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Schicksal oder Chance?

Zurzeit wachsen die Städte noch, zumindest in vielen Regionen der Welt. Doch in absehbarer Zeit wird die Weltbevölkerung stagnieren. Der demographische Wandel in den Industrieländern führt dann zu einer deutlichen Zunahme schrumpfender Städte, wie wir sie schon heute in einigen Teilen Ostdeutschlands erleben. Seit 2002 hat das Projekt "Schrumpfende Städte" der Kulturstiftung des Bundes Ursachen und Folgen urbaner Schrumpfung untersucht und die Resultate in Ausstellungen und Publikationen präsentiert.

Von Eva-Maria Götz |
    "Man muss einfach wissen, dass das Thema Schrumpfende Städte ja nicht nur eine stadtplanerische Geschichte ist, eine Stadt wird kleiner, schrumpft. Menschen gehen weg, es werden keine nachgeboren, sondern das heißt ja auch, wie organisiert sich eine Stadt, die so verletzt ist, wo ganze Häuserzeilen leerstehen, und man kein Geld hat, sie abzureißen, was anderes zu machen. Das ist ja ein Dauermahnmal des nicht vorhandenen Wachstums und Wachstum ist sozusagen das populärste und normalste Lebensprinzip, dass wir heute in diesem Stadium des Kapitalismus kennen. Wir müssen kaufen, damit alles weitergeht, wir müssen konsumieren. Und wenn das alles nicht geht, wird uns gesagt, dass das Ganze zusammenbricht, und so ein Gefühl haben Menschen, die in solchen Städten leben. Und da muss man sehr selbstbewusst mit umgehen und sagen: Ja, das ist so und jetzt müssen wir sagen, wie wir damit umgehen wollen."
    Als die Kulturstiftung des Bundes vor sechs Jahren das "Projekt Schrumpfende Städte" initiierte, wurde deren Leiterin Hortensia Völkers noch dringend geraten, dem Titel in "Stadtumbau" oder "-rückbau" zu ändern. "Stadtschrumpfung" hielt man für wenig attraktiv und sowieso für ein ostdeutsches Problem, das in erster Linie mit mehr Subventionen zu lösen sei. Ein Irrtum wie sich herausstellte, als Projektleiter Philipp Oswald und sein aus Wissenschaftlern, Künstlern und Kuratoren bestehendes Team untersuchten, welche kulturellen Auswirkungen das Schrumpfen von Städten auf die Menschen haben und welche Strategien sie in dieser Situation entwickeln. Und sie bemerkten: Stadtschrumpfung ist ein weltweites Phänomen, dass in den nächsten Jahrzehnten stark an Bedeutung zunehmen wird.

    "Bei der Demographie ist die Annahme, dass in 2070 sich die Weltbevölkerung bei neun Milliarden stabilisiert, auch in den bis jetzt noch sehr stark anwachsenden Regionen wie Indien oder Afrika der Bevölkerungszuwachs zu einem Ende kommt und damit gleichzeitig der Urbanisierungsprozess in diesen Ländern weitestgehend abgeschlossen ist, weil etwa Dreiviertel der Bevölkerung in den Städten leben werden."
    In den letzten 200 Jahren hat sich die Anzahl der Menschen, die in Städten leben um das 175fache vermehrt, so ein Forschungsergebnis des Projekts. Danach wird sich in den nächsten 50 Jahren die Anzahl der Stadtbewohner nochmals verdoppeln, dann wird diese Entwicklung abgeschlossen sein und ein "De- Urbanisierungsprozess" beginnen. Für viele Städte und Regionen ist das heute schon nicht mehr der angenommene Katastrophenfall, sondern der Alltag.

    Vor vier Jahren präsentierte die Kulturstiftung die Untersuchungsergebnisse über Ursachen, Wirkungen von Stadtschrumpfung in einer Ausstellung, die unter anderem in Halle gezeigt wurde, einer Stadt, deren Einwohnerzahl in den vergangenen 20 Jahren um ein Viertel gesunken ist. Hortensia Völkers:

