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Schenk: Doping-Aufarbeitung muss nachgeholt werden

Die ehemalige Sportfunktionärin Sylvia Schenk hält es für ein falsches Signal, wenn ohne Diskussion und ohne Aufarbeitung Personen im Sport Verantwortung tragen, die früher auf Doping gesetzt haben. In solchen Fällen sei es wichtig, sich mit den Personen genauer zu beschäftigen und darüber hinaus Schulungen anzubieten.

Sylvia Schenk im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 28.03.2009
    Jessica Sturmberg: Am Telefon ist Sylvia Schenk, Vorsitzende von Transparency International Deutschland, ehemalige Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer und Juristin mit dem Fachgebiet Arbeitsrecht. Frau Schenk, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble weist heute in der "FAZ" zu der Debatte um belastete Trainer hin, dass diese Doping-Vergehen – ob sie nun in der DDR oder in Westdeutschland stattgefunden haben – längst verjährt seien, sowohl strafrechtlich als auch sportrechtlich. Sie sind zum einen Arbeitsrechtlerin und zum anderen kennen Sie sich gut mit Sportpolitik aus – wie beurteilen Sie das?

    Sylvia Schenk: Strafrechtlich werden die meisten Sachen verjährt sein, außer sie haben in den letzten paar Jahren stattgefunden. Aber was in der DDR war, ist ja nun über 20 Jahre her, damit ist das strafrechtlich nicht mehr relevant und auch sportrechtlich und sportrechtlich heißt ja, welche Verbandsstrafen können ausgesprochen werden, also unter dem WADA-Code, dem Anti-Doping-Code – auch da dürften diese Taten längst verjährt sein. Was anderes ist, und das sagt auch Bundesinnenminister Schäuble, die arbeitsrechtliche Situation, da kann es eben sein, dass jemand eine Erklärung unterschrieben hat "Ich habe nie etwas mit Doping zu tun gehabt" und hat dabei gelogen. Wenn das dann heute ans Tageslicht kommt, kann es durchaus noch relevant sein.

    Jessica Sturmberg: Wie wäre das denn zu beurteilen, wenn der jeweilige Verband sehr wohl von den Dopingvergehen gewusst hat?

    Sylvia Schenk: Dann war es ja keine Lüge, dann kann es eigentlich keine Rolle spielen.

    Jessica Sturmberg: Jetzt befinden wir uns ja möglicherweise in der Situation, dass Verbände durchaus wussten, wen sie da genau anstellen. Dann haben wir im Grunde juristisch nichts mehr offen.

    Sylvia Schenk: Das wird man sich dann im Einzelfall anschauen müssen. Unter Umständen gibt das sehr komplizierte Prozesse, in denen das dann nachgewiesen werden muss, wer hat was wann gewusst, oder wissen müssen, oder wer hat auch nur weggeschaut. Ich glaube allerdings nicht, dass man die aktuelle Diskussion und die dahinter stehende Problematik mit juristischen Mitteln wirklich lösen kann, zum einen ist es dann unter Umständen ungerecht, wenn es auf dem Rücken eines Trainers, einer Person ausgetragen wird, und zum anderen befriedet das auch die Situation nicht. Wir müssen eigentlich politisch damit umgehen und da glaube ich, dass es richtig wäre, wenn man nach Ost und nach West schaut. Also, insgesamt sich die Dopingvergangenheit anschaut und dabei dann auch sagt, wir müssen einfach mal alles auf den Tisch legen, was war. Also nicht eine Amnestie, indem einfach nicht mehr darüber geredet wird, sondern eine Art von Amnestie für diejenigen, die jetzt bekennen, was gewesen ist.

    Jessica Sturmberg: Nun muss man unterscheiden zwischen der juristischen Auseinandersetzung und der ethischen Auseinandersetzung. Nichtsdestotrotz wird ja häufig auf die juristische Seite verwiesen, es gibt häufig die Aussagen von Sportpolitikern und Sportfunktionären, "Das ist ja alles schon längst verjährt" – das entlastet den jeweiligen Verband oder Sportpolitiker nicht aus der ethischen Verantwortung?

