In der Regel tut Scheiden weh, vor allem den Kindern, bestätigt Professor Gunter Klosinski von der Universitätsklinik Tübingen. Als Ärztlicher Direktor der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter hat er vor allem mit den Fällen zu tun, bei denen viel gestritten wird, oder Kinder ihre Verletzungen deutlich zeigen:
"Also es kommt sehr drauf an, auf die Einzelsituation, aber richtig ist, dass Kinder, wenn sie eine Beziehung zu beiden Elternteilen haben und das auseinanderbricht, dann Sorge haben, dass einer ihnen abhanden kommt, und in vielen Fällen ist das ja auch so."
Die Trennung führt unter Umständen selbst dann noch zu neuem Leid der Kinder, wenn die Eltern sich äußerlich recht vernünftig verhalten und eine Besuchsregelung vereinbart haben. Professor Gunter Klosinski:
"Dann entwickeln die Kinder so etwas wie ein Besuchssyndrom. Das ist ganz wenig bekannt. Das heißt: Die Kinder erleben das, wenn sie von einem Bereich, von einer Welt in die andere gehen, die so konträr ist, dass sie es sehr zerreißt. Und sie wollen dann eigentlich nicht darüber; nässen vielleicht nachts ein, bevor es zum Umgangskontakt kommt. Sagen auch der Mama: 'Ich möchte da nicht hin!'"
Man kann es der Mutter nicht verdenken, wenn sie daraufhin meint, im Interesse des Kindes zu handeln, wenn sie den Besuch beim Papa absagt oder verlegt., vor allem wenn das ihrer Abneigung gegen den Vater entspricht. Aber die Sache ist komplizierter:
"Kommt dann der Papa, gibt es ein Geschrei. Aber ist dann das Kind im Auto vom Papa und sind sie sozusagen auf einer anderen Gemarkung, da taut das Kind auf, und der Papa berichtet: ‘Es ist ganz schön und das Kind will am Wochenende gar nicht mehr zurück und sagt: 'Ich möcht' bei Dir bleiben.''"
Nun kann man auch dem Vater nicht übel nehmen, wenn er darüber glücklich ist, dass trotz des Geschreis bei der Übergabe schließlich doch noch
alles gut geworden zu sein scheint.
"Bringt er das Kind zurück, ist es wieder durcheinander, und im Kindergarten am Montag sagt die Kindergärtnerin: 'Na das war sicher ein Besuchswochenende, das Kind ist ganz durcheinander.' So dass das Kind dann sich anpasst beim jeweiligen. Es signalisiert der Mutter, wenn es bei der Mutter ist, ich möchte nicht zu dem - wissend, die Mutter unterstützt das ja auch nicht so sehr; und nachher, wenn es beim Vater ist, schwätzt es böse über die Mutter, redet dem Vater zum Mund und ist wieder in einer anderen Welt, und das zerreißt so ein Kind schier."
Aber auch für die Eltern wird jetzt die Lage schwierig, denn das gegenseitige Vertrauen leidet bei vielen Trennungen und damit die Fähigkeit, Probleme offen anzusprechen. Zudem fühlen sich viele Väter dem Verdacht ausgesetzt, die Mutter traue ihnen nicht zu, richtig für das Kind zu sorgen. Selbst gutwillige Eltern laufen hier Gefahr, einen Fehler zu machen. Professor Gunter Klosinski:
"Wenn dann die Eltern sich gegenseitig nicht informieren, was wirklich abgelaufen ist, und auch sich klar machen, dass jeder die Wahrheit sagt und nicht der eine lügt, denken die Eltern, das kann ja gar nicht sein. Ich erlebe mein Kind ja so, mein Kind lügt nicht, mein Kind sagt das so, wie es ist - nicht wissend, dass die Kinder die Wahrheit verbiegen und auch Dinge sagen, die so nicht stimmen."
Man kann sich das vielleicht so erklären: Das Kind spürt, dass es am besten wäre, wenn es die ungeteilte Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe beider Eltern hätte und will sich gegenüber beiden loyal zeigen, um die im Moment erlebte Zuwendung nicht zu gefährden. Viele Kinder hoffen, dass die Trennung nur vorübergehend sei:
"Viele, viele Jahre danach haben Kinder in ihren Fantasien immer noch die Vorstellung, es könnte doch wieder zusammenkommen. Das ist ganz eigenartig und zeigt eigentlich, wie tief die Sehnsucht der Kinder ist, es beiden Eltern recht zu machen, weil ganz häufig die Kinder den Eindruck haben, sie sind mit Schuld am Auseinandergehen."
Dieser falsche Eindruck kann recht leicht entstehen, da sich Eltern häufig in Erziehungsfragen nicht einig sind. Bei manchen wird sogar der Konflikt über die Kinder ausgetragen.
