Freitag, 29. März 2024

Archiv


"Schicksal"

Anlässlich Von Kleists 200. Todestag hat das Deutsche Literaturarchiv in Marbach eine Ausstellung auf die Beine gestellt, die ganz und gar vom "Schicksal" geprägt ist. Es geht um schicksalhafte Begegnungen mit Literatur, kurz: um Weggabelungen deutscher Schriftsteller.

Von Christian Gampert | 03.05.2011
    Das Schicksal von Martin Walser entschied sich mit der Lektüre von Franz Kafka. Er hatte, schreibt Walser im Kommentar zu seiner Leihgabe, einem vergilbten Exemplar von Kafkas Erzählungen, er hatte 1946 "Die Verwandlung" gelesen, "in einer Berliner Zeitschrift auf schlechtem Papier", und war "gefangen". Auf der Suche nach Kafka-Texten, die es nach dem Krieg nirgendwo zu kaufen gab, stieß er auf jenen Band mit kurzen Prosastücken, der ihm – auch als Gegenstand - bis heute heilig ist – es sei "diese vollkommene Innerlichkeit" der Erzählungen gewesen, die ihm "für einige Jahre jede Sprache entwertete, in der es realer zuging".

    Walser hat dann einige seiner besten Texte über Lektüre-Erlebnisse geschrieben, über Kafka, Proust und Hölderlin. Und wer sich durch die Marbacher Ausstellung treiben lässt, die vom Design her ein bisschen wie ein Planetensystem aufgebaut ist, sieben Themen-Inseln mit einer sich drehenden, glitzernden Disco-Kugel unter der Decke, der wird schnell erkennen, dass Lebenswege sich besonders an Büchern gabeln, verästeln oder die Richtung ändern: eine volle Abteilung zeigt, wie Intellektuelle mehrerer Generationen sich an Heideggers "Sein und Zeit" abarbeiten, von Adorno, Blumenberg und Koselleck bis Sloterdijk, von Paul Celan bis Botho Strauß, mit allen denkbaren Unterstreichungen und Annotationen.

    Sein eigenes Schicksal bündelt sich für den Philosophen Peter Sloterdijk offenbar seinem Tagebuch: er schreibt täglich hinein – und schaut es dann angeblich nie mehr an. So wird etwas aufbewahrt, aber es entzieht sich der Deutung. 13 seiner großformatigen Hefte sind ausgestellt – in geschlossenem Zustand. Dafür redet Sloterdijk, der ja in einem früheren Leben ja auch mal in Poona meditierte, im Katalog umso ausführlicher über "Schicksalsfragen". Der Philosoph war als ständiger Gesprächspartner auch an Konzept und der Suche nach Objekten beteiligt, sagt Kurator Ulrich Raulff.

    "Das war die eigentliche Herausforderung: Schicksalsobjekte zu finden, die dieses Wort nicht nur illustrieren oder gedruckt zeigen, sondern die ihm einen Raum, einen Körper, eine Existenzweise geben."

    Wirkliches historisches Schicksal wird an Exponaten wie Hannah Arendts Telegramm aus Amerika deutlich, nach gelungener Flucht: "sind gerettet", heißt es da lapidar. Es gibt aber auch Skurriles wie einen von Friedrich Kittler gebastelten analogen Synthesizer aus den 1970er-Jahren: "den spielte mein Freund Klaus Theweleit mit einem Finger", erläutert der Erbauer im Begleittext. Musik ist Schicksal, in der Hippie-Ära.

    Ursprünglich sollte sich die Ausstellung stark mit Kleist beschäftigen, neben Schiller und Hölderlin wohl der schicksalsverhaftetste aller deutschen Dichter. Aber bei der Planung erwies sich schnell, dass der geistesgeschichtliche Schicksalsbegriff viel weiter und auch weniger düster ist als ursprünglich angenommen. Man bildete sieben locker gereihte Kapitel, von der Zahlenmystik über das Zeichenhafte bis zur glücklichen "Fügung", und der Besucher flaniert nun vom magischen Zahlenquadrat aus Dürers "Melancholia", mit dem Aby Warburg sich beschäftigte, zu den Mondsichel-Postkarten der Else Lasker-Schüler, von Ernst Jüngers Kalender-Notizen zum Halleyschen Kometen zu Robert Gernhardt Stachelschweinborsten, die er auf Spaziergängen in der Toskana sammelte und als Glücksbringer begriff.

    Natürlich ist, wer als Kurator nicht streng systematisch vorgeht, sondern auch den Zufall Schicksal spielen lässt, immer angreifbar. Aber, das zeigt die Ausstellung, Kreativität ist immer ein Balance-Akt aus Planung und Inspiration: Rilkes Anfangs-Verse der 1.Duineser Elegie trafen ihn wie ein Blitz, eine Eingebung eben. Und das schicksalhafte Lebensmotto, die beschwörende Formel wird einem oft wie nebenbei von jemand anderem geschenkt. Der Komponist Wolfgang Rihm erhielt von seinem Mentor Karlheinz Stockhausen einst den Rat: "bitte folgen Sie ganz Ihrer inneren Stimme". Geschrieben mit grünem Filzstift auf einem Konzertprogramm.