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"Memorial"-Mitgründerin
Scherbakowa: Änderung in Russland nur ohne Putin möglich

Die russische Historikerin und Bürgerrechtlerin Irina Scherbakowa hält eine Veränderung der russischen Gesellschaft nur ohne Präsident Putin für möglich. Scherbakowa sagte dem Deutschlandfunk, seit der ersten Präsidentschaft Putins 1999 sei die Vergangenheit des Landes immer mehr glorifiziert, der Nationalismus immer stärker geworden.

    Die russische Bürgerechtlerinund Mitbegründerin von Memoria, Irina Scherbakowa, steht vor der Friedrich Schiller Universität in Jena. Sie ist Mitbegründerin von Memorial.
    Die russische Bürgerrechtlerin Irina Scherbakowa (picture alliance / dpa / Bodo Schackow)
    Aus Geschichtspolitik sei Geschichtspropaganda geworden, sagte Scherbakowa. "Die Jugendlichen wurden natürlich immer mehr und mehr zum Objekt dieser Propaganda."
    Die Historikerin arbeitete als Mitglied der Menschenrechtsorganisation "Memorial" vor allem die Zeit des Stalinismus in Russland auf. "Memorial" bekam im vergangenen Jahr den Friedensnobelpreis, am selben Tag ordnete ein Moskauer Gericht die Beschlagnahmung der Büros der Organisation an. Mittlerweile ist "Memorial" in Russland verboten.
    Scherbakowa erinnert sich: "Da hat der Staatsanwaltschaft letztlich ganz offen gesagt, worum es geht: Sie haben versucht, ein negatives Bild vom Sowjetstaat zu vermitteln, das ist nicht unsere Politik. Und Sie haben versucht, unsere Jugendlichen negativ zu beeinflussen."
    Scherbakowa rief im Deutschlandfunk zum Widerstand gegen den russischen Präsidenten auf. Jeder, der irgendetwas gegen Putin tun könne, sei es in Russland oder außerhalb Russlands, müsse das auch tun. "Ich glaube, Putins Regime muss weg, und dazu muss alles gemacht werden. Das kann wahrscheinlich nur durch den Sieg der Ukraine im Krieg gewährleistet werden." Der Prozess der Änderung würde ein sehr schwerer: "Wahrscheinlich mit der Bildung von Tribunalen, ganz breiten Reformen. Dann gibt es vielleicht für Russland eine Chance."
    Der Krieg gegen die Ukraine sei eine unbeschreibliche Katastrophe, sagte Scherbakowa. Die Ukraine müsse siegen. An eine rasche Aussöhnung der Ukrainer mit Russland glaubt sie aber auch dann nicht. "Es ist zu viel passiert, um von einer Aussöhnung zu sprechen. Aber der Beginn eines Nebeneinanders muss dann anfangen, wenn dieser Krieg beendet wird, und zwar unter den Bedingungen, die die Ukraine gestellt hat, dass man die Schuldigen wirklich zur Verantwortung zieht."
    Diese Nachricht wurde am 23.02.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.