Insofern ist es, wenn das Kind nicht bei der Wahrheit bleibt, eine Lüge aus Not. Ja, vielleicht sogar ein Lüge aus Zuneigung zu beiden Elternteilen. Man sollte deshalb diese Unwahrheit nicht zu streng beurteilen. Das Kind ist in einer beinahe ausweglosen Lage: Einerseits möchte es beide Eltern behalten, andererseits zerreißt es der Wechsel von Einem zum Anderen.
"Das nennt man dann ein Besuchssyndrom, das Ausdruck ist eines Loyalitätskonfliktes, und da muss man, wenn das ausgeprägt vorliegt, Abhilfe schaffen. So geht es dann nicht. Die Kinder reagieren dann oft psychosomatisch mit Einnässen, Einkoten kann dann noch hinzukommen, aber auch manche Kinder mit diesen Schlafstörungen, das ist ganz häufig."
Da die meisten Eltern diese noch junge wissenschaftliche Erkenntnis nicht kennen, führt das häufig zu neuem Streit und zum Abbruch der Beziehung des Kindes zum Vater. Die Hälfte der Scheidungskinder hat bereits nach einem Jahr keinen erlebbaren Vater mehr. Damit ist aber der Konflikt nicht gelöst, sondern er wird nur verlagert, so dass auch die körperlichen Symptome des Kindesleids nicht zugleich mit dem Vater verschwinden. Nebenbei wird damit auch das Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Eltern gebrochen.
Professor Gunter Klosinski hat vor allem mit denjenigen Kindern und Eltern zu tun, bei denen Probleme auftreten. Er befasst sich sozusagen mit der Spitze des Eisbergs aus kindlichem Leid. Nicht jedes Scheidungskind muss diese Symptome zeigen, aber wenn sie auftreten, liegt der Verdacht nahe, dass das Kind erheblich unter der Trennung leidet:
"In der akuten Krise haben die Kinder oft Angst. Wenn sie vielleicht unter zehn sind, kann es sein, dass sie wieder einnässen, dass sie Alpträume bekommen, dann haben sie Angst, nachts kommt ein Einbrecher und holt sie."
Kleine Kinder kleben dann oft an der Mama und haben Angst, sich von ihr zu trennen, was auch beim Abschied im Kindergarten zu Schwierigkeiten führt. Bei älteren Kindern treten andere Notsignale auf:
"Wenn sie älter sind, die Kinder, reagieren sie in der Schule mit Leistungsabfall. Und sie können auch, wenn sie noch älter sind, sich der Peergruppe zuwenden und werden dann delinquent. Manche Kinder sind dann drauf und dran - es ist mir ja egal, jetzt ist es so schlimm, und dann geh ich selber vor die Hunde, so die innere Einstellung. Und ich zeig es jetzt meinen Eltern und gehe in die Drogenszene. Das wären dann die älteren Jugendlichen, die dann so eine ganz, ganz schwierige Gratwanderung vornehmen, um auch die Eltern vielleicht aufzurütteln, wachzurütteln, aber: Sie schädigen sich selber, um die Eltern zu schädigen."
Auch Allergien, Asthma, Neurodermitis, Übergewicht oder Bulimie können ein Hinweis auf kindliches Leiden sein. Man sollte diese Notsignale von Kindern nicht unterschätzen, denn mindestens jedes fünfte Kind braucht Hilfe durch Fachleute.
Auch unter den finanziellen Folgen einer Trennung leiden oft die Kinder, und zwar weniger, weil sie selbst sich weniger leisten können, sondern weil es Streit ums Geld gibt:
"Auch ganz schlimm ist, wenn zum Beispiel in der finanziellen Not einer Trennung und Scheidung nun das Geld nicht sprudelt und der - meist ist es ja der Vater, der dann doch arbeitet - vielleicht nicht rechtzeitig bezahlt oder gar den Unterhalt gar nicht abliefert - er muss ihn ja abliefern - dann die Retourkutsche kommt: 'Dann kriegst Du die Kinder nicht zum Umgang!', so dass dann also die Kinder doppelt leiden müssen. Es kommt kein Umgang mehr, der Vater wird verteufelt, vielleicht mit Recht, er zahlt nicht mehr."
