Rainer Berthold Schossig: Wenn das griechische Wort "Panta rhei – Alles fließt" zutrifft, dann im Augenblick insbesondere auf das Fließen des Euro. Eben ist eine erste Tranche des EU-Rettungsschirms von 14,5 Milliarden Euro an Athen geflossen. Die EWF hat seinen Anteil von 5,5 Milliarden Euro schon überwiesen. Dass mehr, viel mehr fließen wird, steht schon jetzt fest, und dass nicht nur banale Dinge wie Glück und Wohlstand des Einzelnen im Flusse sind, sondern auch ganze Währungen, das haben wir Deutschen ja schon mehrfach erlebt. Vor heute genau 20 Jahren, am 18. August 1990, wurde der Staatsvertrag über die deutsch-deutsche Währungsunion unterzeichnet, kurz darauf wurde die D-Mark als alleiniges Zahlungsmittel in der DDR eingeführt, die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion trat in Kraft. Frage an Klaus-Jürgen Grün, Philosoph an der Universität Frankfurt am Main: Die DDR-Bürger tauschten damals ihre Ostmark gegen die Westmark – man hätte ja meinen können, dass sie den abgegriffenen Aluchips keine Träne hinterherweinen würden – aber nein, sie waren traurig über diesen Verlust. Warum?
Klaus-Jürgen Grün: Ja, sie haben wahrscheinlich das gesamte Vertrauen ihres Wertes in diese Währung gesetzt. Währung und Geld bedeutet, dass wir ein Vertrauen zu einer bestimmten Sache, die eine sehr vergeistigte Natur hat, aufbauen.
Schossig: Und was passiert dann mit Staaten beziehungsweise in den Seelen, in den Köpfen ihrer Bürger, wenn sie über Nacht ihre Währung verlieren?
Grün: Das ist ungefähr so, als würde ein Mensch damit rechnen müssen, dass sein Leben bald zu Ende ist. Wir kommen auf die Welt mit der großen Angst, dass unser Ernährer irgendwie uns verlassen könnte. Wir Menschen können diese Angst und die Hoffnung, etwas zu bekommen, auf Dinge übertragen – der Teddybär reicht manchmal schon. Unsere Geldsysteme sind für uns das abstrakteste System, die Hoffnung, überleben zu können, auf eine Ware, auf einen Gegenstand, auf eine Münze übertragen zu können.
Schossig: Nun haben wir ja in Deutschland 1999 dann den Verlust des Geldes sozusagen in multilateralem Maßstab erlebt, die Europäische Währungsunion, der Euro wurde aus der Taufe gehoben, war damals gerade so um einen Dollar wert, und 2002 hatten wir dann nur noch Euro-Bargeld in der Hand und in der Tasche. Das Ende der Mark – war das eigentlich für die Bundesbürger vielleicht noch schlimmer, dieser Verlust, als für die Ex-DDR-Bürger?
Grün: Ich vermute eher nicht. Ich habe es nicht so erlebt, auch in meinem Umfeld nicht. Die Deutschen haben das relativ unromantisch übertragen auf den Euro, das Gefühl, dass alles teurer wird, war anfangs sehr stark, aber gleichwohl, sie haben sich schnell an diese neue Währung gewöhnt, weil sie ja auch eine ganze Menge Kaufkraft zunächst entfaltet hatte.
Schossig: Eine Währung hat also, wenn ich Sie richtig verstehe, anscheinend nicht nur mit finanzpolitischer, sondern mit staatlicher, mit innerer – sagten Sie eben – Sicherheit, aber auch mit nationaler Identität zu tun. Wie kommt das?
Grün: Geld ist in meinen Augen ein Versprechen. So wie ein anderes Versprechen auch. Wenn ich Ihnen verspreche, ich bringe morgen die rote Krawatte mit, dann kann ich heute etwas verfügbar machen, was aber nicht da ist. Unser gesamtes Wirtschaftsleben beruht darauf, dass wir Dinge verfügbar machen können, die wir im Moment nicht bei uns haben. Im Geld findet sich die Summe aller Versprechen wieder und mit diesem Versprechen können wir, solange das Vertrauen, dass das Versprechen eingehalten wird, ebenso umgehen wie mit einem Vertragsversprechen, mit jedem anderen Versprechen, von dem wir erwarten, dass es derjenige, der es verspricht, auch halten wird. Das Vertrauen in eine Währung ist nichts anderes wie das Vertrauen in das aufrichtig gesprochene Wort eines Menschen.