    Sylvia Schenk: Das ist das eine, und zum anderen: Man muss sich im Einzelfall auch anschauen, da wo eine Tat strafrechtlich verjährt ist, wie hat sich derjenige denn hinterher weiter verhalten. Hat man die Gewähr, dass er in den Jahren danach wirklich sauber gearbeitet hat, das ist also der eine Punkt, und das andere auch aus meiner Sicht ethisch wichtige Thema ist die Frage, welches Signal wird eigentlich gesetzt, wenn ohne Diskussion und ohne, dass man versucht, die Vergangenheit aufzuarbeiten, Personen beschäftigt werden im Sport und Verantwortung tragen, die eben früher auf Doping gesetzt haben. Vor allen Dingen ist auch die Frage, ob diese Personen dann wirklich von heute auf morgen in der Lage waren umzuschalten und zu sagen, bisher meinte ich, man kann Siege nur mit Doping erringen, aber jetzt gilt das nicht mehr. Die Aufarbeitung, die nicht geleistet wurde Anfang der 90er-Jahre, die wird uns ewig nachhängen, wenn wir sie jetzt nicht nachholen.

    Jessica Sturmberg: Wenn jemand sozialisiert war in einem Dopingsystem, mal völlig unabhängig davon, wo das Ganze statt gefunden hat, dann ist es ja sicherlich schwierig heute herauszufinden, wie tickt dieser Mensch denn heute?

    Sylvia Schenk: Man muss sich vor allen Dingen darum kümmern, man muss Schulungen machen, gerade auch mit ehemaligen Trainern aus der DDR, genauso wie übrigens denjenigen, die im Westen sicherlich auch keine Unschuldslämmer waren, da hat's ja einige gegeben, und man muss immer wieder deutlich machen, dass man jetzt einen sauberen Sport will und Wege aufzeigen, wie das auch funktioniert. Solange die Leistungen gemessen werden und auch die Bezahlungen daran anknüpfen, wie deutsche Athleten zum Beispiel im Verhältnis zu Athletinnen und Athleten aus Russland abschneiden, wenn man gleichzeitig weiß, aufgrund auch jüngster Fälle, dass in Russland sehr gerne darüber weggesehen wird, ob da gedopt wird oder nicht, dann macht man sich unglaubwürdig, dann muss man wirklich das ganze System überdenken.

    Jessica Sturmberg: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sagt auch, dass er glaubt, das wir in der Endphase der Auseinandersetzung seien. Sind wir das?

    Sylvia Schenk: Ich hoffe, dass wir es sind, es wird aber davon abhängen, wie wir diese Phase jetzt konkret gestalten, so wie ich das gelesen habe, sagt auch Wolfgang Schäuble, man muss denen, die sich jetzt bisher noch nicht offenbart habe, die Chance geben zu sagen, was sie getan haben, also er spricht wörtlich von Selbstbezichtigung, und dann ihnen allerdings auch die Perspektive aufweisen, dass sie damit jetzt nicht aus dem System ganz raus fliegen, sondern durchaus auch ihren Platz im Sport behalten können. Das schließt dann allerdings durchaus mit ein, dass Schulungen stattfinden, zusätzliche Kontrollen, oder wie auch immer, wenn man beim Einzelnen nicht sicher ist, ob er wirklich der Vergangenheit abgeschworen hat.

    Jessica Sturmberg: Nun sprechen wir die ganze Zeit immer von denjenigen, die das Doping verabreicht haben oder angewiesen haben, wie ist das denn vonseiten der Opfer zu sehen?

    Sylvia Schenk: Das ist ganz wichtig, auch die Opfer in den Blick zu nehmen, denn nur dann ist langfristig eine Bereinigung der Situation ein wirkliches Aufarbeiten möglich, wobei ich bei Opfern jetzt nicht nur an diejenigen denke, wo es schon viel Diskussionen gegeben hat, die also körperliche Schäden davon getragen haben, die also sehr hart auch betroffen sind, aber der Opferkreis ist ja viel größer. Es gibt ja durchaus auch Sportlerinnen und Sportler, die in der DDR sich geweigert haben, Dopingmittel zu nehmen und die dann aussortiert wurden, also gar nicht die Chance hatten, eine erfolgreiche Karriere im Sport zu machen. Teilweise wurden die dann auch aus Universitäten rausgeworfen, haben also auch Berufschancen dadurch verpasst, man denke nur mal an Antje Misersky, die dann 1992 vom Westen aus noch Olympiasiegerin im Biathlon wurde, die aber drei Jahre zuvor in der DDR aussortiert worden war. Ihrem Vater war fristlos gekündigt worden, weil er sich geweigert hatte, seiner eigenen Tochter Dopingmittel zu verabreichen. Auch solche Opfer gibt es und wir brauchen insgesamt eine Versöhnung.

    (Sport am Samstag)