Es gibt natürlich auch Fälle bei denen derjenige, der zahlen müsste, selbst therapeutische Hilfe braucht oder die Stelle verliert und deshalb nicht zahlen kann. Aber wenn das Vertrauen zwischen den Eltern fehlt, besteht die Gefahr, dass das als Ausrede angesehen wird. Sehr oft kommt es auch zu Retourkutschen:
"Der sagt dann wiederum: 'Ja, wenn ich die Kinder nicht sehen darf, dann zahl ich erst recht nicht!' Das ist so ein Teufelskreis, das Eine gibt das Andere. Das ist gar nicht so selten. Man schätzt, das Hunderttausende von Kindern betroffen sind von Vätern oder Müttern, die nicht zahlen, und deswegen dann Konflikte in der Familie sind, die über das Umgangsrecht ausgetragen werden und zwar negativ für die Kinder. Das ist ein Riesenproblem."
Es ist Eltern häufig nicht bewusst, dass sie mit einer Scheidung zwar den Partner los werden können, nicht aber die gemeinsame Verantwortung für die Kinder. Es besteht zudem die Gefahr, wenn Eltern, ihre Trennung selbst noch nicht verkraftet haben, dass sie kindliche Notsignale als erneute Gelegenheit zum Streiten und für gegenseitige Schuldzuweisungen nutzen. Es kommt auch vor, dass Eltern therapeutische Hilfe für ihr Kind ablehnen, weil sie fürchten, selbst in die Therapie miteinbezogen zu werden. Aber wie soll sich die Lage des Kindes bessern, wenn die Erwachsenen sich nicht ändern?
Und es gibt Trennungsfolgen, die zunächst gar nicht als Notsignal verstanden werden, etwa die Hinwendung zur Religion, zur Hilfsbereitschaft oder einem sozialen Beruf:
"Es gibt ein Phänomen, dass viele Kinder die jetzt in Scheidungsfamilien aufgewachsen sind und auch den Ausgleich immer versucht haben, dass die nachher sehr sensibel sind für so Atmosphärisches, und häufig finden wir die auch in sozialen Berufen wieder. Also es ist ein Phänomen, das grade solche Kinder und Jugendliche dann versuchen, sich aktiv einzubringen, weil sie auch Fähigkeiten haben, eben in beiden Welten zu leben und das auszuhalten, also auch eine Spannung auszuhalten. Aber die Gefahr ist, dass sie ein Helfersyndrom bekommen. Helfersyndrom, wenn es sich entwickelt, ist nicht gut."
Eine Möglichkeit, das Leiden der Kinder zu verringern und zumindest den Umgang des Kindes mit beiden Eltern zu meistern, ist der begleitete Umgang, wie ihn der Kinderschutzbund anbietet. Dabei verabreden die Eltern mit Hilfe der Fachkraft des Kinderschutzbundes, dass das Kind den anderen Elternteil in den Räumen des Kinderschutzbundes treffen wird. Als Vorbereitung kommt die Mutter mit dem Kind erst einmal allein in die Einrichtung, damit es die Spielmöglichkeiten kennenlernt und Vertrauen aufgebaut wird. Die diplomierte Sozialpädagogin Beate Staatz:
"Zum einen fördern wir, bahnen den Kontakt neu an und bieten erstmal so einen neutralen Rahmen, um den Umgang stattfinden zu lassen. Das heißt, in den Situationen ist es eben nicht möglich, den Umgang bei dem anderen Elternteil stattfinden zu lassen, oder auch die Begegnung der Eltern ist mit so viel Spannung verbunden, dass sie es nicht schaffen würden, von alleine den Kontakt aufzunehmen. Aber hier in den Räumlichkeiten schaffen sie es, wenn die Übergabe glückt. Da muss auch immer jemand dabei sein, den Eltern zu signalisieren: Das ist entscheidend, dieser Moment, diese Übergabe."
Es ist ja auch schwierig dass man sein Kind jemandem anvertrauen soll, dem man nach einer Enttäuschung nicht mehr traut. Hinzu kommt, das Mütter die Kinder manchmal bewusst, mal unbewusst als Machtmittel einsetzen. Andere machen die Kinder zum Lebensinhalt, und es fällt ihnen deswegen besonders schwer, sich vom Kind zu trennen. Wobei das natürlich auch bei Vätern zutreffen kann. Aber 85 Prozent der Kinder leben eben bei den Müttern.
Beim begleiteten Umgang beim Kinderschutzbund lernen vor allem die Eltern die Übergabe meistern, wenn der Partner das Kind übernimmt:
"Dann gehen sie in die Spielsituation, und die merken, da wird wieder Beziehung aufgebaut. Wenn das der andere Elternteil mitbekommt - die Mutter -, ah ja, der Vater bemüht sich tatsächlich um sein Kind, er nimmt das Kind wahr, die Interessen, schafft sie es auch mit viel Beratung und Gesprächen, auch den Umgang wieder einvernehmlich zu gestalten."