Schossig: Nun sind aber in der Finanzwelt relativ viele Versprechen gebrochen worden in den letzten Monaten und Jahren, und neben der Verlustangst bleibt den vielen Menschen da irgendwie das Gefühl der Ausgesetztheit. Wie kann man sich dagegen wehren?
Grün: Ja, wir erleben diese Krise ja auch als eine Krise des Vertrauens. Es ist das Vertrauen verloren gegangen, das Vertrauen, dass Geld wirklich diese Dinge verfügbar machen kann, die wir in es gesetzt haben. Und dieser Verlust ist wahrscheinlich der größte Anlass für die Finanzkrise, die ja seit einigen Jahren schon in Amerika herrschte, die dann nach Europa übergeschwappt ist und seit zwei Jahren die ganze Welt in Atem hält.
Schossig: Viele fürchten ja, dass der Euro nun bald keinen roten Heller mehr wert sei, ähnlich wie die Aluchips. Sie haben in Ihrem Buch "Geist und Geld" von einer zweiten Natur des Menschen gesprochen. Liegt hier wohl eine Erklärung für unser, ich sag mal, irrationales Verhältnis zum Geld?
Grün: Ja, sicher. Das Verhältnis zum Geld ist irrational, weil wir eine Erwartung in es setzen, die es am Ende ja nicht erfüllen kann. Wir übertragen die Hoffnung einer Sache auf einen vollkommen davon unabhängigen Gegenstand, das ist wie mit vielen geistigen Dingen auch so. Viele Menschen machen sich einen Gott, dem zuliebe sie glauben, alles tun zu können, wenn es auch der falsche Gott ist – jede Religion glaubt ja, den eigenen Gott zu kennen. Die geistige Kraft des Menschen bedeutet, dass wir eine Konstruktion schaffen, der wir Verantwortung, der wir Bedeutung beimessen, um vergessen zu können, dass wir am Ende alles selber bedeutend machen müssen, wenn wir uns daran halten können wollen.
Schossig: Das heißt, dass wir am Ende alles zahlen?
Grün: Am Ende müssen wir zahlen.
Schossig: Am Ende müssen wir zahlen und am Gelde hängt, zum Gelde drängt. Der Geld-Philosoph Klaus-Jürgen Grün war das über das Abhandenkommen ganzer Währungen.
Klaus-Jürgen Grün: Ja, sie haben wahrscheinlich das gesamte Vertrauen ihres Wertes in diese Währung gesetzt. Währung und Geld bedeutet, dass wir ein Vertrauen zu einer bestimmten Sache, die eine sehr vergeistigte Natur hat, aufbauen.
Schossig: Und was passiert dann mit Staaten beziehungsweise in den Seelen, in den Köpfen ihrer Bürger, wenn sie über Nacht ihre Währung verlieren?
Grün: Das ist ungefähr so, als würde ein Mensch damit rechnen müssen, dass sein Leben bald zu Ende ist. Wir kommen auf die Welt mit der großen Angst, dass unser Ernährer irgendwie uns verlassen könnte. Wir Menschen können diese Angst und die Hoffnung, etwas zu bekommen, auf Dinge übertragen – der Teddybär reicht manchmal schon. Unsere Geldsysteme sind für uns das abstrakteste System, die Hoffnung, überleben zu können, auf eine Ware, auf einen Gegenstand, auf eine Münze übertragen zu können.
Schossig: Nun haben wir ja in Deutschland 1999 dann den Verlust des Geldes sozusagen in multilateralem Maßstab erlebt, die Europäische Währungsunion, der Euro wurde aus der Taufe gehoben, war damals gerade so um einen Dollar wert, und 2002 hatten wir dann nur noch Euro-Bargeld in der Hand und in der Tasche. Das Ende der Mark – war das eigentlich für die Bundesbürger vielleicht noch schlimmer, dieser Verlust, als für die Ex-DDR-Bürger?
