an eine Scheidung","

    erzählt Suzi Christie, die Sprecherin von SOS.

    ""Aber neulich, bei der Messe in Brighton waren 40 Prozent Männer aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Großbritannien hat eine Scheidungsrate von 40 bis 50 Prozent. Besonders ausgeprägt ist der Trend unter älteren Paaren: Die Kinder sind erwachsen, sie gehen in Rente und merken plötzlich, dass sie nichts mehr gemeinsam haben. Viele Frauen meinen, sie seien alleine glücklicher."

    SOS wurde letztes Jahr von Suzy Miller ins Leben gerufen. Sie selbst hat drei kleine Kinder und eine traumatische Scheidung hinter sich:

    "Nichts ist destruktiver als monatelanger Zorn und Streit. Das negative Verhaltensmodell wird in den Medien noch verstärkt, gerade Promis liefern sich oft die schlimmsten und kostspieligsten Grabenkämpfe."

    Suzy Millers Gegenmodell heißt Mediation: lernen, mit dem Ex-Partner zu kommunizieren. Ohne Schuldzuweisung. Ohne Opferhaltung. Natürlich sei das Schwerstarbeit. Aber letztendlich würden alle Beteiligten davon profitieren. Vor allem die Kinder.

    Immer wieder trifft man auf der Messe die Botschaft: Scheidung schmerzt, aber sie ist nicht das große Aus. Auch nicht finanziell. Besonders reges Interesse findet der Stand einer Anwaltsfirma in Soho.

    London ist die Scheidungshauptstadt der Welt, unterstreicht die junge Juristin Sarah Ingram. Die Kunden kämen aus aller Welt. Der Grund sei einfach: Das englische Eherecht begünstige Frauen.

    Sarahs Kollege Franklin Price, selbst mehrfach eheerfahren, erläutert:

    "In England ist das Eherecht Teil des Kirchenrechts, die Richter entscheiden nach dem Grundsatz: Was ist fair und vernünftig? Vereinbarungen, die von den Partnern vor der Ehe geschlossen wurden, sind hier nicht bindend - im Gegensatz zu Deutschland und zu vielen anderen Ländern. Frauen bekommen das, was sie brauchen, und wenn sie einen reichen Mann haben, noch viel mehr, nämlich die Hälfte des ganzen Vermögens. Bei 50 Millionen sind das 25 Millionen."

    Franklin Price rät seinen Kunden, lieber eine gütliche Lösung auszuhandeln, als vor Gericht zu ziehen und ihr halbes Vermögen durch Rechtsstreitigkeiten zu verlieren. Über Kundenmangel hat er nicht zu klagen, vor allem seit der Kreditkrise. Da ließen sich begüterte Ehemänner besonders gerne scheiden, weil ihre Vermögenswerte niedriger eingeschätzt würden. Wenn ihnen die Frauen nicht zuvorgekommen sind, um sich die Abfindungen zu sichern, bevor das Vermögen des Gatten schmilzt.
    Aber wie erklärt er sich die überdurchschnittlich hohe Scheidungsrate im angelsächsischen Raum?

    "Wir Angelsachsen sind Individualisten und selbstbezogen, für unsere Nachbarn auf dem Kontinent spielt der gesellschaftliche Zusammenhalt eine viel größere Rolle. Unsere Lebensplanung ist kurzfristig und merkantil: Wenn uns das 'Produkt' Ehe nicht mehr gefällt, werfen wir es weg und testen lieber ein neues, anstatt das alte zu flicken. Wir sind schlichtweg Egoisten."

    Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu. Die Aussteller packen ihre Broschüren zusammen, ein Fotograf macht letzte Fotos. Michele, eine Besucherin in schickem lila-grünem Kostüm ist froh, dass sie gekommen ist.

    "Ich fühle mich jetzt viel zuversichtlicher - im Vergleich zu gestern Abend, da war ich total am Boden. Mein Mann hat mich nach 23 Jahren Ehe verlassen. Wegen einer jüngeren Frau. Jetzt habe ich ihm einen Brief geschrieben und ihm für die gemeinsame Zeit gedankt und für unsere gemeinsame Tochter. Das Beste, das ich jetzt tun kann, ist neu anzufangen und ein gutes Leben zu führen."