Das ist dann auch für die Kinder leichter. Ihnen wird zudem eine Gruppe angeboten, in der sie ihre oft zurückgehaltenen Gefühle äußern können:
"Die Kinder finden sich hier - sechs bis acht Kinder - und tauschen sich mal so richtig aus über das, was ihnen Zuhause, oder den Dingen, mit denen sie Zuhause überhaupt nicht mehr zurecht kommen. Also, sie haben wirklich ein Forum mit Gleichgesinnten, bekommen natürlich auch eine Anleitung. Der Prozess ist relativ stark strukturiert, aber bietet einfach noch Raum, das Eigene in Rollenspielen, Geschichten in Bildern einfach wirklich darzustellen."
Und diese Bilder sprechen häufig eine ganz deutliche Sprache:
"Zum Beispiel waren so Häuser. Die haben einen Weg vom einen Haus zum anderen gemalt, und der war versperrt mit einem hohen Stacheldrahtzaun oder einem Hund. Sie drücken schon sehr wohl aus, was in ihren Köpfen drin ist. Und in den Bildern ist es sehr klar, wie es ihnen geht, diese Schwierigkeit von Einem zum Andern gehen, von einer Welt in die andere."
"Grad dieser Moment: Ich geh aus dem Haus raus, besuch den anderen Elternteil und weiß genau, dass diese Welt vom anderen Elternteil abgelehnt wird. Und gehe dann wieder dorthin zurück - diese Brücken diese Stacheln diese Schwierigkeiten, was da alles dazwischen liegt, das empfinden sie sicherlich genauso, wie sie es auf den Bildern ausdrücken.""
Das, was beim Kinderschutzbund in der Gruppe abläuft, der vertrauensvolle Austausch - es herrscht Schweigepflicht -, das kann im Idealfall die beste Freundin, oder der beste Freund auch leisten, nämlich die Sprachlosigkeit überwinden, beim Trauern helfen und Beziehungen pflegen. Professor Gunter Klosinski:
"Ich frage immer die Kinder: Deine beste Freundin, weiß die Bescheid? Und in der Regel sagen das dann auch die Kinder, einem Freund vielleicht nicht, aber dem besten Freund. Die wissen dann, wie schlimm es in der Familie ist.
Und das ist was ganz, ganz Wichtiges, also eine Entlastungsfunktion. Nicht jedes Kind hat ja dann einen Therapeuten und muss auch nicht therapiert werden. Aber, dass etwas geteilt wird, das lindert schon mal."
Deshalb kann ein Umzug nach der Trennung der Eltern, der die Kindern von ihren Freundinnen und Freunden trennt, die Probleme verschärfen.
Für Mädchen und Jungen sind die Eltern wichtige Vorbilder, die später oft unbewusst die Partnerwahl beeinflussen, ja sogar ob die Ehe ihrer Kinder bei Schwierigkeiten hält oder zerbricht. Doch viele Eltern haben das ja selbst nicht erlebt. Wie könnte man diesen Teufelskreis durchbrechen?
"Das Beste wäre bei Kindern, die jetzt schon ein bisschen älter sind, eine gute Streitkultur, dass sie lernen, nicht etwas einfach runterzuschlucken und wegzudrücken und zu negieren und es mitzuschleppen, auch zu sehen: Konflikte können ausgetragen werden. Und wenn es dann hoch hergeht, dann kann man sich auch trennen im Guten, oder man kann trotzdem miteinander sprechen. Das wäre natürlich optimal."
Eine gute Streitkultur wäre nicht nur für die Ehe und die Kinder wertvoll, sondern auch für die Schule, den Beruf und die ganze Gesellschaft, denn wer mit Worten streiten und sich auch wieder aussöhnen kann, der braucht keine Gewalt.
Da könnten auch manche Rechtsanwälte hinzulernen, die, anstatt den Interessenausgleich zu suchen, den Konflikt noch weiter anheizen. Wohl der Familie, die dann einen Richter hat, der sie auf Möglichkeiten der Streitschlichtung oder auf den begleiteten Umgang des Kinderschutzbundes hinweist. Für manchen Vater ist das die letzte Chance, den Kontakt zu seinen Kindern nicht völlig zu verlieren. Aber Beate Staatz ist realistisch:
"Ich freue mich über jede Begegnung, die wir dann dahingehend begleiten können, dass die Eltern wieder Vertrauen zueinander haben und einen unbelasteten Umgang befürworten können. Es gibt natürlich auch Fälle, wo wir einfach an Grenzen kommen, wo einfach die Verletztheit, der Hass so groß ist, dass sie es nicht schaffen. Das heißt, es werden wieder neue Gerichtsverfahren angestrengt, es werden wieder neue Gutachten eingeholt, oder auch jahrelang ein Umgang unter Begleitung stattfinden muss. Aber es ist eine Chance. Also, ich sehe es wirklich als eine Chance für Kinder, hier Lösungen zu finden, aber es ist keine Garantie."
