Archiv


Scherz, Sartire, Ironie und Happiness

Die Salzburger Festspiele haben ihre theatralische Nachwuchsabteilung, das Young Directors Project, dieses Jahr ebenso unter das Thema Komödie gestellt wie alle anderen Sprechtheaterproduktionen. Nun sind die Ergebnisse zu besichtigen. Sie sind ernüchternd.

Von Karin Fischer |
    Das Young Directors Project ist eine wertvolle Veranstaltung. Die Füllerfirma Montblanc finanziert die vier Produktionen samt Preis und exklusivem Max-Reinhardt-Pen mithilfe einer limitierten Auflage von teuren Federhaltern, Stückpreis 13.500 Euro. Der Auftrieb der Großkarossen vor dem Festspielhaus lässt den Glauben an die Verkäuflichkeit der Edelfedern durchaus plausibel erscheinen.

    Die ganz jungen Regisseurinnen und Regisseure sollen dagegen gerade nicht den guten Geschmack bedienen, sondern Umstrittenes, mindestens Kontroverses liefern. Sie sind zwar keine "Entdeckungen" mehr zu nennen, ihre Inszenierungen wurden von Anfang an auf dem vielfältigen Koproduktionsmarkt zwischen Geßnerallee Zürich, Hebbel am Ufer Berlin, Schauspiel Frankfurt oder Deutschem Schauspielhaus in Hamburg herumgereicht. Das deutsche Stadt- und Staatstheatersystem giert nach neuem Futter. Barbara Weber und Roger Vontobel, um die es hier geht, waren außerdem beide zum Bestentreffen der Off-Theater, dem IMPULSE-Festival 2006 geladen.

    Barbara Webers Regiekonzept wird so beschrieben: große Stoffe, trashige Aufmachung, medienkritischer Zugriff, einfache Mittel. "unplugged" eben, wie es im Untertitel öfter heißt. Ablesen ist erlaubt, wenn die Schauspieler die Eitelkeiten und Selbstvermarktungsstrategien etwa der RAF entlarven, der Schwarzenbewegung von Malcolm X bis Michael Jackson nachgehen oder der österreichischen Schauspiel-Ikone Paula Wessely die Maske vom Gesicht zu reißen versuchen. Zwischen fröhlicher Anarchie, ernsthafter Medienkritik und großem Kinderspaß ist dabei ästhetisch und formal alles möglich.

    So auch gestern Abend in Salzburg bei "Victor! Happiness is a warm gun", einem Stück nach Roger Vitrac. In der heute selten gespielten Familienfarce "Victor oder Die Kinder an die Macht” betrieb Vitrac das in der Zeit der Surrealisten beliebte Bürger-bashing so intensiv, dass seine Erstaufführung in Paris durch Antonin Artaud letztendlich die Schließung des Theaters Alfred Jarry zur Folge hatte.

    Inhaltlich geht es um einen Kindergeburtstag, bei dem fast nur Erwachsene eingeladen sind, und der exzessiv ausufert und mit vielen Toten endet, weil der Musterknabe Victor beschließt, ganz fürchterlich aus der Rolle zu fallen:

    "Ich bin neun Jahre alt. Bis zum heutigen Tag war ich ein Musterknabe. Mein Vater wiederholt das bis zum Erbrechen: Musterknabe. Ich aber sage dir: Ab heute, dem 12. September, will ich kein Jahr älter werden, ohne etwas zu sein."

    Nach diesem Anfang ist aber auch schnell Schluss mit der Literatur. Barbara Weber hat Vitracs Kritik an den vermeintlichen Errungenschaften der Zivilisation passend auf ihre Elterngeneration, die 68er, gemünzt und führt deren Schwachpunkte in Sachen Kindererziehung, Kultur, Sex oder Pädagogensprache treffsicher vor.

    "Bist du sauer? Entschuldige, du, komm her, ich will mich nur entschuldigen. – Wir sind gleich zurück, wir sind nur kurz mal im Gefühlshäuschen."

    Das Duoquartett Stahlgewitter unterstützt musikalisch die oft wie improvisiert wirkenden Szenen. Wir sehen: absurde Überspanntheiten, hektisches Herumgerenne, einen Autoscooter und eine Bühne, die so tut, als sei sie ein hässliches Wohnzimmer, die aber eigentlich ein Kriegsschauplatz mit Fluchtweg über die Terrasse ist, was ein paar Panzersperren und Schusswaffenarsenale zeigen, die von Tantchen stammen müssen, welche in der Waffenindustrie reüssiert:

    "Und jedes Jahr zum Geburtstag schenkt mir Tante Maria Körperteilfetzen von überall her. Ich habe Arme aus Angola, Beine aus Bosnien, Köpfe aus Kolumbien, die sind am allerschönsten, abgetrennt wie nach einer Operation"

    Dieses Lachen würde man sich lieber verkneifen. Was den Abend aber von modischen Trash- und Schrei-Theater-Attacken ähnlicher Couleur unterscheidet, ist Barbara Webers hervorragendes Gespür für das hysterische wie poetische Potenzial ihrer Schauspieler. Was von Vitrac übrig blieb, war nicht viel, außer einer Mordsorgie. Nicht hoch genug zu schätzen aber ist der Versuch, der verkrampften Sponti-Elterngeneration mit Humor beizukommen.

    Ein ganz anderes Theaterexperiment hat Roger Vontobel unternommen: Seine Schauspieler schlossen sich auf unbestimmte Zeit mit Christian Dietrich Grabbes krudem "Lustspiel" Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung ein, um eben dies, die tiefere Bedeutung des Stückes, im Selbstversuch zu erkennen. Leider war dieses dramaturgische Konzept nur im Programmheft zu lesen, nicht aber auf der Bühne sichtbar. So war man konfrontiert mit outrierenden, wild gestikulierenden Schauspielern auf einer sympathisch verrotteten Bühne, die sich in einen Grabbe-Rausch delirierten, der von der Autobiografie des Dichters zwar irgendwie gestützt wurde, aber in völligem Gegensatz zur abgrundtief bösen Gesellschaftsdiagnose im Stück stand. Grabbe hatte Probleme, in der Tat. Vontobel aber zeigte nur, was eine Schülertheatertruppe auch verstanden hätte: gähnend langweiliges Empfindlichkeitstheater. Der Teufel, Jana Schulz als blondes Fellpäckchen, hielt wenigstens das Schauspielfach hoch. Traurige Bilanz der ersten Premieren in Salzburg: Es gab herzlich wenig zu lachen.