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Scheitern eines Aufklärers

Die Geschichte des Altonaer Pastorensohns Johann Friedrich Struensee, der für kurze Zeit die Zügel im Staate Dänemark übernahm, hat Per Olov Enquist in seinem Roman "Der Besuch des Leibarztes" erzählt. Nikolaj Arcel hat daraus einen Kostümfilm und ein zeitgemäßes Lehrstück gemacht.

Von Rüdiger Suchsland | 15.04.2012
    "Rousseau - Der Mensch ist frei geboren, doch überall liegt er in Ketten - darf ich mir das auch ausleihen?"

    Europa, Zeit der "lumieres", der Lichter, wie man in Frankreich sagt, wenn man die Europäische Aufklärung meint. Die Welt veränderte sich und die Vordenker dieser Veränderung, die Philosophen Rousseau und Voltaire waren wie Popstars in diesem Zeitalter.

    Die Geschichte des Johann Friedrich Struensee gehört zu den spannendsten unter den wahren Geschichten dieser Zeit. Der deutsche Arzt, Sohn eines Predigers, wurde 1768 Leibarzt des psychisch labilen, womöglich geistesgestörten König von Dänemark, Christian VII. Bald gelangte er am Kopenhagener Hof zu großem Einfluss:

    "Du könntest ein überragender König werden, Christian, Du könntest viel bewegen."

    Bald wurde Struensee zum Minister ernannt und nutzte seine Macht, um das ökonomisch und intellektuell rückständige Land im Schnellverfahren zu modernisieren. in mehr als tausend Verordnungen, schaffte er Zensur und Folter ab, verkündete Glaubens- und Pressefreiheit, beschnitt die Macht des Adels:

    "Der König steht unter dem Einfluss eines Aufklärers."

    So weit, so gut, und vielleicht hätte Johann Friedrich Struensees Geschichte sogar ein Happy End genommen, hätte er sich nicht auch noch in die dänische Königin Caroline Mathilde verliebt und sie in ihn. Als diese unmögliche, verbotene Liebe aufflog, hatten Struensees Widersacher endlich ein unschlagbares Argument gegen den libertären Störenfried, in der Hand. Unerbittlich sollte er büßen - man machte mit ihm kurzen, harten Prozess und richtete ihn 1772 hin.

    Eine wahre Geschichte also, eine dramatische Geschichte. Eine Geschichte, die von Wahnsinn handelt, von Leidenschaften, von der Freiheit und ihren Feinden.

    Der Schriftsteller Per Olov Enquist hat sie in seinem Roman "Der Besuch des Leibarztes" erzählt, und der dänische Regisseur Nikolaj Arcel hat sie jetzt verfilmt.

    "En kongelig affære", "Die Königin und der Leibarzt", der auf der Berlinale im Wettbewerb zwei silberne Bären gewann, ist ein Kostümfilm mit klassischen Mitteln: Galoppritte durch prächtige Wälder, Maskenbälle mit wallenden Kleidern und enger Korsage, die die Dekolletés der Damen üppig zur Geltung kommen lässt, und Männer, denen die gepuderte Perücke verrutscht.

    Filmisch sehr einfallsreich ist das zwar nicht, abgesehen von einigen Momenten, in denen die Regie die klassischen Gemälde-Tableaus der europäischen Malerei zum Leben erweckt - aber allemal hübsch anzusehen, zumal drei hervorragend aussehende Stars des europäischen Films die Hauptrollen spielen: Da ist zuerst der Däne Mads Mikkelsen, bekannt einerseits als Actionstar und James-Bond-Bösewicht, anderseits bald als "Michael Kohlhaas" mit Bruno Ganz auf der deutschen Leinwand zu sehen. Dann Mikkel Boe Følsgaard, der als schizophrener König Christian VII. darstellerisch aus dem Vollen schöpfen kann - eine dankbare Rolle, die mit einem Berlinale-Bär prämiert wurde. Und schließlich der schwedische Shootingstar Alicia Vikander in der Rolle der Königin Caroline Mathilde.

    Erzählt wird das alles aus ihrer Perspektive - der einer englischen Prinzessin mit aufgeklärten Neigungen, die am dänischen Hof mit einem labilen Gatten erstmal ziemlich einsam war.

    Der Regisseur inszeniert ein finsteres, von Verschwörern und Gefahren durchtränktes Dänemark als Bastion der Gegenaufklärung im 18. Jahrhundert. Sein Film ist ein vielleicht trotz aller Kostüme allzu zeitgemäßes Lehrstück. Denn es handelt von der Skepsis gegenüber der Aufklärung, von der Furcht vor zu viel Freiheit.

    Die wahre Geschichte ging nämlich viel besser aus als der Film. Nach der Hinrichtung Struensees und dem Sieg der Freiheitsfeinde kam Friedrich VI., Sohn Christians VII. und Caroline Mathildes auf den Thron, und setzte das Werk Struensees und seiner Eltern mit großem Erfolg fort.

    Dänemark wurde eines der liberalsten Länder Europas - und das ist es bis heute.