"Also es kommt sehr drauf an, auf die Einzelsituation, aber richtig ist, dass Kinder, wenn sie eine Beziehung zu beiden Elternteilen haben und das auseinanderbricht, dann Sorge haben, dass einer ihnen abhanden kommt, und in vielen Fällen ist das ja auch so."
Die Trennung führt unter Umständen selbst dann noch zu neuem Leid der Kinder, wenn die Eltern sich äußerlich recht vernünftig verhalten und eine Besuchsregelung vereinbart haben. Professor Gunter Klosinski:
"Dann entwickeln die Kinder so etwas wie ein Besuchssyndrom. Das ist ganz wenig bekannt. Das heißt: Die Kinder erleben das, wenn sie von einem Bereich, von einer Welt in die andere gehen, die so konträr ist, dass sie es sehr zerreißt. Und sie wollen dann eigentlich nicht darüber; nässen vielleicht nachts ein, bevor es zum Umgangskontakt kommt. Sagen auch der Mama: 'Ich möchte da nicht hin!'"
Man kann es der Mutter nicht verdenken, wenn sie daraufhin meint, im Interesse des Kindes zu handeln, wenn sie den Besuch beim Papa absagt oder verlegt., vor allem wenn das ihrer Abneigung gegen den Vater entspricht. Aber die Sache ist komplizierter:
"Kommt dann der Papa, gibt es ein Geschrei. Aber ist dann das Kind im Auto vom Papa und sind sie sozusagen auf einer anderen Gemarkung, da taut das Kind auf, und der Papa berichtet: ‘Es ist ganz schön und das Kind will am Wochenende gar nicht mehr zurück und sagt: 'Ich möcht' bei Dir bleiben.''"
Nun kann man auch dem Vater nicht übel nehmen, wenn er darüber glücklich ist, dass trotz des Geschreis bei der Übergabe schließlich doch noch
alles gut geworden zu sein scheint.
"Bringt er das Kind zurück, ist es wieder durcheinander, und im Kindergarten am Montag sagt die Kindergärtnerin: 'Na das war sicher ein Besuchswochenende, das Kind ist ganz durcheinander.' So dass das Kind dann sich anpasst beim jeweiligen. Es signalisiert der Mutter, wenn es bei der Mutter ist, ich möchte nicht zu dem - wissend, die Mutter unterstützt das ja auch nicht so sehr; und nachher, wenn es beim Vater ist, schwätzt es böse über die Mutter, redet dem Vater zum Mund und ist wieder in einer anderen Welt, und das zerreißt so ein Kind schier."
Aber auch für die Eltern wird jetzt die Lage schwierig, denn das gegenseitige Vertrauen leidet bei vielen Trennungen und damit die Fähigkeit, Probleme offen anzusprechen. Zudem fühlen sich viele Väter dem Verdacht ausgesetzt, die Mutter traue ihnen nicht zu, richtig für das Kind zu sorgen. Selbst gutwillige Eltern laufen hier Gefahr, einen Fehler zu machen. Professor Gunter Klosinski:
"Wenn dann die Eltern sich gegenseitig nicht informieren, was wirklich abgelaufen ist, und auch sich klar machen, dass jeder die Wahrheit sagt und nicht der eine lügt, denken die Eltern, das kann ja gar nicht sein. Ich erlebe mein Kind ja so, mein Kind lügt nicht, mein Kind sagt das so, wie es ist - nicht wissend, dass die Kinder die Wahrheit verbiegen und auch Dinge sagen, die so nicht stimmen."
Man kann sich das vielleicht so erklären: Das Kind spürt, dass es am besten wäre, wenn es die ungeteilte Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe beider Eltern hätte und will sich gegenüber beiden loyal zeigen, um die im Moment erlebte Zuwendung nicht zu gefährden. Viele Kinder hoffen, dass die Trennung nur vorübergehend sei:
"Viele, viele Jahre danach haben Kinder in ihren Fantasien immer noch die Vorstellung, es könnte doch wieder zusammenkommen. Das ist ganz eigenartig und zeigt eigentlich, wie tief die Sehnsucht der Kinder ist, es beiden Eltern recht zu machen, weil ganz häufig die Kinder den Eindruck haben, sie sind mit Schuld am Auseinandergehen."
Dieser falsche Eindruck kann recht leicht entstehen, da sich Eltern häufig in Erziehungsfragen nicht einig sind. Bei manchen wird sogar der Konflikt über die Kinder ausgetragen.
Insofern ist es, wenn das Kind nicht bei der Wahrheit bleibt, eine Lüge aus Not. Ja, vielleicht sogar ein Lüge aus Zuneigung zu beiden Elternteilen. Man sollte deshalb diese Unwahrheit nicht zu streng beurteilen. Das Kind ist in einer beinahe ausweglosen Lage: Einerseits möchte es beide Eltern behalten, andererseits zerreißt es der Wechsel von Einem zum Anderen.
"Das nennt man dann ein Besuchssyndrom, das Ausdruck ist eines Loyalitätskonfliktes, und da muss man, wenn das ausgeprägt vorliegt, Abhilfe schaffen. So geht es dann nicht. Die Kinder reagieren dann oft psychosomatisch mit Einnässen, Einkoten kann dann noch hinzukommen, aber auch manche Kinder mit diesen Schlafstörungen, das ist ganz häufig."
Da die meisten Eltern diese noch junge wissenschaftliche Erkenntnis nicht kennen, führt das häufig zu neuem Streit und zum Abbruch der Beziehung des Kindes zum Vater. Die Hälfte der Scheidungskinder hat bereits nach einem Jahr keinen erlebbaren Vater mehr. Damit ist aber der Konflikt nicht gelöst, sondern er wird nur verlagert, so dass auch die körperlichen Symptome des Kindesleids nicht zugleich mit dem Vater verschwinden. Nebenbei wird damit auch das Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Eltern gebrochen.
Professor Gunter Klosinski hat vor allem mit denjenigen Kindern und Eltern zu tun, bei denen Probleme auftreten. Er befasst sich sozusagen mit der Spitze des Eisbergs aus kindlichem Leid. Nicht jedes Scheidungskind muss diese Symptome zeigen, aber wenn sie auftreten, liegt der Verdacht nahe, dass das Kind erheblich unter der Trennung leidet:
"In der akuten Krise haben die Kinder oft Angst. Wenn sie vielleicht unter zehn sind, kann es sein, dass sie wieder einnässen, dass sie Alpträume bekommen, dann haben sie Angst, nachts kommt ein Einbrecher und holt sie."
Kleine Kinder kleben dann oft an der Mama und haben Angst, sich von ihr zu trennen, was auch beim Abschied im Kindergarten zu Schwierigkeiten führt. Bei älteren Kindern treten andere Notsignale auf:
"Wenn sie älter sind, die Kinder, reagieren sie in der Schule mit Leistungsabfall. Und sie können auch, wenn sie noch älter sind, sich der Peergruppe zuwenden und werden dann delinquent. Manche Kinder sind dann drauf und dran - es ist mir ja egal, jetzt ist es so schlimm, und dann geh ich selber vor die Hunde, so die innere Einstellung. Und ich zeig es jetzt meinen Eltern und gehe in die Drogenszene. Das wären dann die älteren Jugendlichen, die dann so eine ganz, ganz schwierige Gratwanderung vornehmen, um auch die Eltern vielleicht aufzurütteln, wachzurütteln, aber: Sie schädigen sich selber, um die Eltern zu schädigen."
Auch Allergien, Asthma, Neurodermitis, Übergewicht oder Bulimie können ein Hinweis auf kindliches Leiden sein. Man sollte diese Notsignale von Kindern nicht unterschätzen, denn mindestens jedes fünfte Kind braucht Hilfe durch Fachleute.
Auch unter den finanziellen Folgen einer Trennung leiden oft die Kinder, und zwar weniger, weil sie selbst sich weniger leisten können, sondern weil es Streit ums Geld gibt:
"Auch ganz schlimm ist, wenn zum Beispiel in der finanziellen Not einer Trennung und Scheidung nun das Geld nicht sprudelt und der - meist ist es ja der Vater, der dann doch arbeitet - vielleicht nicht rechtzeitig bezahlt oder gar den Unterhalt gar nicht abliefert - er muss ihn ja abliefern - dann die Retourkutsche kommt: 'Dann kriegst Du die Kinder nicht zum Umgang!', so dass dann also die Kinder doppelt leiden müssen. Es kommt kein Umgang mehr, der Vater wird verteufelt, vielleicht mit Recht, er zahlt nicht mehr."
Es gibt natürlich auch Fälle bei denen derjenige, der zahlen müsste, selbst therapeutische Hilfe braucht oder die Stelle verliert und deshalb nicht zahlen kann. Aber wenn das Vertrauen zwischen den Eltern fehlt, besteht die Gefahr, dass das als Ausrede angesehen wird. Sehr oft kommt es auch zu Retourkutschen:
"Der sagt dann wiederum: 'Ja, wenn ich die Kinder nicht sehen darf, dann zahl ich erst recht nicht!' Das ist so ein Teufelskreis, das Eine gibt das Andere. Das ist gar nicht so selten. Man schätzt, das Hunderttausende von Kindern betroffen sind von Vätern oder Müttern, die nicht zahlen, und deswegen dann Konflikte in der Familie sind, die über das Umgangsrecht ausgetragen werden und zwar negativ für die Kinder. Das ist ein Riesenproblem."
