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Schelmenroman auf der Bühne

"Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen ist der erste deutschsprachige Roman der Geschichte. Ein Abenteuer- und Schelmenroman, 1000 Seiten stark, fünf Bücher lang. Die Handlung ist kaum nachzuerzählen und zeichnet ein wüstes Bild der verwilderten deutschen Gesellschaft nach dem 30-Jährigen Krieg. Der Schauspieler Thomas Dannemann hat nun eines Fassung des Autoren(-pseudonyms) Sören Voima am Kölner Schauspiel inszeniert.

Von Dorothea Marcus |
    Die Halle Kalk ist kaum verändert und doch zu einer dunklen, geschändeten Kirche geworden: Ein Altarblock an der hinteren Wand, eine abgeblätterte Madonna auf Rädern, auf dem Boden liegt Stroh und die gesamte Weltenkulisse des Simplicissimus entsteht mit Hilfe von rund 50 Holzstühlen. Wie brutal es in deutschen Wäldern während des Dreißigjährigen Kriegs zugegangen sein mag, erahnt man gleich: der alte Simplicissimus erschlägt in der Kirche den Mann, der ihn einst getauft hatte. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, es geht ums nackte Überleben. Genau die gleiche Szene beendet nach fast vier Stunden den Abend und zeigt seine Quintessenz: Simplicissimus durchläuft in seinem abenteuerlichen Leben, in seinen Reisen durch Deutschland, nach Paris, Rom bis nach Japan keine Entwicklungsgeschichte, sondern verkörpert das Bild einer Epoche. Deutschland im Krieg, Mitte des 17. Jahrhunderts: ein irdisches Jammertal, in dem es keine Hoffnung gab, in der Gewalt, Mord und Totschlag regieren. Und obwohl das eigentlich ein barocker Gedanke ist, lässt er sich ohne weiteres auf die heutige Zeit anwenden.

    Regisseur Thomas Dannemann ist eigentlich ein Schauspieler. Er war etwa der grandiose Hamlet in Jürgen Goschs legendärer Macbeth-Inszenierung. Dass er der Schule des Altmeisters Gosch anhängt, spürt man den ganzen Abend lang. Aber es tut ihm keinen Abbruch: Wie Gosch stellt Dannemann verschwenderisch die theatralischen Mittel aus. Blutfontänen spritzen aus Plastikflaschen, um das willkürliche Morden zu zeigen, Kunstschnee wird aus Plastiktüten gekippt, wenn es in deutschen Wäldern Winter wird, aus dem Pullover wird ein Dudelsack, aus einer alten Schnur ein Kälberschwanz, eine Blechwanne zum Eingang in eine zauberhafte Wasserwelt. Aus fast nichts entsteht in der Kirche so ein gruseliges, endzeitliches Kaleidoskop des Schreckens, eine Endlosschleife der Gewalt und der Abgesang auf die Bestie Mensch - obwohl der sich so nach Erlösung, Frieden und Seelenheil sehnt. Auch dafür steht die Kirche als Bühnenraum - immer wieder braust im Hintergrund ein echter Orgelspieler.

    Und weil die Mittel, die zu dieser düsteren Erkenntnis führen, so einfach und elementar sind und die Fantasiereisen im Kopf des Zuschauers auslösen, entfaltet der Abend große Wucht.

    Alles steht und fällt mit der Hauptfigur. In Köln ist er zweigeteilt: Der alte Simplicissimus ist weise, abgeklärt und fast schon zynisch und wird von Michael Weber im Hausmeisterkittel gespielt - am Lebensende bleibt eben nur noch die Verwaltung der Vergangenheit übrig. Er kommentiert, erzählt rückblickend, führt aber auch den jungen Simplicius immer wieder auf den rechten Lebensweg zurück, erzieht ihn oder rettet ihn manchmal auch aus dem Tod. Und deshalb ist er, nur durch einen Bart verwandelt, auch der Eremit, bei dem der Simplicius zunächst aufwächst.


    " - Was weißt du von unserem Herrgott?
    - Von unserem Herrgott? Alles. Er ist an unsrer Stubentür gehangt.
    Mein Boiler hat ihn frisch vom Markt gebrannt und aufgehangt. Aber der ist jetzt auch verbrennt. "

    Der junge, sein alter Ego, handelt und wird von Jan-Peter Kampwirth gespielt: zuerst im Strampelanzug, als Parzivalfigur. Ein reiner, naiver Tor, der weltfremd alles mit sich machen lässt, im Stroh Erbrochenes aufleckt und sich als Kalb vorführen lässt, aber auch immer in philosophische Tiefen schürft.

    Oberwasser und richtige Kleidung bekommt er erst, als er sich entschließt, als Jäger von Soest oder Räuber selbst zu morden und zu rauben. Die übrigen Schauspieler, 8 Männer und eine Frau, wechseln fliegend die Rollen, werden von Adeligen zu Soldaten zu Wegelagerern, von Huren zu heulenden Kurzzeit-Ehefrauen - und spielen uns derb, urkomisch und liebevoll ein Stück Volkstheater vor, in der die Figuren zwar Karikaturen sind, aber dennoch ernst genommen werden.

    Im ersten Teil wird der Lebensweg des Simplicissimus noch langsam auserzählt, später, je verwüsteter und dreckiger die Bühne aussieht, entgleitet auch die Handlung, der man auch im Roman nicht mehr folgen kann - dann schleichen sich, das ist unvermeidlich, Längen ein. Doch noch schwieriger als die Nacherzählung der Handlung des ersten deutschsprachigen Romans überhaupt ist das Einfangen seiner Sprache. Denn die ist derb, barock, oft dialektisch eingefärbt und verschachtelt altertümlich.


    " Mein Knan - also Knan nannte man Väter bei uns - besaß den prächtigsten Palast. Im Spessart wo de Wölf einander gude Nacht sagen... und meine Erziehung war ooch dementsprechend. Mit zehn schon beherrschte ich sämtliche Exerzitien meines Standes. Als da sind: im Hintern lecken, das Maul halten, bis fünf zählen, die Sackpfeife blasen. "

    Die Fassung des Pseudonym-Autoren Sören Voima und des Regisseurs Thomas Dannemann behilft sich mit Metakommentaren und Modernismen. Das ist ein wenig schade, von der barocken Sprechweise hätte man ruhig mehr als ein paar Zitate hören mögen.

    Und doch gelingt an diesem Abend nichts weniger, als den Geist eines nahezu unspielbaren Stücks Weltliteratur einzufangen: zwischen Groteske und Grauen, Endzeitstimmung und Ewigkeitssehnsucht.