Grün: Ich vermute eher nicht. Ich habe es nicht so erlebt, auch in meinem Umfeld nicht. Die Deutschen haben das relativ unromantisch übertragen auf den Euro, das Gefühl, dass alles teurer wird, war anfangs sehr stark, aber gleichwohl, sie haben sich schnell an diese neue Währung gewöhnt, weil sie ja auch eine ganze Menge Kaufkraft zunächst entfaltet hatte.
Schossig: Eine Währung hat also, wenn ich Sie richtig verstehe, anscheinend nicht nur mit finanzpolitischer, sondern mit staatlicher, mit innerer – sagten Sie eben – Sicherheit, aber auch mit nationaler Identität zu tun. Wie kommt das?
Grün: Geld ist in meinen Augen ein Versprechen. So wie ein anderes Versprechen auch. Wenn ich Ihnen verspreche, ich bringe morgen die rote Krawatte mit, dann kann ich heute etwas verfügbar machen, was aber nicht da ist. Unser gesamtes Wirtschaftsleben beruht darauf, dass wir Dinge verfügbar machen können, die wir im Moment nicht bei uns haben. Im Geld findet sich die Summe aller Versprechen wieder und mit diesem Versprechen können wir, solange das Vertrauen, dass das Versprechen eingehalten wird, ebenso umgehen wie mit einem Vertragsversprechen, mit jedem anderen Versprechen, von dem wir erwarten, dass es derjenige, der es verspricht, auch halten wird. Das Vertrauen in eine Währung ist nichts anderes wie das Vertrauen in das aufrichtig gesprochene Wort eines Menschen.
Schossig: Nun sind aber in der Finanzwelt relativ viele Versprechen gebrochen worden in den letzten Monaten und Jahren, und neben der Verlustangst bleibt den vielen Menschen da irgendwie das Gefühl der Ausgesetztheit. Wie kann man sich dagegen wehren?
Grün: Ja, wir erleben diese Krise ja auch als eine Krise des Vertrauens. Es ist das Vertrauen verloren gegangen, das Vertrauen, dass Geld wirklich diese Dinge verfügbar machen kann, die wir in es gesetzt haben. Und dieser Verlust ist wahrscheinlich der größte Anlass für die Finanzkrise, die ja seit einigen Jahren schon in Amerika herrschte, die dann nach Europa übergeschwappt ist und seit zwei Jahren die ganze Welt in Atem hält.
Schossig: Viele fürchten ja, dass der Euro nun bald keinen roten Heller mehr wert sei, ähnlich wie die Aluchips. Sie haben in Ihrem Buch "Geist und Geld" von einer zweiten Natur des Menschen gesprochen. Liegt hier wohl eine Erklärung für unser, ich sag mal, irrationales Verhältnis zum Geld?
Grün: Ja, sicher. Das Verhältnis zum Geld ist irrational, weil wir eine Erwartung in es setzen, die es am Ende ja nicht erfüllen kann. Wir übertragen die Hoffnung einer Sache auf einen vollkommen davon unabhängigen Gegenstand, das ist wie mit vielen geistigen Dingen auch so. Viele Menschen machen sich einen Gott, dem zuliebe sie glauben, alles tun zu können, wenn es auch der falsche Gott ist – jede Religion glaubt ja, den eigenen Gott zu kennen. Die geistige Kraft des Menschen bedeutet, dass wir eine Konstruktion schaffen, der wir Verantwortung, der wir Bedeutung beimessen, um vergessen zu können, dass wir am Ende alles selber bedeutend machen müssen, wenn wir uns daran halten können wollen.
Schossig: Das heißt, dass wir am Ende alles zahlen?
Grün: Am Ende müssen wir zahlen.
Schossig: Am Ende müssen wir zahlen und am Gelde hängt, zum Gelde drängt. Der Geld-Philosoph Klaus-Jürgen Grün war das über das Abhandenkommen ganzer Währungen.