Es ist Eltern häufig nicht bewusst, dass sie mit einer Scheidung zwar den Partner los werden können, nicht aber die gemeinsame Verantwortung für die Kinder. Es besteht zudem die Gefahr, wenn Eltern, ihre Trennung selbst noch nicht verkraftet haben, dass sie kindliche Notsignale als erneute Gelegenheit zum Streiten und für gegenseitige Schuldzuweisungen nutzen. Es kommt auch vor, dass Eltern therapeutische Hilfe für ihr Kind ablehnen, weil sie fürchten, selbst in die Therapie miteinbezogen zu werden. Aber wie soll sich die Lage des Kindes bessern, wenn die Erwachsenen sich nicht ändern?
Und es gibt Trennungsfolgen, die zunächst gar nicht als Notsignal verstanden werden, etwa die Hinwendung zur Religion, zur Hilfsbereitschaft oder einem sozialen Beruf:
"Es gibt ein Phänomen, dass viele Kinder die jetzt in Scheidungsfamilien aufgewachsen sind und auch den Ausgleich immer versucht haben, dass die nachher sehr sensibel sind für so Atmosphärisches, und häufig finden wir die auch in sozialen Berufen wieder. Also es ist ein Phänomen, das grade solche Kinder und Jugendliche dann versuchen, sich aktiv einzubringen, weil sie auch Fähigkeiten haben, eben in beiden Welten zu leben und das auszuhalten, also auch eine Spannung auszuhalten. Aber die Gefahr ist, dass sie ein Helfersyndrom bekommen. Helfersyndrom, wenn es sich entwickelt, ist nicht gut."
Eine Möglichkeit, das Leiden der Kinder zu verringern und zumindest den Umgang des Kindes mit beiden Eltern zu meistern, ist der begleitete Umgang, wie ihn der Kinderschutzbund anbietet. Dabei verabreden die Eltern mit Hilfe der Fachkraft des Kinderschutzbundes, dass das Kind den anderen Elternteil in den Räumen des Kinderschutzbundes treffen wird. Als Vorbereitung kommt die Mutter mit dem Kind erst einmal allein in die Einrichtung, damit es die Spielmöglichkeiten kennenlernt und Vertrauen aufgebaut wird. Die diplomierte Sozialpädagogin Beate Staatz:
"Zum einen fördern wir, bahnen den Kontakt neu an und bieten erstmal so einen neutralen Rahmen, um den Umgang stattfinden zu lassen. Das heißt, in den Situationen ist es eben nicht möglich, den Umgang bei dem anderen Elternteil stattfinden zu lassen, oder auch die Begegnung der Eltern ist mit so viel Spannung verbunden, dass sie es nicht schaffen würden, von alleine den Kontakt aufzunehmen. Aber hier in den Räumlichkeiten schaffen sie es, wenn die Übergabe glückt. Da muss auch immer jemand dabei sein, den Eltern zu signalisieren: Das ist entscheidend, dieser Moment, diese Übergabe."
Es ist ja auch schwierig dass man sein Kind jemandem anvertrauen soll, dem man nach einer Enttäuschung nicht mehr traut. Hinzu kommt, das Mütter die Kinder manchmal bewusst, mal unbewusst als Machtmittel einsetzen. Andere machen die Kinder zum Lebensinhalt, und es fällt ihnen deswegen besonders schwer, sich vom Kind zu trennen. Wobei das natürlich auch bei Vätern zutreffen kann. Aber 85 Prozent der Kinder leben eben bei den Müttern.
Beim begleiteten Umgang beim Kinderschutzbund lernen vor allem die Eltern die Übergabe meistern, wenn der Partner das Kind übernimmt:
"Dann gehen sie in die Spielsituation, und die merken, da wird wieder Beziehung aufgebaut. Wenn das der andere Elternteil mitbekommt - die Mutter -, ah ja, der Vater bemüht sich tatsächlich um sein Kind, er nimmt das Kind wahr, die Interessen, schafft sie es auch mit viel Beratung und Gesprächen, auch den Umgang wieder einvernehmlich zu gestalten."