    "Also speziell jetzt in Halle, wo die Kulturstiftung ist, war das natürlich ein Riesending, weil wir das im Kulturbahnhof gezeigt haben. Ich nenne das jetzt Kulturbahnhof, aber es ist gar kein Kulturbahnhof, es ist der Bahnhof von Halle- Neustadt, wo anstatt 40.000 nur noch ein paar hundert Leute in der Woche fahren, und da haben wir diese Ausstellung gezeigt und im Vorfeld mit allen Initiativen und Menschen, die mitmachen wollten, gesprochen und gearbeitet (weg: haben). Das war eine ganz wichtige Plattform, wo Menschen auch ihr Leid und ihre Ängste unterbringen konnten. Und wo man durch Fotos und Filme von Künstlern auch noch mal sehen konnte weltweit, dass wir damit nicht alleine sind, sondern was das auch als Chance bedeutet für die Zukunft, wenn wir damit richtig umgehen."
    Die Bürgermeisterin von Halle fasste damals den Mut, das Thema "Stadtschrumpfung" zum Leitmotiv der Bewerbung um den Titel "Kulturhauptstadt Europas" zu machen, was der Stadt zwar nicht den Zuschlag, aber doch viel Aufmerksamkeit und Respekt einbrachte. Denn: Stadtschrumpfung setzt auch Kräfte frei, weckt Kreativität und Eigenverantwortung.

    In Detroit haben Hauseigentümer begonnen, durch Kauf oder Pacht angrenzender Grundstücke ihren Wohnraum zu vergrößern und so ihre Lebensqualität zu erhöhen. "Improve your lot" nennt sich das Programm, dass im Rahmen eines städtischen Wettbewerbs entstand. In Staffordshire in Nordengland werden das ehemals industriell genutzte Schienennetz und seine aufgegebenen Bahnhöfen zu einer dezentral organisierten Universität umstrukturiert. Labor- und Unterrichtsräume können in der Region verschickt und flexibel eingesetzt werden. Und sogar für die Metropole Tokio werden zur Zeit schon Pläne entworfen wie auf eine künftigen Bevölkerungsrückgang reagiert werden kann: mit einer Konzentration des Wohnraums entlang des öffentlichen Nahverkehrs, so das langfristig eine gitterförmige Stadtstruktur entsteht, die wiederum mit Renaturierungsmaßnahmen quasi aufgefüllt werden könnte. Wichtig bei all diesen Projekten ist vor allem die Einbeziehung der Bevölkerung schon bei der Planung, findet "Shrinking Cities"- Projektleiter Philipp Oswald:

    "Kommunen haben in Ostdeutschland in der Regel keine investigativen Möglichkeiten mehr, das einzige, was ihnen bleibt, ist sich auf Förderprogramm in Stadt, Land und EU zu bewerben. Unseres Erachten wäre es viel besser, man würde diesen ganzen Mechanismen mehr Geld zur Verfügung stellen, damit sie frei entscheiden können: was halten sie am Ort für sinnvoll."
    In Dessau zum Beispiel haben Bürger die Renovierung von historisch wertvollen und trotzdem abrissgefährdeten Gebäuden in Eigenarbeit übernommen und die Häuser anschließend Vereinen und gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung gestellt. In Gelsenkirchen entstand aus innerstädtischen Industriebrachen ein generationenübergreifendes Wohnprojekt. Dennoch steht die Beschäftigung mit diesem Thema sehr am Anfang, meint Philipp Oswald, wenn er Bilanz der sechs Jahre laufenden Projektes zieht.

    "Wir haben wenig lokal bewirkt, es ging mehr darum Ideen und Wissen zu entwickeln, mit vielen Akteuren an den vielen Schrumpfungsstandorten, die ja nicht nur in Ostdeutschland waren auch in Detroit in den USA, in England, in Russland in Iwanowo, in Hakutate in Japan, das dort wir das nicht von außen beforscht haben, sondern Menschen vor Ort, die ein Wissen schon hatten, und das sich dort eher so eine Art Wissenskultur in den Orten entwickelt, die durchaus Früchte trägt, wie wir jetzt auch von unseren Projektpartnern bei dem abschließenden Workshop gehört haben."

    Völkers: "Es waren glaube ich 16 Städte weltweit, wo dieses Projekt hingegangen ist, von Japan, Russland, Amerika und viele Orte in Deutschland, mehr kann man sich ja nicht wünschen. Die Bücher werden demnächst ins chinesische übersetzt, find ich einen Erfolg. Insofern ist das eine sehr positive Bilanz und insofern: Dieses Projekt ist wahrscheinlich eines unserer erfolgreichsten."