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Scherben bringen kein Glück

Der höchste Wolkenkratzer in Westeuropa ragt in den Himmel von London. Doch Finanzprobleme verzögerten die Eröffnung von "The Shard", zu Deutsch die Scherbe. Eine weitere Panne war das monatelange Schweigen der PR-Abteilung gegenüber Presseanfragen. Nunist das über 300 Meter hohe Bauwerk eröffnet worden.

Von Jochen Spengler |
    Der Premierminister von Katar gab sich die Ehre bei der Einweihung des Shard Anfang Juli mit Musik- Licht- und Lasershow.

    Gefeiert wurde allerdings bloß die Fertigstellung der Außenkonstruktion. Erst im Februar 2013 wird das höchste Hochhaus Westeuropas wirklich eröffnet. Bauherr Irvine Sellar weist aber den Vorwurf einer Mogelpackung zurück:

    "Nein, das war für uns der perfekte Zeitpunkt. Einige Milliarden Augen schauen nun auf uns wegen der Olympischen Spiele. Wir haben die Einweihung bewusst zwischen dem diamantenen Jubiläum der Queen und Olympia geplant, weil es für uns kein besseres Zeitfenster geben konnte für weltweite Aufmerksamkeit."
    Entschlossen greift der Sellar zu all den Superlativen, die die inzwischen ausgewechselte PR-Agentur aus ihrer Kreativschublade geholt hat, um das neue Bauwerk am Themse-Südufer direkt neben dem Bahnknotenpunkt London Bridge zu preisen:

    "Der Shard ist die endgültige Vision für Londonbridge, ein neues dynamisches Viertel unserer Stadt. Er wird modernes Wahrzeichen sein für unsere großartige City, das als elegantes, machtvolles Symbol dient für Hoffnung und Wohlstand."

    Wie dem auch sei - London wird auch diese Architekturikone verkraften. Die Idee dazu hatte der Selfmademan, der in der Carnaby Street als Hosenverkäufer begonnen hat, vor zwölf Jahren. Es sollte ein Gebäude sein, mit dem - so wird er zitiert - London dem Eiffelturm in den Hintern treten könne.

    Nein, das habe er nicht gesagt, er möge die Franzosen und ihre guten Restaurants, aber der Shard sei eines der schönsten Gebäude, das ich je gesehen habe, natürlich eine subjektive Sicht.

    Einzigartig ist die hochgezogene gläserne Pyramide zweifellos. Schlank reckt sie sich mit ihrer unregelmäßigen Zackenspitze 310 Meter in Londons Himmel, dessen Farben von 11.000 Glasscheiben ständig reflektiert werden. Das war unsere Absicht, so sagt William Matthews vom federführenden Büro des Stararchitekten Renzo Piano.

    "Für uns war wichtig, dass es eine elegante Struktur ist, und wie sie im Kontrast zum Himmel und zu den anderen Gebäuden gesehen wird, wie sie die aufnimmt und ausblendet, wie der Neigungswinkel der Fassade sein soll, die das Wetter spiegelt, das sind alles Schlüsselideen gewesen, die wir über die Jahre entwickelt haben.

    Heraus kam ein außergewöhnlicher Wolkenkratzer, dreimal höher als St. Pauls Cathedral. Unten Geschäfte und Büros - ab der 31. Etage Restaurants, in der Mitte ein 200-Zimmer-fünf-Sterne-Hotel mit Pool, dann 13 Stockwerke Luxuswohnungen und ganz oben schließlich Aussichtsetagen.

    Dass dieses Hochhaus angesichts seiner Bedeutung dem Volk gehören müsse, ist auch so ein Spruch, der nur im übertragenen Sinn gemeint sein kann. Denn mehrheitlich gehört es dem Emir von Katar. Die Büromieten liegen bei einem Quadratmeterpreis von rund 1000 Euro. Der Kauf eines Apartments kostet bis zu 65 Millionen.

    Billiger, wenn auch nicht billig wird der Besuch der Aussichtsplattformen ab der 69. Etage; zwei Hochgeschwindigkeitsaufzüge katapultieren einen ab kommendem Februar in jeweils einer halben Minute nach oben. Erwachsene zahlen dafür mehr als 30, Kinder 25 Euro. Familienkarten gibt's nicht.

    So schwärmt der Betreiber Andy Nyberg vom Ausblick und tatsächlich ist der 360-Grad-Blick auf die Acht-Millionen-Metropole überwältigend, sie liegt da wie eine Modelleisenbahnlandschaft mit den Miniaturausgaben all der berühmten Sehenswürdigkeiten. Die angebliche Disproportionalität hatte die Kritiker der Unesco auf den Plan gerufen, die den Weltkulturerbestatus des Towers of London gefährdet sehen. Ihnen entgegnet Bauherr Sellar, dass man von hier oben den Tower oder St. Pauls doch sehr viel klarer sehe als von unten.

    "Wir haben, glaube ich eine ganze Menge für das Kulturerbe getan."