Das ist dann auch für die Kinder leichter. Ihnen wird zudem eine Gruppe angeboten, in der sie ihre oft zurückgehaltenen Gefühle äußern können:
"Die Kinder finden sich hier - sechs bis acht Kinder - und tauschen sich mal so richtig aus über das, was ihnen Zuhause, oder den Dingen, mit denen sie Zuhause überhaupt nicht mehr zurecht kommen. Also, sie haben wirklich ein Forum mit Gleichgesinnten, bekommen natürlich auch eine Anleitung. Der Prozess ist relativ stark strukturiert, aber bietet einfach noch Raum, das Eigene in Rollenspielen, Geschichten in Bildern einfach wirklich darzustellen."
Und diese Bilder sprechen häufig eine ganz deutliche Sprache:
"Zum Beispiel waren so Häuser. Die haben einen Weg vom einen Haus zum anderen gemalt, und der war versperrt mit einem hohen Stacheldrahtzaun oder einem Hund. Sie drücken schon sehr wohl aus, was in ihren Köpfen drin ist. Und in den Bildern ist es sehr klar, wie es ihnen geht, diese Schwierigkeit von Einem zum Andern gehen, von einer Welt in die andere."
"Grad dieser Moment: Ich geh aus dem Haus raus, besuch den anderen Elternteil und weiß genau, dass diese Welt vom anderen Elternteil abgelehnt wird. Und gehe dann wieder dorthin zurück - diese Brücken diese Stacheln diese Schwierigkeiten, was da alles dazwischen liegt, das empfinden sie sicherlich genauso, wie sie es auf den Bildern ausdrücken.""
Das, was beim Kinderschutzbund in der Gruppe abläuft, der vertrauensvolle Austausch - es herrscht Schweigepflicht -, das kann im Idealfall die beste Freundin, oder der beste Freund auch leisten, nämlich die Sprachlosigkeit überwinden, beim Trauern helfen und Beziehungen pflegen. Professor Gunter Klosinski:
"Ich frage immer die Kinder: Deine beste Freundin, weiß die Bescheid? Und in der Regel sagen das dann auch die Kinder, einem Freund vielleicht nicht, aber dem besten Freund. Die wissen dann, wie schlimm es in der Familie ist.
Und das ist was ganz, ganz Wichtiges, also eine Entlastungsfunktion. Nicht jedes Kind hat ja dann einen Therapeuten und muss auch nicht therapiert werden. Aber, dass etwas geteilt wird, das lindert schon mal."
Deshalb kann ein Umzug nach der Trennung der Eltern, der die Kindern von ihren Freundinnen und Freunden trennt, die Probleme verschärfen.
Für Mädchen und Jungen sind die Eltern wichtige Vorbilder, die später oft unbewusst die Partnerwahl beeinflussen, ja sogar ob die Ehe ihrer Kinder bei Schwierigkeiten hält oder zerbricht. Doch viele Eltern haben das ja selbst nicht erlebt. Wie könnte man diesen Teufelskreis durchbrechen?
"Das Beste wäre bei Kindern, die jetzt schon ein bisschen älter sind, eine gute Streitkultur, dass sie lernen, nicht etwas einfach runterzuschlucken und wegzudrücken und zu negieren und es mitzuschleppen, auch zu sehen: Konflikte können ausgetragen werden. Und wenn es dann hoch hergeht, dann kann man sich auch trennen im Guten, oder man kann trotzdem miteinander sprechen. Das wäre natürlich optimal."
Eine gute Streitkultur wäre nicht nur für die Ehe und die Kinder wertvoll, sondern auch für die Schule, den Beruf und die ganze Gesellschaft, denn wer mit Worten streiten und sich auch wieder aussöhnen kann, der braucht keine Gewalt.
Da könnten auch manche Rechtsanwälte hinzulernen, die, anstatt den Interessenausgleich zu suchen, den Konflikt noch weiter anheizen. Wohl der Familie, die dann einen Richter hat, der sie auf Möglichkeiten der Streitschlichtung oder auf den begleiteten Umgang des Kinderschutzbundes hinweist. Für manchen Vater ist das die letzte Chance, den Kontakt zu seinen Kindern nicht völlig zu verlieren. Aber Beate Staatz ist realistisch:
"Ich freue mich über jede Begegnung, die wir dann dahingehend begleiten können, dass die Eltern wieder Vertrauen zueinander haben und einen unbelasteten Umgang befürworten können. Es gibt natürlich auch Fälle, wo wir einfach an Grenzen kommen, wo einfach die Verletztheit, der Hass so groß ist, dass sie es nicht schaffen. Das heißt, es werden wieder neue Gerichtsverfahren angestrengt, es werden wieder neue Gutachten eingeholt, oder auch jahrelang ein Umgang unter Begleitung stattfinden muss. Aber es ist eine Chance. Also, ich sehe es wirklich als eine Chance für Kinder, hier Lösungen zu finden, aber es ist keine Garantie."


