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Scheinselbstständigkeit kann zur Festanstellung führen

Scheinselbstständige können Anspruch auf eine Festanstellung haben und diese durch eine Statusklage einfordern. Vor einer Klage sollte aber geprüft werden, ob man einen Anspruch auf die gesetzliche Kündigungsfrist erworben habe, so der Arbeitsmarktexperte des DGB.

Wilhelm Adamy im Gespräch mit Sandra Pfister |
    Sandra Pfister: Geiz ist geil - in dieser Werbekampagne steckt viel Zeitgeist. Eine gesellschaftliche Mentalität, nach der jeder, der mehr zahlt als unbedingt nötig, ganz schön blöd ist. Davon sind viele Unternehmer nicht frei: Warum sollten sie Sozialabgaben zahlen, wenn es auch anders geht? Anders heißt, sie drängen ihre Mitarbeiter in die Selbstständigkeit. Damit sparen sie nicht nur die Sozialabgaben, sondern umgehen auch den Kündigungsschutz. Viele Mitarbeiter wollen das nicht, werden aber mehr oder weniger dazu gedrängt, auf eigene Rechnung und dennoch voll abhängig zu arbeiten. Wir reden darüber mit Wilhelm Adamy, dem Arbeitsmarktexperten des DGB. Herr Adamy, guten Tag!

    Wilhelm Adamy: Schönen guten Tag!

    Pfister: Herr Adamy, die Mitarbeiter der Finanzbehörden, die auf Schwarzarbeit hin kontrollieren, die meinen, da einen Trend zu beobachten, dass immer mehr Unternehmen Mitarbeiter drängen, doch vorzutäuschen, dass sie selbstständig seien. Ist das auch Ihr Eindruck?

    Adamy: Ganz genau, das ist auch ein Eindruck von uns. Gegen Selbstständigkeit ist grundsätzlich nichts einzuwenden, aber das Problem ist, wenn hier letztendlich Scheinselbstständigkeit vorliegt. Und es gibt vielfältige Hinweise, vielleicht generell, dass wir feststellen müssen, einerseits, es gibt massiven Anstieg der Soloselbstständigen, die nur alleine tätig sind, und Arbeitnehmer beschäftigt zu haben, davon haben wir zwischenzeitlich 2,5 Millionen - die sind nicht alle scheinselbstständig, aber doch ein beachtlicher Anteil -, und auch die Zahl der freien Mitarbeiter hat sich in den letzten Jahren verdoppelt.

    Pfister: Haben sich da die Branchen verändert? Kommt es heute viel häufiger vor als früher, weil man früher sagte, na ja, so was passiert mal auf dem Bau? Hat das heute auch andere Branchen infiziert?

    Adamy: Ja, es gibt immer mehr Branchen, die davon betroffen sind, beispielsweise neuerdings, wo das auch im Handel festzustellen ist bei denjenigen, die die Regale einräumen. Wir haben es sehr, sehr stark bei dem massiven Kostendruck im Weiterbildungsbereich, ich will den ganzen Journalistenbereich nicht ausklammern beispielsweise, wo auch unseres Erachtens relativ viele Scheinselbstständige sind, es ist aber auch in der Gastronomie, bei Sicherheitsdienstleistungen, in der Pflege, und neuerdings auch in steigendem Maße im IT-Bereich, im Speditionsbereich, beispielsweise bei Fahrern, die formal selbstständig sind, aber nur für ein Unternehmen fahren, und der Lkw gehört denen nicht einmal.

    Pfister: Niemand weiß aber letztlich genau, wie viele dieser Scheinselbstständigen Arbeitsverhältnisse es wirklich gibt in Deutschland, oder?

    Adamy: Nein, ganz genau, weil das insofern genau schwierig abzugrenzen ist auf der einen Seite, und wir haben das ja auch in den letzten Jahren - ich erinnere nur an die Ich-AG - in sehr, sehr starkem Maße letztendlich auch über die Arbeitsmarktpolitik gefördert.

    Pfister: Wenn jemand, der uns zuhört, sich gar nicht sicher ist, ob er denn vielleicht einen Anspruch auf Festanstellung hat, also ob er scheinselbstständig ist, muss der klagen?

    Adamy: Ja, er kann im Einzelfall, er muss es aber nicht. Wenn man die Arbeitszeiten nicht frei wählen kann, dann kann man letztendlich nur empfehlen auf der einen Seite den Kontakt zum Betriebsrat bei dem auftraggebenden Unternehmen zu suchen. Da würden wir raten, dass man erst einmal eine gewisse Wartezeit auf der einen Seite abwartet, damit hier jedenfalls die Wartezeit für den allgemeinen Kündigungsschutz von sechs Monaten auch eingehalten wird, und dann, nach Rückkopplung mit dem Betriebsrat, Statusklage letztendlich einreicht. Es gibt aber auch noch eine andere Möglichkeit: Bei unklaren Situationen können sich die Beteiligten an die Rentenversicherung wenden und beantragen, dass sie geprüft wird, ob eine normale Arbeitnehmertätigkeit vorliegt, oder ob es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt. Also das ist eine Möglichkeit, dass man gemeinsam bei einer unklaren Situation sich hier ein Meinungsbild einholen kann.

    Pfister: Gemeinsam hört sich ja gut an, aber im Zweifelsfall ist für den Betroffenen nicht viel gewonnen. Wenn dann nachträglich meinetwegen eine Festanstellung festgestellt wird, fliegt der wahrscheinlich trotzdem raus, oder?

    Adamy: Ja, deswegen ja der Hinweis, dass man in solchen Fällen eher eine Wartezeit abwartet, damit hier jedenfalls die allgemeinen Zeiten, ab der ein Kündigungsschutz gilt, auch greift. Bei der Rentenversicherung, da ist die Situation, dass die Rentenversicherung unter Abwägung aller Umstände den Einzelfall prüft. Und in derartigen Fällen muss es nicht zwangsläufig auch Konflikt mit dem Auftraggeber geben, denn manchmal ist es auch rechtlich sehr, sehr schwer, genau abzugrenzen: Liegt jetzt eine Arbeitnehmertätigkeit vor oder nicht?

    Pfister: Scheinselbstständig arbeiten, dahin geht in manchen Branchen der Trend. Wilhelm Adamy war das. Er ist Arbeitsmarktexperte des DGB.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.