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Scherbentanz in Wuppertal
Stadt trennt sich von Intendantin

"Zerrüttete Verhältnisse" und eine arbeitsrechtlich schwierige Konstruktion zwischen Intendanz und Geschäftsführung seien für das Desaster am Tanztheater Wuppertal verantwortlich, sagte Tanzkritikerin Elisabeth Nehring im Dlf. Jetzt gelte das alte Pina-Bausch-Motto: tanzen, tanzen, tanzen.

Von Elisabeth Nehring | 14.07.2018
    Kulturmanagerin Adolphe Binder wird am 01.02.2016 in Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) als neue künstlerische Intendantin des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch vorgestellt. Binder, die zur Zeit künstlerische Direktorin der Tanzcompagnie an der Staatsoper in Göteborg ist, tritt ihr neues Amt im Mai 2017 an
    Die ehemalige Intendantin des Wuppertaler Tanztheaters Adolphe Binder (dpa / picture alliance / Caroline Seidel)
    Jemand muss sehr lange an dieser Beiratserklärung gefeilt haben. Sie ist so nichtssagend formuliert, dass sie zwischen den Zeilen schon wieder vieles preisgibt. Kein einziger der Vorwürfe gegen Adolphe Binder wird darin wiederholt – einzig die "Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit" als Grund für die Trennung von der Intendantin benannt. Auf Nachfrage lässt der Beirat des Tanztheaters Wuppertal verlauten, man hätte feststellen müssen, das Verhältnis zwischen Adolphe Binder und der Geschäftsführung sowie "mehreren leitenden Mitarbeitern" sei "zerrüttet" und auf dieser Basis keine vertrauensvolle Zusammenarbeit mehr möglich gewesen. Künstlerische Gründe hätten dagegen bei der Entscheidung keine Rolle gespielt.
    Einfallstor für Zersetzungsprozess
    Ach Wuppertal ..... Was Pina Bausch wohl dazu gesagt hätte, dass künstlerische Gründe bei Personalentscheidungen keine Rolle spielen, bleibt mal dahingestellt. Die Aussage ist aber noch in einem anderen Zusammenhang interessant, denn sie spiegelt den Geburtsfehler der ganzen arbeitsrechtlichen Konstruktion zwischen Intendanz und Geschäftsführung wider, der für das ganze Desaster verantwortlich ist, in dem sich das Tanztheater Wuppertal jetzt befindet. Denn anders als üblich, war dort die Intendanz bislang nicht bei der Stadt, sondern bei der Geschäftsführung angestellt – und ihr damit unterstellt. Das hieß für Adolphe Binder: alle künstlerischen Entscheidungen mussten vom Geschäftsführer abgesegnet werden. Damit diese Konstruktion was taugt, müssen sich zwei Menschen schon sehr gut verstehen. In diesem Fall aber war sie das Einfallstor für den Zersetzungsprozess, der nun in der fristlosen Kündigung mündete. Wie es scheint, wurde Adolphe Binder in der Realisation ihrer künstlerischen Visionen für das Tanztheater Wuppertal von Dirk Hesse nicht nur nicht unterstützt, sondern sogar behindert. Es hat sich herausgestellt, dass die inzwischen ehemalige Intendantin zusammen mit Tänzern und Mitarbeitern seit Monaten einen Spielplan erarbeitet hatte, der von der Geschäftsführung aber nicht genehmigt wurde. Auch die bereits anberaumte Pressekonferenz wurde vom Geschäftsführer abgesagt.
    Struktur auf dem Prüfstand
    Dass der zum Ende des Jahres nun auch geht, wie es der Beirat erklärt, kommt eher überraschend. Dirk Hesse wolle mit seinem Weggang einen Neuanfang ermöglichen, heißt es. Das hätte er sich natürlich auch früher überlegen können. Vielleicht nur eine freundliche Umschreibung dafür ist, dass auch er nicht mehr tragbar war. Dass unter diesen Umständen überhaupt eine sehenswerte erste Spielzeit mit zwei erfolgreichen Uraufführungen, mehreren Wiederaufnahmen und zahlreichen Gastspielen über die Bühne gegangen ist, ist eigentlich ein Wunder – und genauso unbegreiflich ist es, dass die Stadt die Intendantin feuert, der sie das zu verdanken hat.
    Immerhin – die Struktur des Tanztheaters wird auf den Prüfstand gestellt – und mit einem internationalen Expertengremium über die Zukunft des weltberühmten Ensembles diskutiert. Bis dahin steht das Tanztheater vor einem Scherbenhaufen. Adolphe Binder wurde mit ihren Ideen für einen Neuanfang von der Diktatur des Apparats verhindert. Den Tänzerinnen und Tänzern aber bleibt derzeit nichts weiter als das, was Pina Bausch einmal sagte – nicht ahnend, was es irgendwann einmal bedeuten wird: tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren.